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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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auch das Vorurtheil des gemeinen Mannes gegen sich, der mit Mißtrauen
jedem Versuche begegnete, die durch tausendjähriges Bestehen geheiligte und
mit allen seinen Lebensgewohnheiten eng verwachsene Flurverfassung zu ändern.

Zuerst nun ging dem Grundübel der Landwirthschaft, der Triftgerechtigkeit
auf Bracher und Wiesen, welche die Einführung des Futterbaues und der
Stallfütterung verhinderte und damit der Gewinnung reichlichen Düngers zur
Verbesserung der Felder im Wege stand, die physikalisch-ökonomische
Societät zu Lautern in der Pfalz zu Leibe, indem sie die rheinischen
Fürsten um Aufhebung der lästigen servitute gegen billige Entschädigung er¬
suchte. Die Bitte wurde berücksichtigt, und in der Rheinpfalz, im Zwei-
brückenschen, Darmftädtischen, Badenschen und Hohenloheschen wurden Gesetze
zum Schutze des Klee- und Futterbaues erlassen, infolge deren sich diese
Gegenden rasch zu großer Blüthe erhoben. Auch in Preußen fand die neue
Lehre, welche Futter in Masse, reichlichen Dünger, gute Ernten und bei voller
Gesundheit der Thiere die besten Erträge an Milch und Wolle versprach, An¬
klang, aber doch mehr Gegner. Indeß strebte Friedrich der Große die Ein¬
führung der besseren Betriebsweise mit Nachdruck an, und so verstanden sich
allmählich neben den Domänenpächtern auch andere Landwirthe dazu, sie bei
sich einzuführen, was dann in mehreren Nachbarländern Nachahmung fand.
Noch besser als dem Klee erging es der Kartoffel, die bisher allenthalben mit
Vorurtheilen zu kämpfen gehabt, nach den nassen Jahren 1770 und 1771,
wo der Preis des Roggens sich fast verdoppelte. In Thüringen, Ober- und
Niedersachsen, Westphalen, der Mark, Schlesien, Franken und Hessen beeilte
man sich, das Versäumte nachzuholen. Man pflanzte die unschätzbare Knolle
überall an, wo die noch bestehenden Hütnngsservitnte es erlaubten, man riß
sogar die Reben von Weinbergen ans, um letztere in Kartoffelacker zu ver¬
wandeln, und an vielen Orten verschwanden die Rebenhügel ganz, und nur
ihre Namen erinnerten fortan noch daran, daß der Weinbau einst viel aus¬
gebreiteter betrieben worden war, als nach dieser Zeit.

In Kursachsen, welches durch den siebenjährigen Krieg und nicht minder
durch die Schandwirthschaft Augusts III. und seines elenden Ministers, des
Grafen Brühl, ausgesogen worden und vielfach zurückgeblieben war, trat
Schubart als Reformator auf, der zunächst dnrch sein Beispiel, dann auch
durch Schriften weit über die Grenzen seines Heimathlandes hinaus wirkte. Er
gestaltete sein Gut Würchwitz bei Zeitz nach der rheinischen Methode bis zum
Jahre 1777 dermaßen um, daß es in der ganzen Umgegend als Muster galt.
Dann, als die Bauern die reiche Kleeernte erblickten und sahen, wie im Januar,
wo ihr kümmerlich aussehendes Vieh sich mit knapper Strohfütternng begnügen
mußte, von Schubarts reichlich genährten Kühen vier Stück soviel Milch gaben


auch das Vorurtheil des gemeinen Mannes gegen sich, der mit Mißtrauen
jedem Versuche begegnete, die durch tausendjähriges Bestehen geheiligte und
mit allen seinen Lebensgewohnheiten eng verwachsene Flurverfassung zu ändern.

Zuerst nun ging dem Grundübel der Landwirthschaft, der Triftgerechtigkeit
auf Bracher und Wiesen, welche die Einführung des Futterbaues und der
Stallfütterung verhinderte und damit der Gewinnung reichlichen Düngers zur
Verbesserung der Felder im Wege stand, die physikalisch-ökonomische
Societät zu Lautern in der Pfalz zu Leibe, indem sie die rheinischen
Fürsten um Aufhebung der lästigen servitute gegen billige Entschädigung er¬
suchte. Die Bitte wurde berücksichtigt, und in der Rheinpfalz, im Zwei-
brückenschen, Darmftädtischen, Badenschen und Hohenloheschen wurden Gesetze
zum Schutze des Klee- und Futterbaues erlassen, infolge deren sich diese
Gegenden rasch zu großer Blüthe erhoben. Auch in Preußen fand die neue
Lehre, welche Futter in Masse, reichlichen Dünger, gute Ernten und bei voller
Gesundheit der Thiere die besten Erträge an Milch und Wolle versprach, An¬
klang, aber doch mehr Gegner. Indeß strebte Friedrich der Große die Ein¬
führung der besseren Betriebsweise mit Nachdruck an, und so verstanden sich
allmählich neben den Domänenpächtern auch andere Landwirthe dazu, sie bei
sich einzuführen, was dann in mehreren Nachbarländern Nachahmung fand.
Noch besser als dem Klee erging es der Kartoffel, die bisher allenthalben mit
Vorurtheilen zu kämpfen gehabt, nach den nassen Jahren 1770 und 1771,
wo der Preis des Roggens sich fast verdoppelte. In Thüringen, Ober- und
Niedersachsen, Westphalen, der Mark, Schlesien, Franken und Hessen beeilte
man sich, das Versäumte nachzuholen. Man pflanzte die unschätzbare Knolle
überall an, wo die noch bestehenden Hütnngsservitnte es erlaubten, man riß
sogar die Reben von Weinbergen ans, um letztere in Kartoffelacker zu ver¬
wandeln, und an vielen Orten verschwanden die Rebenhügel ganz, und nur
ihre Namen erinnerten fortan noch daran, daß der Weinbau einst viel aus¬
gebreiteter betrieben worden war, als nach dieser Zeit.

