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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Schon die unendlichen Vorsichtsmaßregeln, welche Galilei ergriff, beweisen,
daß er durchaus nicht borg, links handelte. Er legte das Werk zur Begut¬
achtung dem "Hausminister" Pater Riccardi vor; dieser ließ sich durch die
Vorrede täuschen, in der Galilei versichert, nur das System des Kopernikus
beschreiben zu wollen, damit die Welt sähe, in Italien verdamme man An¬
sichten nicht, ohne sie zu prüfen, kein Volk der Erde sei in der Erkenntniß so
schwieriger Dinge weiter fortgeschritten, als die Italiener. Er hütet sich, die
Personen des Dialoges Schlüsse ziehen zu lassen, und läßt schließlich den Ver¬
theidiger der alten Weltanschauung, nachdem er von seinen Gegnern vollkommen
matt gesetzt ist, bei der Behauptung stehen bleiben: "Deine Gründe sind die
geistreichsten, die man sich denken kaun, mir aber kommen sie weder wahr noch
logisch vor", ein Benehmen, welches ebensowohl einem unerschütterlichen
Bibelglauben, als einem unerschütterlichen Starrsinn, oder der Verbindung
beider entspringen kaun. Die Einführung einer solchen Figur unter solchen
Verhältnissen kaun wohl nicht als Beweis besonderen Wohlwollens angeführt
werden. Hierzu kommt uoch, daß der Pater Riccardi sich laut beklagte über
den Mißbrauch, deu Galilei mit dem ihm erwiesenen Vertrauen getrieben haben
sollte. Galilei hatte den Pater bewogen, die Erlaubniß zum Druck des Werkes
in Florenz zu ertheilen, nachdem der Text in Rom von ihm revidirt ward,
aber er hatte es auch durchzusetzen gewußt, daß die Korrekturbogen von dem
Inquisitor des Gerichts in Florenz gelesen wurden, statt nach Rom zurück¬
zuwandern. Der Kostenpunkt ist hierbei schwerlich allein entscheidend gewesen.
Vielmehr läßt sich kaum bezweifeln, daß Textverfälschungen, Bestechungen 2c.
hierbei eine Rolle gespielt haben.

Man kann leicht ermessen, welche Erbitterung diese That des siebzig¬
jährigen Mannes in den Kreisen der römischen Kurie hervorrief, und wohl
uicht mit Unrecht. Aber auch die allgemeine damalige Weltlage drängte die
Kurie zu energischen Einschreiten gegen den ketzerischen Gelehrten. Als Galileis
Werk erschien, im August 1632, war Gustav Adolf auf der Hohe seines
Siegeszuges in Deutschland. Nach wenigen Tagen traf die Nachricht ein, bei
Breitenfeld sei das letzte katholische Heer uuter Tilly, dem treuesten Kämpfer
des Papstthums, vernichtet. Gustav Adolf besetzte München. In Frankreich kämpfte
Richelieu mit wechselndem Erfolge gegen die Hugenotten, aber er war besten Falles
ein lauer Christ. In Polen, Ungarn, den Niederlanden, Dänemark, Schweden ge¬
hörten überall die besten geistigen Kräfte der Ketzerei. Und in Italien? Galilei,
das Haupt der Wissenschaft, hatte zwar bisher sich der Kirche unterworfen, aber
welche Vorkämpfer hatte er gehabt, und welche Nachfolger mußte er erhalten,
wenn sein dreister Eidbruch uugezüchtigt blieb. Da hatten Vesal und Aldvvrandi
als Aerzte und Naturforscher weite Reiche erschlossen; wohl hatte man Giordano


Schon die unendlichen Vorsichtsmaßregeln, welche Galilei ergriff, beweisen,
daß er durchaus nicht borg, links handelte. Er legte das Werk zur Begut¬
achtung dem „Hausminister" Pater Riccardi vor; dieser ließ sich durch die
Vorrede täuschen, in der Galilei versichert, nur das System des Kopernikus
beschreiben zu wollen, damit die Welt sähe, in Italien verdamme man An¬
sichten nicht, ohne sie zu prüfen, kein Volk der Erde sei in der Erkenntniß so
schwieriger Dinge weiter fortgeschritten, als die Italiener. Er hütet sich, die
Personen des Dialoges Schlüsse ziehen zu lassen, und läßt schließlich den Ver¬
theidiger der alten Weltanschauung, nachdem er von seinen Gegnern vollkommen
matt gesetzt ist, bei der Behauptung stehen bleiben: „Deine Gründe sind die
geistreichsten, die man sich denken kaun, mir aber kommen sie weder wahr noch
logisch vor", ein Benehmen, welches ebensowohl einem unerschütterlichen
Bibelglauben, als einem unerschütterlichen Starrsinn, oder der Verbindung
beider entspringen kaun. Die Einführung einer solchen Figur unter solchen
Verhältnissen kaun wohl nicht als Beweis besonderen Wohlwollens angeführt
werden. Hierzu kommt uoch, daß der Pater Riccardi sich laut beklagte über
den Mißbrauch, deu Galilei mit dem ihm erwiesenen Vertrauen getrieben haben
sollte. Galilei hatte den Pater bewogen, die Erlaubniß zum Druck des Werkes
in Florenz zu ertheilen, nachdem der Text in Rom von ihm revidirt ward,
aber er hatte es auch durchzusetzen gewußt, daß die Korrekturbogen von dem
Inquisitor des Gerichts in Florenz gelesen wurden, statt nach Rom zurück¬
zuwandern. Der Kostenpunkt ist hierbei schwerlich allein entscheidend gewesen.
Vielmehr läßt sich kaum bezweifeln, daß Textverfälschungen, Bestechungen 2c.
hierbei eine Rolle gespielt haben.

