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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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zwischen würde sie nicht abgeneigt sein, wenn etwa von Reichstage der
Wunsch nach einer provisorischen Steuer zum Zweck der Herabminderung
der Matrikularbeiträge ausgesprochen werden sollte, aus eine solche einzugehen.
Der Reichskanzler "persönlich" ist aber der Meinung, daß eine derartige Vor¬
wegnahme einer einzelnen Steuer vor der Gesanimtreform nicht wohlgethan
sein würde -- eine Meinung, die mit derjenigen des Reichstages vollkommen
übereinstimmt. Auffallend bleibt hier zweierlei, einmal, daß Herr Hofmann
des bereits in so naher Aussicht stehenden umfassenden Reformplanes gar keine
Erwähnung that; sodann, daß trotz der Ueberzeugung des einzigen verantwort¬
lichen Reichsbeamten von der Unzweckmäßigst, in den gegenwärtigen Etat
eine neue Steuer aufzunehmen, die Regierung sich in dem Etat die Aufnahme
neuer Steuern ausdrücklich vorbehält. Die Nothwendigkeit einer anderen Ein¬
richtung der Verwaltung des Reichsfinanzwefens wird durch diese Widersprüche
zum mindesten nicht widerlegt.

Angesichts der großen Organiiations- und Reformfragen trat der eigent¬
liche Gegenstand der Debatte, der Etat für das Finanzjahr 1877/78, ganz in
den Hintergrund. Die Kernfrage, die Deckung der vierundzwanzig Millionen,
wird ihre Lösung dahin finden, daß etwa die Hälfte durch Uebernahme der
Pensionen aus den Kriegen vor 1870 auf den Reichsinvalidenfonds, durch
Einstellung der ferneren Zinsen des Reichsgebändefonds in den Etat, durch
Uebertragung einer Anzahl von Kasernenbauten aus dem Etat auf die große
Kasernirungsanleihe und durch kleinere Ersparnisse, die andere Hälfte durch
entsprechende Erhöhung der Matrikularbeiträge gedeckt werden wird. Da den
Matrikularbeiträgen die ganze Ungerechtigkeit einer Kopfsteuer anhaftet und
die Kleinstaaten in unverhältnißmäßigen Grade durch sie belastet werden, so ist
dies Ergebniß immerhin zu beklagen. Zu einigem Trost kann indeß dienen,
daß die Matriknlarbeiträge auch uach dieser Erhöhung noch wesentlich hinter
dem Betrage, den sie bis zum Jahre 1872 hatten, zurückbleiben werden. Außer¬
dem ist jetzt über allen Zweifel klargestellt, daß von allen Seiten die
baldige Durchführung einer Steuerreform angestrebt wird, durch welche die
Matrikularbeiträge erheblich herabgemindert, womöglich ganz beseitigt werden.
Die Stimmen, welche die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Einrichtung
dieser Beiträge im Interesse der Machtstellung des Reichstags -- weil derselbe
in Bezug auf sie in Wirklichkeit ein jährliches Seene'rbewilliguugsrecht übt --
geboten erklärten, sind größteutheils verstummt. Ueberwiegend geht die Ansicht
dahin, daß um dieses Grundes willen unmöglich eine allgemein sür ver¬
werflich geltende Steuer beibehalten werden dürfe. Auch ist nicht anzunehmen,
daß sich im Zusammenhange mit der großen Steuerreform nicht eine Einrich-


zwischen würde sie nicht abgeneigt sein, wenn etwa von Reichstage der
Wunsch nach einer provisorischen Steuer zum Zweck der Herabminderung
der Matrikularbeiträge ausgesprochen werden sollte, aus eine solche einzugehen.
Der Reichskanzler „persönlich" ist aber der Meinung, daß eine derartige Vor¬
wegnahme einer einzelnen Steuer vor der Gesanimtreform nicht wohlgethan
sein würde — eine Meinung, die mit derjenigen des Reichstages vollkommen
übereinstimmt. Auffallend bleibt hier zweierlei, einmal, daß Herr Hofmann
des bereits in so naher Aussicht stehenden umfassenden Reformplanes gar keine
Erwähnung that; sodann, daß trotz der Ueberzeugung des einzigen verantwort¬
lichen Reichsbeamten von der Unzweckmäßigst, in den gegenwärtigen Etat
eine neue Steuer aufzunehmen, die Regierung sich in dem Etat die Aufnahme
neuer Steuern ausdrücklich vorbehält. Die Nothwendigkeit einer anderen Ein¬
richtung der Verwaltung des Reichsfinanzwefens wird durch diese Widersprüche
zum mindesten nicht widerlegt.

Angesichts der großen Organiiations- und Reformfragen trat der eigent¬
liche Gegenstand der Debatte, der Etat für das Finanzjahr 1877/78, ganz in
den Hintergrund. Die Kernfrage, die Deckung der vierundzwanzig Millionen,
wird ihre Lösung dahin finden, daß etwa die Hälfte durch Uebernahme der
Pensionen aus den Kriegen vor 1870 auf den Reichsinvalidenfonds, durch
Einstellung der ferneren Zinsen des Reichsgebändefonds in den Etat, durch
Uebertragung einer Anzahl von Kasernenbauten aus dem Etat auf die große
Kasernirungsanleihe und durch kleinere Ersparnisse, die andere Hälfte durch
entsprechende Erhöhung der Matrikularbeiträge gedeckt werden wird. Da den
Matrikularbeiträgen die ganze Ungerechtigkeit einer Kopfsteuer anhaftet und
die Kleinstaaten in unverhältnißmäßigen Grade durch sie belastet werden, so ist
dies Ergebniß immerhin zu beklagen. Zu einigem Trost kann indeß dienen,
daß die Matriknlarbeiträge auch uach dieser Erhöhung noch wesentlich hinter
dem Betrage, den sie bis zum Jahre 1872 hatten, zurückbleiben werden. Außer¬
dem ist jetzt über allen Zweifel klargestellt, daß von allen Seiten die
baldige Durchführung einer Steuerreform angestrebt wird, durch welche die
Matrikularbeiträge erheblich herabgemindert, womöglich ganz beseitigt werden.
Die Stimmen, welche die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Einrichtung
dieser Beiträge im Interesse der Machtstellung des Reichstags — weil derselbe
in Bezug auf sie in Wirklichkeit ein jährliches Seene'rbewilliguugsrecht übt —
geboten erklärten, sind größteutheils verstummt. Ueberwiegend geht die Ansicht
dahin, daß um dieses Grundes willen unmöglich eine allgemein sür ver¬
werflich geltende Steuer beibehalten werden dürfe. Auch ist nicht anzunehmen,
daß sich im Zusammenhange mit der großen Steuerreform nicht eine Einrich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/482>, abgerufen am 23.07.2024.