In Kursachsen, welches durch den siebenjährigen Krieg und nicht minder
durch die Schandwirthschaft Augusts III. und seines elenden Ministers, des
Grafen Brühl, ausgesogen worden und vielfach zurückgeblieben war, trat
Schubart als Reformator auf, der zunächst dnrch sein Beispiel, dann auch
durch Schriften weit über die Grenzen seines Heimathlandes hinaus wirkte. Er
gestaltete sein Gut Würchwitz bei Zeitz nach der rheinischen Methode bis zum
Jahre 1777 dermaßen um, daß es in der ganzen Umgegend als Muster galt.
Dann, als die Bauern die reiche Kleeernte erblickten und sahen, wie im Januar,
wo ihr kümmerlich aussehendes Vieh sich mit knapper Strohfütternng begnügen
mußte, von Schubarts reichlich genährten Kühen vier Stück soviel Milch gaben


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[0372] auch das Vorurtheil des gemeinen Mannes gegen sich, der mit Mißtrauen jedem Versuche begegnete, die durch tausendjähriges Bestehen geheiligte und mit allen seinen Lebensgewohnheiten eng verwachsene Flurverfassung zu ändern. Zuerst nun ging dem Grundübel der Landwirthschaft, der Triftgerechtigkeit auf Bracher und Wiesen, welche die Einführung des Futterbaues und der Stallfütterung verhinderte und damit der Gewinnung reichlichen Düngers zur Verbesserung der Felder im Wege stand, die physikalisch-ökonomische Societät zu Lautern in der Pfalz zu Leibe, indem sie die rheinischen Fürsten um Aufhebung der lästigen servitute gegen billige Entschädigung er¬ suchte. Die Bitte wurde berücksichtigt, und in der Rheinpfalz, im Zwei- brückenschen, Darmftädtischen, Badenschen und Hohenloheschen wurden Gesetze zum Schutze des Klee- und Futterbaues erlassen, infolge deren sich diese Gegenden rasch zu großer Blüthe erhoben. Auch in Preußen fand die neue Lehre, welche Futter in Masse, reichlichen Dünger, gute Ernten und bei voller Gesundheit der Thiere die besten Erträge an Milch und Wolle versprach, An¬ klang, aber doch mehr Gegner. Indeß strebte Friedrich der Große die Ein¬ führung der besseren Betriebsweise mit Nachdruck an, und so verstanden sich allmählich neben den Domänenpächtern auch andere Landwirthe dazu, sie bei sich einzuführen, was dann in mehreren Nachbarländern Nachahmung fand. Noch besser als dem Klee erging es der Kartoffel, die bisher allenthalben mit Vorurtheilen zu kämpfen gehabt, nach den nassen Jahren 1770 und 1771, wo der Preis des Roggens sich fast verdoppelte. In Thüringen, Ober- und Niedersachsen, Westphalen, der Mark, Schlesien, Franken und Hessen beeilte man sich, das Versäumte nachzuholen. Man pflanzte die unschätzbare Knolle überall an, wo die noch bestehenden Hütnngsservitnte es erlaubten, man riß sogar die Reben von Weinbergen ans, um letztere in Kartoffelacker zu ver¬ wandeln, und an vielen Orten verschwanden die Rebenhügel ganz, und nur ihre Namen erinnerten fortan noch daran, daß der Weinbau einst viel aus¬ gebreiteter betrieben worden war, als nach dieser Zeit. In Kursachsen, welches durch den siebenjährigen Krieg und nicht minder durch die Schandwirthschaft Augusts III. und seines elenden Ministers, des Grafen Brühl, ausgesogen worden und vielfach zurückgeblieben war, trat Schubart als Reformator auf, der zunächst dnrch sein Beispiel, dann auch durch Schriften weit über die Grenzen seines Heimathlandes hinaus wirkte. Er gestaltete sein Gut Würchwitz bei Zeitz nach der rheinischen Methode bis zum Jahre 1777 dermaßen um, daß es in der ganzen Umgegend als Muster galt. Dann, als die Bauern die reiche Kleeernte erblickten und sahen, wie im Januar, wo ihr kümmerlich aussehendes Vieh sich mit knapper Strohfütternng begnügen mußte, von Schubarts reichlich genährten Kühen vier Stück soviel Milch gaben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/372>, abgerufen am 23.07.2024.