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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Bruno vor einem Menschenalter noch glücklich verbrennen können, nun aber
lehrte Thomas Campanella, der geistvolle Dominikaner, fast ärgere Philosophie
als jener. Was wollte jener Schüler Galileis, Evangelista Torieelli, mit
seinem Instrument, das sich vermaß, dem Winde seine Stärke nachzurechnen?
Neben Kopernikus' und Keplers gotteslästerlichein Irrthum verbreitete sich das
Gift der glaubenslosen Humanität eines Desiderius Erasmus von den zahl¬
reichen deutschen Universitäten ans die Lehrstühle Patras und Bolognas. Und
schließlich hatte Urban der Achte das Recht, oder er glaubte das Recht zu haben,
eine bittere persönliche Kränkung an dem Manne zu strafen, dem er Wohl¬
thaten und Ehren erwiesen, ja den er in wiederholten, langen, zengenlosen
Unterredungen seines persönlichen Vertrauens würdig erachtet.

Der Papst übergab also Galileis Schrift dem heiligen Kolleg zur Be¬
urtheilung, und infolge dessen wurde der Verfasser im Oktober 1632 vor
das Inquisitionstribunal zu Rom geladen. Das Zeugniß von drei Aerzten,
daß er mit einem Bruchleiden behaftet sei, sowie die Fürsprache des Groß-
herzogs verschafften ihm Aufschub bis zum Januar 1633. Da aber mußte er
die Reise antreten und wurde im toskanischen Gesandschaftshvtel internirt, das
er uur verlassen durfte, um zum Verhör zu erscheinen.

Am 12. April wurde das erste Verhör abgehalten und Galilei gefragt,
ob er sich der Vorgänge im Jahre 1616 erinnere. Der Angeklagte erklärte,
sich dessen zu erinnern, daß Kopernikus' System als ketzerisch erklärt worden
sei; was das Verbot der Verbreitung desselben dnrch ihn anbelange, so er¬
innere er sich dieses Verbotes nicht mehr, es sei so lange her. -- Daß eine
solche Ausflucht dem Angeklagten jede etwa vorhandene Sympathie bei seinen
Richtern rauben mußte, erscheint eben so klar, als es unbegreiflich erscheint,
wenn Domenico Berti sich bemüht, uns zu dem Glauben zu bekehren, Galilei
habe hier wirklich an Gedächtnißschwäche gelitten. Ein Mann von siebzig
Jahren, der soeben ein wissenschaftliches Werk in einer von Geist und schärfster
Satire sprühenden Form veröffentlicht hat, soll vergessen, daß man ihm vor
sechzehn Jahren eben diese Arbeit bei Androhung des Scheiterhaufens verboten
hat! Da hat sicherlich Mezieres, der französische Bearbeiter Bertis, mehr
Recht, wenn er annimmt, Galilei habe damals nnr Zeit zu gewinnen gesucht:
vielleicht werde der Herzog iuterveniren, vielleicht gelinge es ihm, den
Papst persönlich zu sprechen und durch den Zauber seiner Rede wie schon
öfter, aus Feinden sich Verehrer zu schaffen. Wenn dies seine Absicht war,
so mußte er bald einsehen, daß sie gänzlich gescheitert sei. Im weiteren
Verlauf des Verhörs nämlich äußerte er, daß er über einzelne Punkte
jener damals mit dem Papst Urban dem Achten gehaltenen Zwiegespräche nur
diesem gegenüber sich aussprechen könne. Der tief gereizte Pontifex bewilligte


Bruno vor einem Menschenalter noch glücklich verbrennen können, nun aber
lehrte Thomas Campanella, der geistvolle Dominikaner, fast ärgere Philosophie
als jener. Was wollte jener Schüler Galileis, Evangelista Torieelli, mit
seinem Instrument, das sich vermaß, dem Winde seine Stärke nachzurechnen?
Neben Kopernikus' und Keplers gotteslästerlichein Irrthum verbreitete sich das
Gift der glaubenslosen Humanität eines Desiderius Erasmus von den zahl¬
reichen deutschen Universitäten ans die Lehrstühle Patras und Bolognas. Und
schließlich hatte Urban der Achte das Recht, oder er glaubte das Recht zu haben,
eine bittere persönliche Kränkung an dem Manne zu strafen, dem er Wohl¬
thaten und Ehren erwiesen, ja den er in wiederholten, langen, zengenlosen
Unterredungen seines persönlichen Vertrauens würdig erachtet.

Der Papst übergab also Galileis Schrift dem heiligen Kolleg zur Be¬
urtheilung, und infolge dessen wurde der Verfasser im Oktober 1632 vor
das Inquisitionstribunal zu Rom geladen. Das Zeugniß von drei Aerzten,
daß er mit einem Bruchleiden behaftet sei, sowie die Fürsprache des Groß-
herzogs verschafften ihm Aufschub bis zum Januar 1633. Da aber mußte er
die Reise antreten und wurde im toskanischen Gesandschaftshvtel internirt, das
er uur verlassen durfte, um zum Verhör zu erscheinen.

Am 12. April wurde das erste Verhör abgehalten und Galilei gefragt,
ob er sich der Vorgänge im Jahre 1616 erinnere. Der Angeklagte erklärte,
sich dessen zu erinnern, daß Kopernikus' System als ketzerisch erklärt worden
sei; was das Verbot der Verbreitung desselben dnrch ihn anbelange, so er¬
innere er sich dieses Verbotes nicht mehr, es sei so lange her. — Daß eine
solche Ausflucht dem Angeklagten jede etwa vorhandene Sympathie bei seinen
Richtern rauben mußte, erscheint eben so klar, als es unbegreiflich erscheint,
wenn Domenico Berti sich bemüht, uns zu dem Glauben zu bekehren, Galilei
habe hier wirklich an Gedächtnißschwäche gelitten. Ein Mann von siebzig
Jahren, der soeben ein wissenschaftliches Werk in einer von Geist und schärfster
Satire sprühenden Form veröffentlicht hat, soll vergessen, daß man ihm vor
sechzehn Jahren eben diese Arbeit bei Androhung des Scheiterhaufens verboten
hat! Da hat sicherlich Mezieres, der französische Bearbeiter Bertis, mehr
Recht, wenn er annimmt, Galilei habe damals nnr Zeit zu gewinnen gesucht:
vielleicht werde der Herzog iuterveniren, vielleicht gelinge es ihm, den
Papst persönlich zu sprechen und durch den Zauber seiner Rede wie schon
öfter, aus Feinden sich Verehrer zu schaffen. Wenn dies seine Absicht war,
so mußte er bald einsehen, daß sie gänzlich gescheitert sei. Im weiteren
Verlauf des Verhörs nämlich äußerte er, daß er über einzelne Punkte
jener damals mit dem Papst Urban dem Achten gehaltenen Zwiegespräche nur
diesem gegenüber sich aussprechen könne. Der tief gereizte Pontifex bewilligte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/499>, abgerufen am 23.07.2024.