Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lassen sie weg. Das ganze Truggewebe aufreizender Behauptungen wird ins
Land hinausgeschleudert, die Widerlegung bekommt der Gläubige nicht zu hören.

Ein wenig erquickliches Schauspiel bietet der Ehescheidnngsprozeß, den
Ost- und Westpreußen .vor dem Abgeordnetenhause führen. Die Provinz
Preußen soll in zwei selbständige Provinzialverbände getrennt werden, eine
Operation, welche die Westpreußen, mit Ausnahme der Stadt Elbing, ebenso
eifrig befürworten, wie die Ostpreußen ihr widerstreben. Es ist ein bedauer¬
liches Maß von Bitterkeit und Gehässigkeit in den Streit hineingetragen
worden. Bei der Sucht, überall die Nationalliberalen ihre Hand im Spiele
haben zu scheu, scheut sich ein Theil der fortschrittlichen. Presse nicht, die Tren¬
nung zu einer nationalliberalen Parteiintrigue zu stempeln; der Haß gegen
Ostpreußen als die "feste Burg der Fortschrittspartei" soll die Nationallibe-
ralen antreiben, dasselbe von dem reicheren und deshalb des Provinzialdotations-
fonds weniger bedürftigen Westpreußen loszutrennen. Dieser Vorwurf hat in¬
deß seit den jüngsten Reichstagswahlen seine Plausibilität stark eingebüßt;
infolge der von der Fortschrittspartei beliebten genialen Spaltung der Liberalen
ist Ostpreußen ans dem besten Wege, zur festen Burg der Conservativen, und
zwar von der reaktionären Nüance zu werden. Die Behauptung ferner, die
ganze Trennungsbewegung sei in Seene gesetzt von einigen ehrgeizigen Dan-
ziger Agitatoren, widerlegt sich dnrch die einfache Thatsache, daß mit Ausnahme
der Vertreter Elbings sämmtliche westpreußische Provinzialtandtagsmitglteder
ohne Unterschied der Partei- und Berufsstellung die Trennung verlangen.
Diese Thatsache in Verbindung mit der Erwägung, daß die beiden Landsstheile
in Bezug auf die Angelegenheiten der allgemeinen Landesverwaltung zwar
einen einheitlichen Verband bilden, ihre communalen Institutionen aber bis
auf den heutigen Tag gesondert bewahrt haben, sollte von durchschlagenden
Gewicht sein. Die Vorgänge auf dem uach der neuen Provinzialvrdnung ge¬
wählten Landtage, wo stets eine geschlossene westpreußische Minorität einer eben¬
so geschlossenen ostpreußischen Majorität gegenüber stand, haben zur Genüge
erkennen lassen, daß hier die ersten Vorbedingungen eines ersprießlichen Funk-
tionirens der neuen Selbstverwaltung fehlen. Da nun die beiden Provinzen
nach der Trennung noch immer die durchschnittliche Große der übrigen preußi¬
schen Provinzen haben werden, da ferner erst dann jede derselben eine natür¬
liche Hauptstadt, welche jetzt in der einheitlichen Provinz fehlt, erhalten wird,
so ist nicht zu bezweifeln, daß das Abgeordnetenhaus diejenige Konsequenz
ziehen wird, welche der gesunde Menschenverstand fordert.

Einen dankenswerthen Antrag hatte der Abgeordnete Wehreupfeunig an das
Hans gebracht, eine Aufforderung an die Regierung, einen Gesetzentwurf über
die Organisation des technischen Unterrichtswesens nach seinen verschiedenen


lassen sie weg. Das ganze Truggewebe aufreizender Behauptungen wird ins
Land hinausgeschleudert, die Widerlegung bekommt der Gläubige nicht zu hören.

