Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.Verhältniß zu einander setzt. Ueber die außerordentlichen Schwierigkeiten, mit Traurig zu sagen: ein kläglicheres Geständniß der eignen Rathlosigkeit Verhältniß zu einander setzt. Ueber die außerordentlichen Schwierigkeiten, mit Traurig zu sagen: ein kläglicheres Geständniß der eignen Rathlosigkeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137653"/> <p xml:id="ID_1545" prev="#ID_1544"> Verhältniß zu einander setzt. Ueber die außerordentlichen Schwierigkeiten, mit<lb/> denen die Ausarbeitung eines solchen Planes verknüpft ist, herrscht nur eine<lb/> Ausicht. Und nun behält sich die Reichsregierung vor, in Bezug auf einen<lb/> Etat, der dem Reichstage am 4 März übersandt wird und am I. April in<lb/> Kraft treten soll, eine Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs „in<lb/> Erwüguug zu ziehen"! Das konnte nach Lage der Sache doch nur dahin<lb/> verstanden werden: „Wir (d. h. die verbündeten Regierungen) haben den er¬<lb/> forderlichen Reformplan all die Jahre her noch nicht zu Stande gebracht, wir<lb/> wollen aber sehen, ob das Werk nicht in den nächsten drei Wochen gelingt."<lb/> Der Eindruck, welchen diese kaum begreifliche „Erläuterung" auf die Reichs¬<lb/> boten gemacht, ist schwer zu beschreiben. Und der Präsident des Reichskanzler-<lb/> cnnts übertrumpfte ihn uoch, indem er erklärte, daß der Bundesrath von der<lb/> „Stimmung" des Reichstags abhängig machen werde, ob er zum Zweck der<lb/> Deckung jeuer vierundzwanzig Millionen mit neuen Steuervorschlägen hervor¬<lb/> treten solle oder nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1546"> Traurig zu sagen: ein kläglicheres Geständniß der eignen Rathlosigkeit<lb/> hat kaum jemals eine Regierung vor einer Volksvertretung abgelegt. Mit<lb/> vollem Recht kennzeichnete der Abgeordnete Laster den ganzen Ernst dieser be¬<lb/> dauerlichen Erscheinung. Wo liegt der Grund, daß es nicht vorwärts gehen<lb/> will? daß es bis zu diesem Aeußersten kommen mußte? Nur eine Meinung<lb/> ist darüber, daß der Fehler in der Organisation der Reichsverwaltung, in dem<lb/> Mangel verantwortlicher Reichsministerien, besonders eines verantwortlichen<lb/> Reichsfinanzministers, zu suchen ist. An wen soll heute der Reichstag sich<lb/> halten, um die Initiative in der Steuerreform zu fordern? Er kennt nur<lb/> einen verantwortlichen Beamten, den Reichskanzler, und dieser hat erst vor<lb/> nicht langer Zeit den Reichstag mit der Erklärung überrascht, daß er nur für<lb/> die Exekutive, nicht auch für die Gesetzgebung verantwortlich sei. So stehen<lb/> wir vor dem Vacuum. In Preußen ist es die ganz bestimmte Person des<lb/> Finanzministers, von welcher die Volksvertretung die gesetzgeberische Initiative<lb/> in Steueraugelegenheiten erwartet, gegen welche sie ihren Tadel richtet, wenn<lb/> diese Initiative unterbleibt, gegen welche ihr zahlreiche Mittel zu Gebote stehen,<lb/> um sie zu dem gewünschten Vorgehen zu drängen. Im Reich steht an der Stelle<lb/> dieser bestimmten Person der unfaßbare Begriff der „verbündeten Regierungen".<lb/> Von diesem Konglomerat der widerstrebendsten Elemente eine schöpferische Ini¬<lb/> tiative erwarten, wäre thöricht. Also ist der sonnenklare Schluß: man ändere<lb/> die Organisation der Reichsverwaltung, mau schaffe selbständige, verantwort¬<lb/> liche Ressorts, wenn anders man nicht die Entwickelung des Reichs der be¬<lb/> denklichsten Stagnation, die Gesetzgebung der unseligsten Verfahrenheit verfallen<lb/> lassen will.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0480]
Verhältniß zu einander setzt. Ueber die außerordentlichen Schwierigkeiten, mit
denen die Ausarbeitung eines solchen Planes verknüpft ist, herrscht nur eine
Ausicht. Und nun behält sich die Reichsregierung vor, in Bezug auf einen
Etat, der dem Reichstage am 4 März übersandt wird und am I. April in
Kraft treten soll, eine Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs „in
Erwüguug zu ziehen"! Das konnte nach Lage der Sache doch nur dahin
verstanden werden: „Wir (d. h. die verbündeten Regierungen) haben den er¬
forderlichen Reformplan all die Jahre her noch nicht zu Stande gebracht, wir
wollen aber sehen, ob das Werk nicht in den nächsten drei Wochen gelingt."
Der Eindruck, welchen diese kaum begreifliche „Erläuterung" auf die Reichs¬
boten gemacht, ist schwer zu beschreiben. Und der Präsident des Reichskanzler-
cnnts übertrumpfte ihn uoch, indem er erklärte, daß der Bundesrath von der
„Stimmung" des Reichstags abhängig machen werde, ob er zum Zweck der
Deckung jeuer vierundzwanzig Millionen mit neuen Steuervorschlägen hervor¬
treten solle oder nicht.
Traurig zu sagen: ein kläglicheres Geständniß der eignen Rathlosigkeit
hat kaum jemals eine Regierung vor einer Volksvertretung abgelegt. Mit
vollem Recht kennzeichnete der Abgeordnete Laster den ganzen Ernst dieser be¬
dauerlichen Erscheinung. Wo liegt der Grund, daß es nicht vorwärts gehen
will? daß es bis zu diesem Aeußersten kommen mußte? Nur eine Meinung
ist darüber, daß der Fehler in der Organisation der Reichsverwaltung, in dem
Mangel verantwortlicher Reichsministerien, besonders eines verantwortlichen
Reichsfinanzministers, zu suchen ist. An wen soll heute der Reichstag sich
halten, um die Initiative in der Steuerreform zu fordern? Er kennt nur
einen verantwortlichen Beamten, den Reichskanzler, und dieser hat erst vor
nicht langer Zeit den Reichstag mit der Erklärung überrascht, daß er nur für
die Exekutive, nicht auch für die Gesetzgebung verantwortlich sei. So stehen
wir vor dem Vacuum. In Preußen ist es die ganz bestimmte Person des
Finanzministers, von welcher die Volksvertretung die gesetzgeberische Initiative
in Steueraugelegenheiten erwartet, gegen welche sie ihren Tadel richtet, wenn
diese Initiative unterbleibt, gegen welche ihr zahlreiche Mittel zu Gebote stehen,
um sie zu dem gewünschten Vorgehen zu drängen. Im Reich steht an der Stelle
dieser bestimmten Person der unfaßbare Begriff der „verbündeten Regierungen".
Von diesem Konglomerat der widerstrebendsten Elemente eine schöpferische Ini¬
tiative erwarten, wäre thöricht. Also ist der sonnenklare Schluß: man ändere
die Organisation der Reichsverwaltung, mau schaffe selbständige, verantwort¬
liche Ressorts, wenn anders man nicht die Entwickelung des Reichs der be¬
denklichsten Stagnation, die Gesetzgebung der unseligsten Verfahrenheit verfallen
lassen will.
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