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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Stufen -- Hochschulen, gewerbliche Mittelschulen, Fachschulen für Handwerker
-- vorzulegen. Ganz besonders ans die Fachschulen für Handwerker wurde
vou dem Antragsteller selbst und auch von anderen Rednern der Nachdruck ge¬
legt. Und in der That, der bedauerliche Rückgang unserer gewerblichen Leist¬
ungen hängt ganz ohne Zweifel aufs engste zusammen mit dem Mangel an
eigentlicher Fachbildung. Von Seiten des Staates ist dies Gebiet bisher
gänzlich vernachlässigt worden. Wir haben technische Hochschulen, auch leid¬
liche Mittelschulen, für die unterste Stufe aber mangelt es, von einigen pri¬
vaten Organisationen abgesehen, an Allein. Ans dem Gebiete der Landwirth¬
schaft ist durch die Pflege der specifisch landwirtschaftlichen Fortbildungsschule
in den letzten Jahren Tüchtiges geleistet, für eine Fachbildung der Handwerker
aber ist nnr höchst mangelhaft gesorgt. Hier muß vor allem eingesetzt werden,
wenn die große Aufgabe der Wiederhebung unseres Gewerbewesens gelingen
soll. Wie die Organisation anzufassen sei, wird freilich noch gründlicher Er¬
wägung bedürfen. Einstweilen gingen die Ansichten weit auseinander. Die
Centrumspartei null überhaupt keine gesetzliche Regelung der Angelegenheit,
sondern nur eine "lebhaftere Forderung" seitens der Regierung. Von anderer
Seite meinte man, daß der Staat sich ans Normativbestimmungen zu beschränken
habe. Mit großer Majorität wurde schließlich der Antrag Wehrenpfeunig mit
der Maßgabe angenommen, daß die Regelung im Zusammenhange mit dem
allgemeinen Unterrichtsgesetz erfolgen soll. Jedenfalls ist die Angelegenheit
nun in Fluß gebracht. Die Regierung hat in den württembergischen Fach¬
schulen ein höchst beachtenswerthes Beispiel vor Angen. Unter Berücksichtigung
der dort gemachten Erfahrungen, beziehungsweise der dort hervorgetretenen
Mängel, wird sie das Richtige zu schaffen im Stande fein.

Ein Gesetzentwurf, welcher den Provinzialverbänden gestattet, die ihnen
überwiesenen Dotationen auch zur Anlage von sogenannten Seknndäreisenbahnen
zu verwenden, hat die beiden ersten Lesungen passirt. Es handelt sich ledig¬
lich um eine sehr zweckmäßige Erweiterung der Dispositionsbefngniß der
Provinziellen Selbstverwaltungskörper über die Dvtationsfonds, durchaus
aber uicht um die Uebernahme neuer Verpflichtungen durch die Provinzen.
Die Hartnäckigkeit, mit welcher Herr Windthorst eine derartige Perspektive er¬
öffnete und die wunderlichsten Schreckbilder an die Wand malte, wäre schier
unbegreiflich, wenn man nicht längst wüßte, daß das Centrum auch vor dem
Widersinnigsten nicht zurücksehend, um einen Vor wand für seine Opposition
zu finden.

Die Budgetdebatten der abgelaufenen Woche drehten sich vorwiegend um
den Etat für Handel, Gewerbe und Bauwesen. Im Punkte der öffentlichen
Bunten mußte der Handelsminister Achenbnch scharfen Tadel über sich ergehen


Stufen — Hochschulen, gewerbliche Mittelschulen, Fachschulen für Handwerker
— vorzulegen. Ganz besonders ans die Fachschulen für Handwerker wurde
vou dem Antragsteller selbst und auch von anderen Rednern der Nachdruck ge¬
legt. Und in der That, der bedauerliche Rückgang unserer gewerblichen Leist¬
ungen hängt ganz ohne Zweifel aufs engste zusammen mit dem Mangel an
eigentlicher Fachbildung. Von Seiten des Staates ist dies Gebiet bisher
gänzlich vernachlässigt worden. Wir haben technische Hochschulen, auch leid¬
liche Mittelschulen, für die unterste Stufe aber mangelt es, von einigen pri¬
vaten Organisationen abgesehen, an Allein. Ans dem Gebiete der Landwirth¬
schaft ist durch die Pflege der specifisch landwirtschaftlichen Fortbildungsschule
in den letzten Jahren Tüchtiges geleistet, für eine Fachbildung der Handwerker
aber ist nnr höchst mangelhaft gesorgt. Hier muß vor allem eingesetzt werden,
wenn die große Aufgabe der Wiederhebung unseres Gewerbewesens gelingen
soll. Wie die Organisation anzufassen sei, wird freilich noch gründlicher Er¬
wägung bedürfen. Einstweilen gingen die Ansichten weit auseinander. Die
Centrumspartei null überhaupt keine gesetzliche Regelung der Angelegenheit,
sondern nur eine „lebhaftere Forderung" seitens der Regierung. Von anderer
Seite meinte man, daß der Staat sich ans Normativbestimmungen zu beschränken
habe. Mit großer Majorität wurde schließlich der Antrag Wehrenpfeunig mit
der Maßgabe angenommen, daß die Regelung im Zusammenhange mit dem
allgemeinen Unterrichtsgesetz erfolgen soll. Jedenfalls ist die Angelegenheit
nun in Fluß gebracht. Die Regierung hat in den württembergischen Fach¬
schulen ein höchst beachtenswerthes Beispiel vor Angen. Unter Berücksichtigung
der dort gemachten Erfahrungen, beziehungsweise der dort hervorgetretenen
Mängel, wird sie das Richtige zu schaffen im Stande fein.