Ein wenig erquickliches Schauspiel bietet der Ehescheidnngsprozeß, den
Ost- und Westpreußen .vor dem Abgeordnetenhause führen. Die Provinz
Preußen soll in zwei selbständige Provinzialverbände getrennt werden, eine
Operation, welche die Westpreußen, mit Ausnahme der Stadt Elbing, ebenso
eifrig befürworten, wie die Ostpreußen ihr widerstreben. Es ist ein bedauer¬
liches Maß von Bitterkeit und Gehässigkeit in den Streit hineingetragen
worden. Bei der Sucht, überall die Nationalliberalen ihre Hand im Spiele
haben zu scheu, scheut sich ein Theil der fortschrittlichen. Presse nicht, die Tren¬
nung zu einer nationalliberalen Parteiintrigue zu stempeln; der Haß gegen
Ostpreußen als die „feste Burg der Fortschrittspartei" soll die Nationallibe-
ralen antreiben, dasselbe von dem reicheren und deshalb des Provinzialdotations-
fonds weniger bedürftigen Westpreußen loszutrennen. Dieser Vorwurf hat in¬
deß seit den jüngsten Reichstagswahlen seine Plausibilität stark eingebüßt;
infolge der von der Fortschrittspartei beliebten genialen Spaltung der Liberalen
ist Ostpreußen ans dem besten Wege, zur festen Burg der Conservativen, und
zwar von der reaktionären Nüance zu werden. Die Behauptung ferner, die
ganze Trennungsbewegung sei in Seene gesetzt von einigen ehrgeizigen Dan-
ziger Agitatoren, widerlegt sich dnrch die einfache Thatsache, daß mit Ausnahme
der Vertreter Elbings sämmtliche westpreußische Provinzialtandtagsmitglteder
ohne Unterschied der Partei- und Berufsstellung die Trennung verlangen.
Diese Thatsache in Verbindung mit der Erwägung, daß die beiden Landsstheile
in Bezug auf die Angelegenheiten der allgemeinen Landesverwaltung zwar
einen einheitlichen Verband bilden, ihre communalen Institutionen aber bis
auf den heutigen Tag gesondert bewahrt haben, sollte von durchschlagenden
Gewicht sein. Die Vorgänge auf dem uach der neuen Provinzialvrdnung ge¬
wählten Landtage, wo stets eine geschlossene westpreußische Minorität einer eben¬
so geschlossenen ostpreußischen Majorität gegenüber stand, haben zur Genüge
erkennen lassen, daß hier die ersten Vorbedingungen eines ersprießlichen Funk-
tionirens der neuen Selbstverwaltung fehlen. Da nun die beiden Provinzen
nach der Trennung noch immer die durchschnittliche Große der übrigen preußi¬
schen Provinzen haben werden, da ferner erst dann jede derselben eine natür¬
liche Hauptstadt, welche jetzt in der einheitlichen Provinz fehlt, erhalten wird,
so ist nicht zu bezweifeln, daß das Abgeordnetenhaus diejenige Konsequenz
ziehen wird, welche der gesunde Menschenverstand fordert.

