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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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mächtiges Mädchen erscheinen", dessen gute Schulbildung auch durch Briefe
von ihrer Hand bewiesen wird. Dieselben können als auch geistig von ihr
ausgegangen gelten, da Caroline, von Zorn getrennt, in der Wohnstube des
Gerichtsdieners saß, und der Kauzleistyl einem Advokatenkinde wohl geläufig
sein mochte. Uebrigens hat ja ihr weiteres Leben genugsam bewiesen, daß sie
auf eigenen Füßen stand. Einer dieser Briefe, nach bereits sechsmonatlicher
Haft geschrieben, lautet wie folgt:


Wohledle Beste, Hochachtbare und Rechtswohlgelahrte,
Hoch- und Wohlweise, Hochgeehrteste Herrn!

Es soll sich dem sichern Verlaut nach mein Herr Vater itzo meistens da¬
hin bemühen, wie er mich wieder in seine Gewalt kriegen möge, hat mir auch
allbereit zum öfftern durch seine Magd hinterbringen lassen, daß, wofern ich
nicht von Herrn Zornen abstehen, das ist, nach dessen Belieben diesem meinem
Gewissen und Gerechtigkeit zuwider seben (würde), er die Sache so lauge ver¬
zögern wolle, bis wir im Arrest darüber crepiren müssen. Nachdem aber ver-
hoffentlich denen Wohllöblichen Herren Stadtgerichten aus der abgehörten
Zeugen Aussage einermaßen wissend, wie grausam obgedachter mein Herr Vater
auch aus der allergeringsten Ursache mir in meiner zartesten Jugend mitge-
svielet, und mich gleichsam, als wäre ich keine von Gott erschaffene und erlöste
Seele, verfluchet und verwünschet, mir die allerschändlichste Nativität gestellet
und mit solchem unchristlichen Beginnen mich unverantwortlich geärgert, zudem
anch das durch seine an meiner seligen Fran Mutter verübte Tyrannei.) dar¬
gestellte Exempel noch Männiglich vor Augen; und über dieses leichtlich zu
erachten, daß ich ins künftige gegenwärtiges meines Arrestes halber, worein
mich die Tyrannei.) und Affecten meines Herrn Vaters gestürzet, bei ihm noch
weit heftigeren Sävitien als zuvor würde unterworfen und in steter Lebens¬
gefahr sein müssen, indem er ja sein hitziges Naturell nimmermehr ändern,
vielmehr aber seinen einmal gegen mich gefaßten Zorn, anch wenn ich das
Geringste versehe, stärken wird; als lebe ich in der gewissen Hoffnung, es
werden die Wohllöblichen Herren Stadtgerichten, wofern mein Herr Vater, um
mich wieder in seiue Tyranney zu zwingen, sich bei Denenselben schriftlich oder
durch seinen Gevollmächtigen bearbeiten möchte, dieses sein Bitten nicht statt¬
finden lassen, auch dessen Jntentiren der Verzögerung der Sache krafft ihrer
obrigkeitlichen Macht und Gewalt unterbrechen. Die ich wie sonst unausgesetzt
verharre deren Wohllöblichen Herren Stadtgerichten untertänigst gehorsamste


Friederica Carolina Weissenbornin.

Dieser Brief ist vor Allem deshalb charakteristisch, weil die Schreiberin,
nachdem sie schon sechs Monate lang "bei schlechtester Kost" ihrer Freiheit be¬
raubt ist, doch offenbar den Verlust der letzteren noch weniger drückend findet,


mächtiges Mädchen erscheinen", dessen gute Schulbildung auch durch Briefe
von ihrer Hand bewiesen wird. Dieselben können als auch geistig von ihr
ausgegangen gelten, da Caroline, von Zorn getrennt, in der Wohnstube des
Gerichtsdieners saß, und der Kauzleistyl einem Advokatenkinde wohl geläufig
sein mochte. Uebrigens hat ja ihr weiteres Leben genugsam bewiesen, daß sie
auf eigenen Füßen stand. Einer dieser Briefe, nach bereits sechsmonatlicher
Haft geschrieben, lautet wie folgt:


Wohledle Beste, Hochachtbare und Rechtswohlgelahrte,
Hoch- und Wohlweise, Hochgeehrteste Herrn!

