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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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der Wiesen, die freilich auch nur von Walpurgis bis zur Heuernte gehegt
wurden, war nicht die Rede. Hatte ein Bauer sich Geld erübrigt, so legte er
es in den Kasten oder kaufte sich Land dafür, statt damit sein Land zu ver¬
bessern, während doch fünfzig Aecker gut bewirthschaftet mehr einbringen als
hundert Aecker bei schlechter Verwaltung.

Im östlichen Deutschland, Kursachsen, der Lausitz, Brandenburg, Pommern,
Thüringen und den Gegenden am Harz, sowie in Kurhessen, Böhmen und Mähren
bildeten die Schäfereien den Haupterwerbszweig der größeren Landwirthe. Man
hatte ihnen daher, wo Bergleder fehlten, Brachfelder und Wiesen zur Hütung
eingeräumt, und wo Bergweide genug vorhanden war, hatten sie die Zahl der
Schafe vermehrt, um auch die Brach- und Wiesenhütnng ausnutzen zu können.
Das Rindvieh ging entweder mit auf die Wiesen oder in die Waldungen, die
Schweine wühlten auf den Aeckern, und wo man Pferde zog, hatte man Riede
und Hutweiden. Der Gutsherr besaß nicht nur das Triftrecht auf seinen
eigenen Ländereien, sondern meist auch noch die Koppeltrift auf den Grund¬
stücken seiner Bauern, welche schon dadurch verhindert waren, die Wiesen zu
hegen und das Brachfeld mit Futtergewächsen zu bestellen. Infolge dessen
ging das Winterfutter gewöhnlich mit dem März zu Ende, und die Schafe
mußten, sobald der Schnee geschwunden war, auf den nassen Wiesen ihr spär¬
liches ungesundes Futter suchen und kamen erst nach dem elften Mai von den
Wiesen zur Trift. Den Kühen holten im Frühling die Mägde auf Bracher
und Saatfeldern junges Futter, welches mit Stroh vermengt geschnitten wurde
und knapp hinreichte, ihnen das Leben zu fristen. Erst wenn die Zeit der
Waldweide kam, erholten sie sich, aber mit dem Eintritt der Sonnenhitze ent¬
stand von Neuem Noth. Das Vieh, von Staub und Hitze, Hunger und In¬
sekten gepeinigt, stürzte sich gierig auf solche Stellen, wo stehende Nässe noch
grünen Pflanzenwuchs erhalten hatte, und holte sich dort Krankheiten und bis¬
weilen den Tod. So kam der Herbst heran, wo die Schafe auf Stoppelfeldern,
das Rindvieh auf Wiesen wieder reiches Futter fanden, bis das letztere im
Spätherbste die Ställe bezog, während die Schafe noch bis zum Eintritt des
Winters sich ihr ganzes Futter auf den Wiesen suchen mußten. Ans diese
Weise konnte es nicht fehlen, daß öfters Viehseuchen ausbrachen, und daß, wenn
das Frühjahr erst spät kam, die Schafheerden bisweilen bis zur Hälfte durch
Mangel an Nahrung vernichtet wurden.

Gegen einzelne dieser Mißstände traten in der ersten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts praktische Landwirthe wie Leopoldt in Sorau, v. Eckhart, Hage¬
dorn und Reichere auf, aber ohne durchschlagenden Erfolg; denn einestheils
gingen die Betreffenden nicht weit genug, andrerseits hatten sie nicht nur wohl
erworbene Berechtigungen, die man mit Entschädigung beseitigen konnte, sondern


der Wiesen, die freilich auch nur von Walpurgis bis zur Heuernte gehegt
wurden, war nicht die Rede. Hatte ein Bauer sich Geld erübrigt, so legte er
es in den Kasten oder kaufte sich Land dafür, statt damit sein Land zu ver¬
bessern, während doch fünfzig Aecker gut bewirthschaftet mehr einbringen als
hundert Aecker bei schlechter Verwaltung.