Einen dankenswerthen Antrag hatte der Abgeordnete Wehreupfeunig an das
Hans gebracht, eine Aufforderung an die Regierung, einen Gesetzentwurf über
die Organisation des technischen Unterrichtswesens nach seinen verschiedenen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137537"/>
          <p xml:id="ID_1197" prev="#ID_1196"> lassen sie weg. Das ganze Truggewebe aufreizender Behauptungen wird ins<lb/>
Land hinausgeschleudert, die Widerlegung bekommt der Gläubige nicht zu hören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1198"> Ein wenig erquickliches Schauspiel bietet der Ehescheidnngsprozeß, den<lb/>
Ost- und Westpreußen .vor dem Abgeordnetenhause führen.  Die Provinz<lb/>
Preußen soll in zwei selbständige Provinzialverbände getrennt werden, eine<lb/>
Operation, welche die Westpreußen, mit Ausnahme der Stadt Elbing, ebenso<lb/>
eifrig befürworten, wie die Ostpreußen ihr widerstreben.  Es ist ein bedauer¬<lb/>
liches Maß von Bitterkeit und Gehässigkeit in den Streit hineingetragen<lb/>
worden. Bei der Sucht, überall die Nationalliberalen ihre Hand im Spiele<lb/>
haben zu scheu, scheut sich ein Theil der fortschrittlichen. Presse nicht, die Tren¬<lb/>
nung zu einer nationalliberalen Parteiintrigue zu stempeln; der Haß gegen<lb/>
Ostpreußen als die &#x201E;feste Burg der Fortschrittspartei" soll die Nationallibe-<lb/>
ralen antreiben, dasselbe von dem reicheren und deshalb des Provinzialdotations-<lb/>
fonds weniger bedürftigen Westpreußen loszutrennen. Dieser Vorwurf hat in¬<lb/>
deß seit den jüngsten Reichstagswahlen seine Plausibilität stark eingebüßt;<lb/>
infolge der von der Fortschrittspartei beliebten genialen Spaltung der Liberalen<lb/>
ist Ostpreußen ans dem besten Wege, zur festen Burg der Conservativen, und<lb/>
zwar von der reaktionären Nüance zu werden.  Die Behauptung ferner, die<lb/>
ganze Trennungsbewegung sei in Seene gesetzt von einigen ehrgeizigen Dan-<lb/>
ziger Agitatoren, widerlegt sich dnrch die einfache Thatsache, daß mit Ausnahme<lb/>
der Vertreter Elbings sämmtliche westpreußische Provinzialtandtagsmitglteder<lb/>
ohne Unterschied der Partei- und Berufsstellung die Trennung verlangen.<lb/>
Diese Thatsache in Verbindung mit der Erwägung, daß die beiden Landsstheile<lb/>
in Bezug auf die Angelegenheiten der allgemeinen Landesverwaltung zwar<lb/>
einen einheitlichen Verband bilden, ihre communalen Institutionen aber bis<lb/>
auf den heutigen Tag gesondert bewahrt haben, sollte von durchschlagenden<lb/>
Gewicht sein.  Die Vorgänge auf dem uach der neuen Provinzialvrdnung ge¬<lb/>
wählten Landtage, wo stets eine geschlossene westpreußische Minorität einer eben¬<lb/>
so geschlossenen ostpreußischen Majorität gegenüber stand, haben zur Genüge<lb/>
erkennen lassen, daß hier die ersten Vorbedingungen eines ersprießlichen Funk-<lb/>
tionirens der neuen Selbstverwaltung fehlen. Da nun die beiden Provinzen<lb/>
nach der Trennung noch immer die durchschnittliche Große der übrigen preußi¬<lb/>
schen Provinzen haben werden, da ferner erst dann jede derselben eine natür¬<lb/>
liche Hauptstadt, welche jetzt in der einheitlichen Provinz fehlt, erhalten wird,<lb/>
so ist nicht zu bezweifeln, daß das Abgeordnetenhaus diejenige Konsequenz<lb/>
ziehen wird, welche der gesunde Menschenverstand fordert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1199" next="#ID_1200"> Einen dankenswerthen Antrag hatte der Abgeordnete Wehreupfeunig an das<lb/>
Hans gebracht, eine Aufforderung an die Regierung, einen Gesetzentwurf über<lb/>
die Organisation des technischen Unterrichtswesens nach seinen verschiedenen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] lassen sie weg. Das ganze Truggewebe aufreizender Behauptungen wird ins Land hinausgeschleudert, die Widerlegung bekommt der Gläubige nicht zu hören. Ein wenig erquickliches Schauspiel bietet der Ehescheidnngsprozeß, den Ost- und Westpreußen .vor dem Abgeordnetenhause führen. Die Provinz Preußen soll in zwei selbständige Provinzialverbände getrennt werden, eine Operation, welche die Westpreußen, mit Ausnahme der Stadt Elbing, ebenso eifrig befürworten, wie die Ostpreußen ihr widerstreben. Es ist ein bedauer¬ liches Maß von Bitterkeit und Gehässigkeit in den Streit hineingetragen worden. Bei der Sucht, überall die Nationalliberalen ihre Hand im Spiele haben zu scheu, scheut sich ein Theil der fortschrittlichen. Presse nicht, die Tren¬ nung zu einer nationalliberalen Parteiintrigue zu stempeln; der Haß gegen Ostpreußen als die „feste Burg der Fortschrittspartei" soll die Nationallibe- ralen antreiben, dasselbe von dem reicheren und deshalb des Provinzialdotations- fonds weniger bedürftigen Westpreußen loszutrennen. Dieser Vorwurf hat in¬ deß seit den jüngsten Reichstagswahlen seine Plausibilität stark eingebüßt; infolge der von der Fortschrittspartei beliebten genialen Spaltung der Liberalen ist Ostpreußen ans dem besten Wege, zur festen Burg der Conservativen, und zwar von der reaktionären Nüance zu werden. Die Behauptung ferner, die ganze Trennungsbewegung sei in Seene gesetzt von einigen ehrgeizigen Dan- ziger Agitatoren, widerlegt sich dnrch die einfache Thatsache, daß mit Ausnahme der Vertreter Elbings sämmtliche westpreußische Provinzialtandtagsmitglteder ohne Unterschied der Partei- und Berufsstellung die Trennung verlangen. Diese Thatsache in Verbindung mit der Erwägung, daß die beiden Landsstheile in Bezug auf die Angelegenheiten der allgemeinen Landesverwaltung zwar einen einheitlichen Verband bilden, ihre communalen Institutionen aber bis auf den heutigen Tag gesondert bewahrt haben, sollte von durchschlagenden Gewicht sein. Die Vorgänge auf dem uach der neuen Provinzialvrdnung ge¬ wählten Landtage, wo stets eine geschlossene westpreußische Minorität einer eben¬ so geschlossenen ostpreußischen Majorität gegenüber stand, haben zur Genüge erkennen lassen, daß hier die ersten Vorbedingungen eines ersprießlichen Funk- tionirens der neuen Selbstverwaltung fehlen. Da nun die beiden Provinzen nach der Trennung noch immer die durchschnittliche Große der übrigen preußi¬ schen Provinzen haben werden, da ferner erst dann jede derselben eine natür¬ liche Hauptstadt, welche jetzt in der einheitlichen Provinz fehlt, erhalten wird, so ist nicht zu bezweifeln, daß das Abgeordnetenhaus diejenige Konsequenz ziehen wird, welche der gesunde Menschenverstand fordert. Einen dankenswerthen Antrag hatte der Abgeordnete Wehreupfeunig an das Hans gebracht, eine Aufforderung an die Regierung, einen Gesetzentwurf über die Organisation des technischen Unterrichtswesens nach seinen verschiedenen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/364>, abgerufen am 23.07.2024.