Man kann leicht ermessen, welche Erbitterung diese That des siebzig¬
jährigen Mannes in den Kreisen der römischen Kurie hervorrief, und wohl
uicht mit Unrecht. Aber auch die allgemeine damalige Weltlage drängte die
Kurie zu energischen Einschreiten gegen den ketzerischen Gelehrten. Als Galileis
Werk erschien, im August 1632, war Gustav Adolf auf der Hohe seines
Siegeszuges in Deutschland. Nach wenigen Tagen traf die Nachricht ein, bei
Breitenfeld sei das letzte katholische Heer uuter Tilly, dem treuesten Kämpfer
des Papstthums, vernichtet. Gustav Adolf besetzte München. In Frankreich kämpfte
Richelieu mit wechselndem Erfolge gegen die Hugenotten, aber er war besten Falles
ein lauer Christ. In Polen, Ungarn, den Niederlanden, Dänemark, Schweden ge¬
hörten überall die besten geistigen Kräfte der Ketzerei. Und in Italien? Galilei,
das Haupt der Wissenschaft, hatte zwar bisher sich der Kirche unterworfen, aber
welche Vorkämpfer hatte er gehabt, und welche Nachfolger mußte er erhalten,
wenn sein dreister Eidbruch uugezüchtigt blieb. Da hatten Vesal und Aldvvrandi
als Aerzte und Naturforscher weite Reiche erschlossen; wohl hatte man Giordano


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[0498] Schon die unendlichen Vorsichtsmaßregeln, welche Galilei ergriff, beweisen, daß er durchaus nicht borg, links handelte. Er legte das Werk zur Begut¬ achtung dem „Hausminister" Pater Riccardi vor; dieser ließ sich durch die Vorrede täuschen, in der Galilei versichert, nur das System des Kopernikus beschreiben zu wollen, damit die Welt sähe, in Italien verdamme man An¬ sichten nicht, ohne sie zu prüfen, kein Volk der Erde sei in der Erkenntniß so schwieriger Dinge weiter fortgeschritten, als die Italiener. Er hütet sich, die Personen des Dialoges Schlüsse ziehen zu lassen, und läßt schließlich den Ver¬ theidiger der alten Weltanschauung, nachdem er von seinen Gegnern vollkommen matt gesetzt ist, bei der Behauptung stehen bleiben: „Deine Gründe sind die geistreichsten, die man sich denken kaun, mir aber kommen sie weder wahr noch logisch vor", ein Benehmen, welches ebensowohl einem unerschütterlichen Bibelglauben, als einem unerschütterlichen Starrsinn, oder der Verbindung beider entspringen kaun. Die Einführung einer solchen Figur unter solchen Verhältnissen kaun wohl nicht als Beweis besonderen Wohlwollens angeführt werden. Hierzu kommt uoch, daß der Pater Riccardi sich laut beklagte über den Mißbrauch, deu Galilei mit dem ihm erwiesenen Vertrauen getrieben haben sollte. Galilei hatte den Pater bewogen, die Erlaubniß zum Druck des Werkes in Florenz zu ertheilen, nachdem der Text in Rom von ihm revidirt ward, aber er hatte es auch durchzusetzen gewußt, daß die Korrekturbogen von dem Inquisitor des Gerichts in Florenz gelesen wurden, statt nach Rom zurück¬ zuwandern. Der Kostenpunkt ist hierbei schwerlich allein entscheidend gewesen. Vielmehr läßt sich kaum bezweifeln, daß Textverfälschungen, Bestechungen 2c. hierbei eine Rolle gespielt haben. Man kann leicht ermessen, welche Erbitterung diese That des siebzig¬ jährigen Mannes in den Kreisen der römischen Kurie hervorrief, und wohl uicht mit Unrecht. Aber auch die allgemeine damalige Weltlage drängte die Kurie zu energischen Einschreiten gegen den ketzerischen Gelehrten. Als Galileis Werk erschien, im August 1632, war Gustav Adolf auf der Hohe seines Siegeszuges in Deutschland. Nach wenigen Tagen traf die Nachricht ein, bei Breitenfeld sei das letzte katholische Heer uuter Tilly, dem treuesten Kämpfer des Papstthums, vernichtet. Gustav Adolf besetzte München. In Frankreich kämpfte Richelieu mit wechselndem Erfolge gegen die Hugenotten, aber er war besten Falles ein lauer Christ. In Polen, Ungarn, den Niederlanden, Dänemark, Schweden ge¬ hörten überall die besten geistigen Kräfte der Ketzerei. Und in Italien? Galilei, das Haupt der Wissenschaft, hatte zwar bisher sich der Kirche unterworfen, aber welche Vorkämpfer hatte er gehabt, und welche Nachfolger mußte er erhalten, wenn sein dreister Eidbruch uugezüchtigt blieb. Da hatten Vesal und Aldvvrandi als Aerzte und Naturforscher weite Reiche erschlossen; wohl hatte man Giordano

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/498>, abgerufen am 23.07.2024.