Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
JoKtor Jause und Jausts Kössenzwang.
Moritz Busch. Von

Die Volkssage von Doktor Faust, der sich dem Teufel verschreibt, damit
er ihm diene, und der dafür schließlich von ihm geholt wird, gehört zu den
verbreiterten in Deutschland. Nur die schwanke Eulenspiegels und die Historien
von den Schildbürgern drangen vielleicht in weitere Kreise. Faust aber be¬
zeichnet, gegen Eulenspiegel gehalten, einen bemerkenswerthen Umschwung.
Eulenspiegel, der Nationalnarr, ist der Ausfluß und Typus der Zeitrichtung
in den letzten anderthalb Jahrhunderten des Mittelalters, in welcher das Streben
der unteren Stände nach oben, nach Geltung neben den Adligen und den Ge¬
lehrten in der Form des Humors, der das Große klein, das Ernste lächerlich
macht, die Weisheit in Thorheit verkehrt und so die Welt ans den Kopf
stellt,, in die Erscheinung trat. Er hätte selbst den Teufel genarrt und geprellt,
der in der alten Kirche allmählich zum dummen Teufel geworden war, und
der in der That in einer großen Anzahl von Schwänken aus dem Ausgang
des Mittelalters gleich anderen Größen der bisherigen Weltanschauung gründlich
gefoppt und weidlich übers Ohr gehauen wird. Faust dagegen, der nationale
Zauberer, gehört der späteren ernsteren Periode an, wo die Reformation die
Gewissen geweckt und mit dem Glauben an die von außen her wirkende
Zauberkraft der kirchlichen Heilsmittel auch den Glauben zerstört hatte, daß
der Teufel durch sie oder auf andere leichte und bequeme Weise um eine ihm
gehörende, von ihm verdiente Seele gebracht werden könne. Der alte Zauberer
Theophilus war deu Folgen seines Paktes mit dem Höllenfürsten zuletzt durch
das von ihm angerufene Dazwischentreten der Jungfrau Maria entgangen.
Andere hatten sich auf ähnliche Weise, wieder Andere sich durch irgend einen
Kniff zu retten gewußt. Jetzt ging das nicht mehr. Wer sich mit dem Bösen
einließ, blieb ihm verfallen und wurde, wenn ihn nicht etwa die Obrigkeit als
Hexenmeister verbrannte -- was im Jahrhundert der Reformation häufiger


Grenzboten I. 1877. 51
JoKtor Jause und Jausts Kössenzwang.
Moritz Busch. Von

Die Volkssage von Doktor Faust, der sich dem Teufel verschreibt, damit
er ihm diene, und der dafür schließlich von ihm geholt wird, gehört zu den
verbreiterten in Deutschland. Nur die schwanke Eulenspiegels und die Historien
von den Schildbürgern drangen vielleicht in weitere Kreise. Faust aber be¬
zeichnet, gegen Eulenspiegel gehalten, einen bemerkenswerthen Umschwung.
Eulenspiegel, der Nationalnarr, ist der Ausfluß und Typus der Zeitrichtung
in den letzten anderthalb Jahrhunderten des Mittelalters, in welcher das Streben
der unteren Stände nach oben, nach Geltung neben den Adligen und den Ge¬
lehrten in der Form des Humors, der das Große klein, das Ernste lächerlich
macht, die Weisheit in Thorheit verkehrt und so die Welt ans den Kopf
stellt,, in die Erscheinung trat. Er hätte selbst den Teufel genarrt und geprellt,
der in der alten Kirche allmählich zum dummen Teufel geworden war, und
der in der That in einer großen Anzahl von Schwänken aus dem Ausgang
des Mittelalters gleich anderen Größen der bisherigen Weltanschauung gründlich
gefoppt und weidlich übers Ohr gehauen wird. Faust dagegen, der nationale
Zauberer, gehört der späteren ernsteren Periode an, wo die Reformation die
Gewissen geweckt und mit dem Glauben an die von außen her wirkende
Zauberkraft der kirchlichen Heilsmittel auch den Glauben zerstört hatte, daß
der Teufel durch sie oder auf andere leichte und bequeme Weise um eine ihm
gehörende, von ihm verdiente Seele gebracht werden könne. Der alte Zauberer
Theophilus war deu Folgen seines Paktes mit dem Höllenfürsten zuletzt durch
das von ihm angerufene Dazwischentreten der Jungfrau Maria entgangen.
Andere hatten sich auf ähnliche Weise, wieder Andere sich durch irgend einen
Kniff zu retten gewußt. Jetzt ging das nicht mehr. Wer sich mit dem Bösen
einließ, blieb ihm verfallen und wurde, wenn ihn nicht etwa die Obrigkeit als
Hexenmeister verbrannte — was im Jahrhundert der Reformation häufiger