Ein Gesetzentwurf, welcher den Provinzialverbänden gestattet, die ihnen
überwiesenen Dotationen auch zur Anlage von sogenannten Seknndäreisenbahnen
zu verwenden, hat die beiden ersten Lesungen passirt. Es handelt sich ledig¬
lich um eine sehr zweckmäßige Erweiterung der Dispositionsbefngniß der
Provinziellen Selbstverwaltungskörper über die Dvtationsfonds, durchaus
aber uicht um die Uebernahme neuer Verpflichtungen durch die Provinzen.
Die Hartnäckigkeit, mit welcher Herr Windthorst eine derartige Perspektive er¬
öffnete und die wunderlichsten Schreckbilder an die Wand malte, wäre schier
unbegreiflich, wenn man nicht längst wüßte, daß das Centrum auch vor dem
Widersinnigsten nicht zurücksehend, um einen Vor wand für seine Opposition
zu finden.

Die Budgetdebatten der abgelaufenen Woche drehten sich vorwiegend um
den Etat für Handel, Gewerbe und Bauwesen. Im Punkte der öffentlichen
Bunten mußte der Handelsminister Achenbnch scharfen Tadel über sich ergehen


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[0365] Stufen — Hochschulen, gewerbliche Mittelschulen, Fachschulen für Handwerker — vorzulegen. Ganz besonders ans die Fachschulen für Handwerker wurde vou dem Antragsteller selbst und auch von anderen Rednern der Nachdruck ge¬ legt. Und in der That, der bedauerliche Rückgang unserer gewerblichen Leist¬ ungen hängt ganz ohne Zweifel aufs engste zusammen mit dem Mangel an eigentlicher Fachbildung. Von Seiten des Staates ist dies Gebiet bisher gänzlich vernachlässigt worden. Wir haben technische Hochschulen, auch leid¬ liche Mittelschulen, für die unterste Stufe aber mangelt es, von einigen pri¬ vaten Organisationen abgesehen, an Allein. Ans dem Gebiete der Landwirth¬ schaft ist durch die Pflege der specifisch landwirtschaftlichen Fortbildungsschule in den letzten Jahren Tüchtiges geleistet, für eine Fachbildung der Handwerker aber ist nnr höchst mangelhaft gesorgt. Hier muß vor allem eingesetzt werden, wenn die große Aufgabe der Wiederhebung unseres Gewerbewesens gelingen soll. Wie die Organisation anzufassen sei, wird freilich noch gründlicher Er¬ wägung bedürfen. Einstweilen gingen die Ansichten weit auseinander. Die Centrumspartei null überhaupt keine gesetzliche Regelung der Angelegenheit, sondern nur eine „lebhaftere Forderung" seitens der Regierung. Von anderer Seite meinte man, daß der Staat sich ans Normativbestimmungen zu beschränken habe. Mit großer Majorität wurde schließlich der Antrag Wehrenpfeunig mit der Maßgabe angenommen, daß die Regelung im Zusammenhange mit dem allgemeinen Unterrichtsgesetz erfolgen soll. Jedenfalls ist die Angelegenheit nun in Fluß gebracht. Die Regierung hat in den württembergischen Fach¬ schulen ein höchst beachtenswerthes Beispiel vor Angen. Unter Berücksichtigung der dort gemachten Erfahrungen, beziehungsweise der dort hervorgetretenen Mängel, wird sie das Richtige zu schaffen im Stande fein. Ein Gesetzentwurf, welcher den Provinzialverbänden gestattet, die ihnen überwiesenen Dotationen auch zur Anlage von sogenannten Seknndäreisenbahnen zu verwenden, hat die beiden ersten Lesungen passirt. Es handelt sich ledig¬ lich um eine sehr zweckmäßige Erweiterung der Dispositionsbefngniß der Provinziellen Selbstverwaltungskörper über die Dvtationsfonds, durchaus aber uicht um die Uebernahme neuer Verpflichtungen durch die Provinzen. Die Hartnäckigkeit, mit welcher Herr Windthorst eine derartige Perspektive er¬ öffnete und die wunderlichsten Schreckbilder an die Wand malte, wäre schier unbegreiflich, wenn man nicht längst wüßte, daß das Centrum auch vor dem Widersinnigsten nicht zurücksehend, um einen Vor wand für seine Opposition zu finden. Die Budgetdebatten der abgelaufenen Woche drehten sich vorwiegend um den Etat für Handel, Gewerbe und Bauwesen. Im Punkte der öffentlichen Bunten mußte der Handelsminister Achenbnch scharfen Tadel über sich ergehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/365>, abgerufen am 03.07.2024.