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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Die Abneigung des Fürsten Bismarck gegen selbständige Reichsministerien
ist bekannt, Um war die Art, wie er diesmal die Undurchführbarst des
Vorschlags zu beweisen suchte. Sonst war es der Kampf der Ressorts im
Preußischen Staatsministerium untereinander, die Machtlosigkeit des preußischen
Ministerpräsidenten, was als abschreckendes Beispiel dienen mußte; jetzt wurde
die unbezwingbare Opposition der Partikularregierungeu, bezw. der einzelnen
Ministerien dieser Regierungen als Hnuptargument ins Feld geführt. Statt
die Mängel des heutigen Zustandes zu beseitigen, werde man den Partikularis¬
mus nnr reizen und stärken. Beweis: das Schicksal des Neichseisenbahnamts.
Nach der Darstellung des Reichskanzlers ist die heutige Zeit durchaus nicht
geeignet zu irgendwie centralistischer Organisation, die Reichsidee hat Ebbe,
der Partikularismus Flut. Das darf aber nicht tragisch genommen werden;
es wird schon wieder umgekehrt kommen. Das ist der natürliche Lauf der
Dinge. Im Uebrigen: "Lassen wir unsern Kindern auch noch etwas zu thun,
es könnte ihnen sonst langweilig werden."

So der Reichskanzler. Die Wirkung gewisser Ereignisse der jüngsten
Vergangenheit, die sattsam bekannt, und vielleicht noch anderer, die hinter den
Coulissen vorgegangen sind, war in seinen Ausführungen unverkennbar. Haben
aber wirklich dermalen die centrifugalen Bestrebungen die Oberhand, dann
kann es mir einen unheimlichen Eindruck machen, den obersten Leiter, ja den
Schöpfer des Reichs über diese hochbedenkliche Situation im Tone halb scherzender
Plauderei reden zu hören.*) Das junge Reich ist noch bei weitem nicht genug
gefestigt, um eine ernstliche partikularistisch-reaktionüre Strömung ohne Gefahr
ertragen zu können. Ist es wirklich Fürst Bismarcks Meinung, daß man einer
solchen Strömung gegenüber die Hände in den Schoß legen, geduldig ab¬
warten müsse? -- Der Reichskanzler hat ein wenig sehr die Sphinx gespielt.
Schwerlich wird Jemand aus seinen Aeußerungen ganz entnehmen wollen, wie
er über Deutschlands Gegenwart und Zukunft denkt. So viel aber bleibt
bestehen: die aufsteigende Flut des Partikularismus ist konstatirt. Damit ist
allen Nativnalgesinnten ihre Pflicht gewiesen.

Um auf den Ausgangspunkt, die Frage der Steuerreform, zurückzukommen,
so hat der Reichskanzler sein Möglichstes gethan, das Mißgeschick des Herrn
Hofmann wieder gut zu machen und der erwähnten Etatsbemerkung eine
möglichst harmlose Deutung zu geben. Darnach ist dies der Sachverhalt:
Die Reichsregierung, weit entfernt, sich zur Initiative in der Steuerreform für
impotent zu erklären, hat vielmehr bereits einen festen Plan für dieselbe und
hofft, ihn dem Reichstage in der nächsten Session vorlegen zu können. Jn-



*) SMe darin nicht vielmehr eine gewisse Beruhigung liegen? Wenn die Partikula¬
D. Red. ristische Flut gefährlich würe, würde der Reichskanzler kaum scherzen.
Grenzboten I. 187?.

Die Abneigung des Fürsten Bismarck gegen selbständige Reichsministerien
ist bekannt, Um war die Art, wie er diesmal die Undurchführbarst des
Vorschlags zu beweisen suchte. Sonst war es der Kampf der Ressorts im
Preußischen Staatsministerium untereinander, die Machtlosigkeit des preußischen
Ministerpräsidenten, was als abschreckendes Beispiel dienen mußte; jetzt wurde
die unbezwingbare Opposition der Partikularregierungeu, bezw. der einzelnen
Ministerien dieser Regierungen als Hnuptargument ins Feld geführt. Statt
die Mängel des heutigen Zustandes zu beseitigen, werde man den Partikularis¬
mus nnr reizen und stärken. Beweis: das Schicksal des Neichseisenbahnamts.
Nach der Darstellung des Reichskanzlers ist die heutige Zeit durchaus nicht
geeignet zu irgendwie centralistischer Organisation, die Reichsidee hat Ebbe,
der Partikularismus Flut. Das darf aber nicht tragisch genommen werden;
es wird schon wieder umgekehrt kommen. Das ist der natürliche Lauf der
Dinge. Im Uebrigen: „Lassen wir unsern Kindern auch noch etwas zu thun,
es könnte ihnen sonst langweilig werden."

