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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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der Erde haben solche gefahrvollen Perioden ihrer inneren Entwickelung zu
bestehen gehabt und nicht selten glücklich bestanden; man darf daher die Hoff¬
nung noch nicht schwinden lassen, daß anch die Vereinigten Staaten die
Rud. Doehn. gegenwärtige Krisis mit Glück überwinden werden.




Herbstliche Aeiseql'ossen.

Tirol ist berühmt als ein ethnologisch merkwürdiges Land. Keine dieser
Merkwürdigkeiten dünkt mir aber so anffallend, wie die Ungemischtheit der
deutschen Sprache im oberen Etschthal, dem Vintschgau. Leicht erklären läßt
sich, daß da, wo die Grenze gegen die Schweiz durch hohe Bergzüge gebildet
wird, das Romanenthum des Engadin keinen Einfluß geübt hat. Eine eigen¬
thümliche Erscheinung dagegen bleibt es, daß in dem alten Val Venosta und
seinen Seitenthälern, das Romanische ganz verdrängt ist. Zu deu seltsamsten
Beobachtungen gibt in dieser Beziehung das von Mals westlich in das
Schweizergebiet hinein sich abzweigende Münsterthal Anlaß. Deutsch, wie
Mals, Glurns, Laatsch im Etschthal, ist auch noch das zwei Stunden seitab
im Münsterthal liegende Tanffers. Dann kommt die schweizerische Grenze und
das kaum eine Stunde jenseits derselben in dein gleichen Thal gelegene Se.
Maria ist durch und durch romanisch. Das hindert freilich nicht, daß das
Deutsche hier weit besser ausgesprochen und geschrieben wird, als in den um¬
liegenden Gebieten. Die Graubündner Romanen sind für ihr außerordentliches
Sprachtalent bekannt. Ob dasselbe eine Nnturaulage dieses anstelligen Volk¬
chens ist, oder ob es sich erst allmählich nnter dein Zwange der unausweich¬
lichen Nothwendigkeit, andere Sprachen, besonders das Deutsche sprechen zu
müssen, zu dieser Vollendung herausgebildet hat, mag dahin gestellt bleiben;
Thatsache ist, daß diese Nomnueu nicht allein das ihnen verwandte Italienische
und Französische, sondern anch das Deutsche in einer Reinheit sprechen, daß
es, namentlich gegenüber dein entsetzlichen Schweizerdeutsch, eine wahre Lust
ist, sie anzuhören. Natürlich ist dies Resultat, da im gewöhnlichen Leben aus¬
schließlich romanisch gesprochen wird, nnr zu erreichen durch die Schule.
Mau wird also dem bündiierischen Unterrichtswesen seine Hochachtung bezeugen
müssen.

Ehedem war der Weg durch das Münsterthal und über das Wormser
Joch die einzige Verbindung zwischen dem Vintschgnn und dem Veltlin. Seit-


der Erde haben solche gefahrvollen Perioden ihrer inneren Entwickelung zu
bestehen gehabt und nicht selten glücklich bestanden; man darf daher die Hoff¬
nung noch nicht schwinden lassen, daß anch die Vereinigten Staaten die
Rud. Doehn. gegenwärtige Krisis mit Glück überwinden werden.




Herbstliche Aeiseql'ossen.