Im östlichen Deutschland, Kursachsen, der Lausitz, Brandenburg, Pommern,
Thüringen und den Gegenden am Harz, sowie in Kurhessen, Böhmen und Mähren
bildeten die Schäfereien den Haupterwerbszweig der größeren Landwirthe. Man
hatte ihnen daher, wo Bergleder fehlten, Brachfelder und Wiesen zur Hütung
eingeräumt, und wo Bergweide genug vorhanden war, hatten sie die Zahl der
Schafe vermehrt, um auch die Brach- und Wiesenhütnng ausnutzen zu können.
Das Rindvieh ging entweder mit auf die Wiesen oder in die Waldungen, die
Schweine wühlten auf den Aeckern, und wo man Pferde zog, hatte man Riede
und Hutweiden. Der Gutsherr besaß nicht nur das Triftrecht auf seinen
eigenen Ländereien, sondern meist auch noch die Koppeltrift auf den Grund¬
stücken seiner Bauern, welche schon dadurch verhindert waren, die Wiesen zu
hegen und das Brachfeld mit Futtergewächsen zu bestellen. Infolge dessen
ging das Winterfutter gewöhnlich mit dem März zu Ende, und die Schafe
mußten, sobald der Schnee geschwunden war, auf den nassen Wiesen ihr spär¬
liches ungesundes Futter suchen und kamen erst nach dem elften Mai von den
Wiesen zur Trift. Den Kühen holten im Frühling die Mägde auf Bracher
und Saatfeldern junges Futter, welches mit Stroh vermengt geschnitten wurde
und knapp hinreichte, ihnen das Leben zu fristen. Erst wenn die Zeit der
Waldweide kam, erholten sie sich, aber mit dem Eintritt der Sonnenhitze ent¬
stand von Neuem Noth. Das Vieh, von Staub und Hitze, Hunger und In¬
sekten gepeinigt, stürzte sich gierig auf solche Stellen, wo stehende Nässe noch
grünen Pflanzenwuchs erhalten hatte, und holte sich dort Krankheiten und bis¬
weilen den Tod. So kam der Herbst heran, wo die Schafe auf Stoppelfeldern,
das Rindvieh auf Wiesen wieder reiches Futter fanden, bis das letztere im
Spätherbste die Ställe bezog, während die Schafe noch bis zum Eintritt des
Winters sich ihr ganzes Futter auf den Wiesen suchen mußten. Ans diese
Weise konnte es nicht fehlen, daß öfters Viehseuchen ausbrachen, und daß, wenn
das Frühjahr erst spät kam, die Schafheerden bisweilen bis zur Hälfte durch
Mangel an Nahrung vernichtet wurden.

Gegen einzelne dieser Mißstände traten in der ersten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts praktische Landwirthe wie Leopoldt in Sorau, v. Eckhart, Hage¬
dorn und Reichere auf, aber ohne durchschlagenden Erfolg; denn einestheils
gingen die Betreffenden nicht weit genug, andrerseits hatten sie nicht nur wohl
erworbene Berechtigungen, die man mit Entschädigung beseitigen konnte, sondern


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[0371] der Wiesen, die freilich auch nur von Walpurgis bis zur Heuernte gehegt wurden, war nicht die Rede. Hatte ein Bauer sich Geld erübrigt, so legte er es in den Kasten oder kaufte sich Land dafür, statt damit sein Land zu ver¬ bessern, während doch fünfzig Aecker gut bewirthschaftet mehr einbringen als hundert Aecker bei schlechter Verwaltung. Im östlichen Deutschland, Kursachsen, der Lausitz, Brandenburg, Pommern, Thüringen und den Gegenden am Harz, sowie in Kurhessen, Böhmen und Mähren bildeten die Schäfereien den Haupterwerbszweig der größeren Landwirthe. Man hatte ihnen daher, wo Bergleder fehlten, Brachfelder und Wiesen zur Hütung eingeräumt, und wo Bergweide genug vorhanden war, hatten sie die Zahl der Schafe vermehrt, um auch die Brach- und Wiesenhütnng ausnutzen zu können. Das Rindvieh ging entweder mit auf die Wiesen oder in die Waldungen, die Schweine wühlten auf den Aeckern, und wo man Pferde zog, hatte man Riede und Hutweiden. Der Gutsherr besaß nicht nur das Triftrecht auf seinen eigenen Ländereien, sondern meist auch noch die Koppeltrift auf den Grund¬ stücken seiner Bauern, welche schon dadurch verhindert waren, die Wiesen zu hegen und das Brachfeld mit Futtergewächsen zu bestellen. Infolge dessen ging das Winterfutter gewöhnlich mit dem März zu Ende, und die Schafe mußten, sobald der Schnee geschwunden war, auf den nassen Wiesen ihr spär¬ liches ungesundes Futter suchen und kamen erst nach dem elften Mai von den Wiesen zur Trift. Den Kühen holten im Frühling die Mägde auf Bracher und Saatfeldern junges Futter, welches mit Stroh vermengt geschnitten wurde und knapp hinreichte, ihnen das Leben zu fristen. Erst wenn die Zeit der Waldweide kam, erholten sie sich, aber mit dem Eintritt der Sonnenhitze ent¬ stand von Neuem Noth. Das Vieh, von Staub und Hitze, Hunger und In¬ sekten gepeinigt, stürzte sich gierig auf solche Stellen, wo stehende Nässe noch grünen Pflanzenwuchs erhalten hatte, und holte sich dort Krankheiten und bis¬ weilen den Tod. So kam der Herbst heran, wo die Schafe auf Stoppelfeldern, das Rindvieh auf Wiesen wieder reiches Futter fanden, bis das letztere im Spätherbste die Ställe bezog, während die Schafe noch bis zum Eintritt des Winters sich ihr ganzes Futter auf den Wiesen suchen mußten. Ans diese Weise konnte es nicht fehlen, daß öfters Viehseuchen ausbrachen, und daß, wenn das Frühjahr erst spät kam, die Schafheerden bisweilen bis zur Hälfte durch Mangel an Nahrung vernichtet wurden. Gegen einzelne dieser Mißstände traten in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts praktische Landwirthe wie Leopoldt in Sorau, v. Eckhart, Hage¬ dorn und Reichere auf, aber ohne durchschlagenden Erfolg; denn einestheils gingen die Betreffenden nicht weit genug, andrerseits hatten sie nicht nur wohl erworbene Berechtigungen, die man mit Entschädigung beseitigen konnte, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/371>, abgerufen am 23.07.2024.