So der Reichskanzler. Die Wirkung gewisser Ereignisse der jüngsten
Vergangenheit, die sattsam bekannt, und vielleicht noch anderer, die hinter den
Coulissen vorgegangen sind, war in seinen Ausführungen unverkennbar. Haben
aber wirklich dermalen die centrifugalen Bestrebungen die Oberhand, dann
kann es mir einen unheimlichen Eindruck machen, den obersten Leiter, ja den
Schöpfer des Reichs über diese hochbedenkliche Situation im Tone halb scherzender
Plauderei reden zu hören.*) Das junge Reich ist noch bei weitem nicht genug
gefestigt, um eine ernstliche partikularistisch-reaktionüre Strömung ohne Gefahr
ertragen zu können. Ist es wirklich Fürst Bismarcks Meinung, daß man einer
solchen Strömung gegenüber die Hände in den Schoß legen, geduldig ab¬
warten müsse? — Der Reichskanzler hat ein wenig sehr die Sphinx gespielt.
Schwerlich wird Jemand aus seinen Aeußerungen ganz entnehmen wollen, wie
er über Deutschlands Gegenwart und Zukunft denkt. So viel aber bleibt
bestehen: die aufsteigende Flut des Partikularismus ist konstatirt. Damit ist
allen Nativnalgesinnten ihre Pflicht gewiesen.

Um auf den Ausgangspunkt, die Frage der Steuerreform, zurückzukommen,
so hat der Reichskanzler sein Möglichstes gethan, das Mißgeschick des Herrn
Hofmann wieder gut zu machen und der erwähnten Etatsbemerkung eine
möglichst harmlose Deutung zu geben. Darnach ist dies der Sachverhalt:
Die Reichsregierung, weit entfernt, sich zur Initiative in der Steuerreform für
impotent zu erklären, hat vielmehr bereits einen festen Plan für dieselbe und
hofft, ihn dem Reichstage in der nächsten Session vorlegen zu können. Jn-



*) SMe darin nicht vielmehr eine gewisse Beruhigung liegen? Wenn die Partikula¬
D. Red. ristische Flut gefährlich würe, würde der Reichskanzler kaum scherzen.
Grenzboten I. 187?.
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[0481] Die Abneigung des Fürsten Bismarck gegen selbständige Reichsministerien ist bekannt, Um war die Art, wie er diesmal die Undurchführbarst des Vorschlags zu beweisen suchte. Sonst war es der Kampf der Ressorts im Preußischen Staatsministerium untereinander, die Machtlosigkeit des preußischen Ministerpräsidenten, was als abschreckendes Beispiel dienen mußte; jetzt wurde die unbezwingbare Opposition der Partikularregierungeu, bezw. der einzelnen Ministerien dieser Regierungen als Hnuptargument ins Feld geführt. Statt die Mängel des heutigen Zustandes zu beseitigen, werde man den Partikularis¬ mus nnr reizen und stärken. Beweis: das Schicksal des Neichseisenbahnamts. Nach der Darstellung des Reichskanzlers ist die heutige Zeit durchaus nicht geeignet zu irgendwie centralistischer Organisation, die Reichsidee hat Ebbe, der Partikularismus Flut. Das darf aber nicht tragisch genommen werden; es wird schon wieder umgekehrt kommen. Das ist der natürliche Lauf der Dinge. Im Uebrigen: „Lassen wir unsern Kindern auch noch etwas zu thun, es könnte ihnen sonst langweilig werden." So der Reichskanzler. Die Wirkung gewisser Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die sattsam bekannt, und vielleicht noch anderer, die hinter den Coulissen vorgegangen sind, war in seinen Ausführungen unverkennbar. Haben aber wirklich dermalen die centrifugalen Bestrebungen die Oberhand, dann kann es mir einen unheimlichen Eindruck machen, den obersten Leiter, ja den Schöpfer des Reichs über diese hochbedenkliche Situation im Tone halb scherzender Plauderei reden zu hören.*) Das junge Reich ist noch bei weitem nicht genug gefestigt, um eine ernstliche partikularistisch-reaktionüre Strömung ohne Gefahr ertragen zu können. Ist es wirklich Fürst Bismarcks Meinung, daß man einer solchen Strömung gegenüber die Hände in den Schoß legen, geduldig ab¬ warten müsse? — Der Reichskanzler hat ein wenig sehr die Sphinx gespielt. Schwerlich wird Jemand aus seinen Aeußerungen ganz entnehmen wollen, wie er über Deutschlands Gegenwart und Zukunft denkt. So viel aber bleibt bestehen: die aufsteigende Flut des Partikularismus ist konstatirt. Damit ist allen Nativnalgesinnten ihre Pflicht gewiesen. Um auf den Ausgangspunkt, die Frage der Steuerreform, zurückzukommen, so hat der Reichskanzler sein Möglichstes gethan, das Mißgeschick des Herrn Hofmann wieder gut zu machen und der erwähnten Etatsbemerkung eine möglichst harmlose Deutung zu geben. Darnach ist dies der Sachverhalt: Die Reichsregierung, weit entfernt, sich zur Initiative in der Steuerreform für impotent zu erklären, hat vielmehr bereits einen festen Plan für dieselbe und hofft, ihn dem Reichstage in der nächsten Session vorlegen zu können. Jn- *) SMe darin nicht vielmehr eine gewisse Beruhigung liegen? Wenn die Partikula¬ D. Red. ristische Flut gefährlich würe, würde der Reichskanzler kaum scherzen. Grenzboten I. 187?.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/481>, abgerufen am 23.07.2024.