Grenzboten I. 1877. 51
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137582"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> JoKtor Jause und Jausts Kössenzwang.<lb/><note type="byline"> Moritz Busch.</note> Von </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1328" next="#ID_1329"> Die Volkssage von Doktor Faust, der sich dem Teufel verschreibt, damit<lb/>
er ihm diene, und der dafür schließlich von ihm geholt wird, gehört zu den<lb/>
verbreiterten in Deutschland. Nur die schwanke Eulenspiegels und die Historien<lb/>
von den Schildbürgern drangen vielleicht in weitere Kreise. Faust aber be¬<lb/>
zeichnet, gegen Eulenspiegel gehalten, einen bemerkenswerthen Umschwung.<lb/>
Eulenspiegel, der Nationalnarr, ist der Ausfluß und Typus der Zeitrichtung<lb/>
in den letzten anderthalb Jahrhunderten des Mittelalters, in welcher das Streben<lb/>
der unteren Stände nach oben, nach Geltung neben den Adligen und den Ge¬<lb/>
lehrten in der Form des Humors, der das Große klein, das Ernste lächerlich<lb/>
macht, die Weisheit in Thorheit verkehrt und so die Welt ans den Kopf<lb/>
stellt,, in die Erscheinung trat. Er hätte selbst den Teufel genarrt und geprellt,<lb/>
der in der alten Kirche allmählich zum dummen Teufel geworden war, und<lb/>
der in der That in einer großen Anzahl von Schwänken aus dem Ausgang<lb/>
des Mittelalters gleich anderen Größen der bisherigen Weltanschauung gründlich<lb/>
gefoppt und weidlich übers Ohr gehauen wird. Faust dagegen, der nationale<lb/>
Zauberer, gehört der späteren ernsteren Periode an, wo die Reformation die<lb/>
Gewissen geweckt und mit dem Glauben an die von außen her wirkende<lb/>
Zauberkraft der kirchlichen Heilsmittel auch den Glauben zerstört hatte, daß<lb/>
der Teufel durch sie oder auf andere leichte und bequeme Weise um eine ihm<lb/>
gehörende, von ihm verdiente Seele gebracht werden könne. Der alte Zauberer<lb/>
Theophilus war deu Folgen seines Paktes mit dem Höllenfürsten zuletzt durch<lb/>
das von ihm angerufene Dazwischentreten der Jungfrau Maria entgangen.<lb/>
Andere hatten sich auf ähnliche Weise, wieder Andere sich durch irgend einen<lb/>
Kniff zu retten gewußt. Jetzt ging das nicht mehr. Wer sich mit dem Bösen<lb/>
einließ, blieb ihm verfallen und wurde, wenn ihn nicht etwa die Obrigkeit als<lb/>
Hexenmeister verbrannte &#x2014; was im Jahrhundert der Reformation häufiger</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1877. 51</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] JoKtor Jause und Jausts Kössenzwang. Moritz Busch. Von Die Volkssage von Doktor Faust, der sich dem Teufel verschreibt, damit er ihm diene, und der dafür schließlich von ihm geholt wird, gehört zu den verbreiterten in Deutschland. Nur die schwanke Eulenspiegels und die Historien von den Schildbürgern drangen vielleicht in weitere Kreise. Faust aber be¬ zeichnet, gegen Eulenspiegel gehalten, einen bemerkenswerthen Umschwung. Eulenspiegel, der Nationalnarr, ist der Ausfluß und Typus der Zeitrichtung in den letzten anderthalb Jahrhunderten des Mittelalters, in welcher das Streben der unteren Stände nach oben, nach Geltung neben den Adligen und den Ge¬ lehrten in der Form des Humors, der das Große klein, das Ernste lächerlich macht, die Weisheit in Thorheit verkehrt und so die Welt ans den Kopf stellt,, in die Erscheinung trat. Er hätte selbst den Teufel genarrt und geprellt, der in der alten Kirche allmählich zum dummen Teufel geworden war, und der in der That in einer großen Anzahl von Schwänken aus dem Ausgang des Mittelalters gleich anderen Größen der bisherigen Weltanschauung gründlich gefoppt und weidlich übers Ohr gehauen wird. Faust dagegen, der nationale Zauberer, gehört der späteren ernsteren Periode an, wo die Reformation die Gewissen geweckt und mit dem Glauben an die von außen her wirkende Zauberkraft der kirchlichen Heilsmittel auch den Glauben zerstört hatte, daß der Teufel durch sie oder auf andere leichte und bequeme Weise um eine ihm gehörende, von ihm verdiente Seele gebracht werden könne. Der alte Zauberer Theophilus war deu Folgen seines Paktes mit dem Höllenfürsten zuletzt durch das von ihm angerufene Dazwischentreten der Jungfrau Maria entgangen. Andere hatten sich auf ähnliche Weise, wieder Andere sich durch irgend einen Kniff zu retten gewußt. Jetzt ging das nicht mehr. Wer sich mit dem Bösen einließ, blieb ihm verfallen und wurde, wenn ihn nicht etwa die Obrigkeit als Hexenmeister verbrannte — was im Jahrhundert der Reformation häufiger Grenzboten I. 1877. 51

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/409>, abgerufen am 23.07.2024.