Tirol ist berühmt als ein ethnologisch merkwürdiges Land. Keine dieser
Merkwürdigkeiten dünkt mir aber so anffallend, wie die Ungemischtheit der
deutschen Sprache im oberen Etschthal, dem Vintschgau. Leicht erklären läßt
sich, daß da, wo die Grenze gegen die Schweiz durch hohe Bergzüge gebildet
wird, das Romanenthum des Engadin keinen Einfluß geübt hat. Eine eigen¬
thümliche Erscheinung dagegen bleibt es, daß in dem alten Val Venosta und
seinen Seitenthälern, das Romanische ganz verdrängt ist. Zu deu seltsamsten
Beobachtungen gibt in dieser Beziehung das von Mals westlich in das
Schweizergebiet hinein sich abzweigende Münsterthal Anlaß. Deutsch, wie
Mals, Glurns, Laatsch im Etschthal, ist auch noch das zwei Stunden seitab
im Münsterthal liegende Tanffers. Dann kommt die schweizerische Grenze und
das kaum eine Stunde jenseits derselben in dein gleichen Thal gelegene Se.
Maria ist durch und durch romanisch. Das hindert freilich nicht, daß das
Deutsche hier weit besser ausgesprochen und geschrieben wird, als in den um¬
liegenden Gebieten. Die Graubündner Romanen sind für ihr außerordentliches
Sprachtalent bekannt. Ob dasselbe eine Nnturaulage dieses anstelligen Volk¬
chens ist, oder ob es sich erst allmählich nnter dein Zwange der unausweich¬
lichen Nothwendigkeit, andere Sprachen, besonders das Deutsche sprechen zu
müssen, zu dieser Vollendung herausgebildet hat, mag dahin gestellt bleiben;
Thatsache ist, daß diese Nomnueu nicht allein das ihnen verwandte Italienische
und Französische, sondern anch das Deutsche in einer Reinheit sprechen, daß
es, namentlich gegenüber dein entsetzlichen Schweizerdeutsch, eine wahre Lust
ist, sie anzuhören. Natürlich ist dies Resultat, da im gewöhnlichen Leben aus¬
schließlich romanisch gesprochen wird, nnr zu erreichen durch die Schule.
Mau wird also dem bündiierischen Unterrichtswesen seine Hochachtung bezeugen
müssen.

Ehedem war der Weg durch das Münsterthal und über das Wormser
Joch die einzige Verbindung zwischen dem Vintschgnn und dem Veltlin. Seit-


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[0036] der Erde haben solche gefahrvollen Perioden ihrer inneren Entwickelung zu bestehen gehabt und nicht selten glücklich bestanden; man darf daher die Hoff¬ nung noch nicht schwinden lassen, daß anch die Vereinigten Staaten die Rud. Doehn. gegenwärtige Krisis mit Glück überwinden werden. Herbstliche Aeiseql'ossen. Tirol ist berühmt als ein ethnologisch merkwürdiges Land. Keine dieser Merkwürdigkeiten dünkt mir aber so anffallend, wie die Ungemischtheit der deutschen Sprache im oberen Etschthal, dem Vintschgau. Leicht erklären läßt sich, daß da, wo die Grenze gegen die Schweiz durch hohe Bergzüge gebildet wird, das Romanenthum des Engadin keinen Einfluß geübt hat. Eine eigen¬ thümliche Erscheinung dagegen bleibt es, daß in dem alten Val Venosta und seinen Seitenthälern, das Romanische ganz verdrängt ist. Zu deu seltsamsten Beobachtungen gibt in dieser Beziehung das von Mals westlich in das Schweizergebiet hinein sich abzweigende Münsterthal Anlaß. Deutsch, wie Mals, Glurns, Laatsch im Etschthal, ist auch noch das zwei Stunden seitab im Münsterthal liegende Tanffers. Dann kommt die schweizerische Grenze und das kaum eine Stunde jenseits derselben in dein gleichen Thal gelegene Se. Maria ist durch und durch romanisch. Das hindert freilich nicht, daß das Deutsche hier weit besser ausgesprochen und geschrieben wird, als in den um¬ liegenden Gebieten. Die Graubündner Romanen sind für ihr außerordentliches Sprachtalent bekannt. Ob dasselbe eine Nnturaulage dieses anstelligen Volk¬ chens ist, oder ob es sich erst allmählich nnter dein Zwange der unausweich¬ lichen Nothwendigkeit, andere Sprachen, besonders das Deutsche sprechen zu müssen, zu dieser Vollendung herausgebildet hat, mag dahin gestellt bleiben; Thatsache ist, daß diese Nomnueu nicht allein das ihnen verwandte Italienische und Französische, sondern anch das Deutsche in einer Reinheit sprechen, daß es, namentlich gegenüber dein entsetzlichen Schweizerdeutsch, eine wahre Lust ist, sie anzuhören. Natürlich ist dies Resultat, da im gewöhnlichen Leben aus¬ schließlich romanisch gesprochen wird, nnr zu erreichen durch die Schule. Mau wird also dem bündiierischen Unterrichtswesen seine Hochachtung bezeugen müssen. Ehedem war der Weg durch das Münsterthal und über das Wormser Joch die einzige Verbindung zwischen dem Vintschgnn und dem Veltlin. Seit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/36>, abgerufen am 03.07.2024.