Es soll sich dem sichern Verlaut nach mein Herr Vater itzo meistens da¬
hin bemühen, wie er mich wieder in seine Gewalt kriegen möge, hat mir auch
allbereit zum öfftern durch seine Magd hinterbringen lassen, daß, wofern ich
nicht von Herrn Zornen abstehen, das ist, nach dessen Belieben diesem meinem
Gewissen und Gerechtigkeit zuwider seben (würde), er die Sache so lauge ver¬
zögern wolle, bis wir im Arrest darüber crepiren müssen. Nachdem aber ver-
hoffentlich denen Wohllöblichen Herren Stadtgerichten aus der abgehörten
Zeugen Aussage einermaßen wissend, wie grausam obgedachter mein Herr Vater
auch aus der allergeringsten Ursache mir in meiner zartesten Jugend mitge-
svielet, und mich gleichsam, als wäre ich keine von Gott erschaffene und erlöste
Seele, verfluchet und verwünschet, mir die allerschändlichste Nativität gestellet
und mit solchem unchristlichen Beginnen mich unverantwortlich geärgert, zudem
anch das durch seine an meiner seligen Fran Mutter verübte Tyrannei.) dar¬
gestellte Exempel noch Männiglich vor Augen; und über dieses leichtlich zu
erachten, daß ich ins künftige gegenwärtiges meines Arrestes halber, worein
mich die Tyrannei.) und Affecten meines Herrn Vaters gestürzet, bei ihm noch
weit heftigeren Sävitien als zuvor würde unterworfen und in steter Lebens¬
gefahr sein müssen, indem er ja sein hitziges Naturell nimmermehr ändern,
vielmehr aber seinen einmal gegen mich gefaßten Zorn, anch wenn ich das
Geringste versehe, stärken wird; als lebe ich in der gewissen Hoffnung, es
werden die Wohllöblichen Herren Stadtgerichten, wofern mein Herr Vater, um
mich wieder in seiue Tyranney zu zwingen, sich bei Denenselben schriftlich oder
durch seinen Gevollmächtigen bearbeiten möchte, dieses sein Bitten nicht statt¬
finden lassen, auch dessen Jntentiren der Verzögerung der Sache krafft ihrer
obrigkeitlichen Macht und Gewalt unterbrechen. Die ich wie sonst unausgesetzt
verharre deren Wohllöblichen Herren Stadtgerichten untertänigst gehorsamste


Friederica Carolina Weissenbornin.

Dieser Brief ist vor Allem deshalb charakteristisch, weil die Schreiberin,
nachdem sie schon sechs Monate lang „bei schlechtester Kost" ihrer Freiheit be¬
raubt ist, doch offenbar den Verlust der letzteren noch weniger drückend findet,


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[0357] mächtiges Mädchen erscheinen", dessen gute Schulbildung auch durch Briefe von ihrer Hand bewiesen wird. Dieselben können als auch geistig von ihr ausgegangen gelten, da Caroline, von Zorn getrennt, in der Wohnstube des Gerichtsdieners saß, und der Kauzleistyl einem Advokatenkinde wohl geläufig sein mochte. Uebrigens hat ja ihr weiteres Leben genugsam bewiesen, daß sie auf eigenen Füßen stand. Einer dieser Briefe, nach bereits sechsmonatlicher Haft geschrieben, lautet wie folgt: Wohledle Beste, Hochachtbare und Rechtswohlgelahrte, Hoch- und Wohlweise, Hochgeehrteste Herrn! Es soll sich dem sichern Verlaut nach mein Herr Vater itzo meistens da¬ hin bemühen, wie er mich wieder in seine Gewalt kriegen möge, hat mir auch allbereit zum öfftern durch seine Magd hinterbringen lassen, daß, wofern ich nicht von Herrn Zornen abstehen, das ist, nach dessen Belieben diesem meinem Gewissen und Gerechtigkeit zuwider seben (würde), er die Sache so lauge ver¬ zögern wolle, bis wir im Arrest darüber crepiren müssen. Nachdem aber ver- hoffentlich denen Wohllöblichen Herren Stadtgerichten aus der abgehörten Zeugen Aussage einermaßen wissend, wie grausam obgedachter mein Herr Vater auch aus der allergeringsten Ursache mir in meiner zartesten Jugend mitge- svielet, und mich gleichsam, als wäre ich keine von Gott erschaffene und erlöste Seele, verfluchet und verwünschet, mir die allerschändlichste Nativität gestellet und mit solchem unchristlichen Beginnen mich unverantwortlich geärgert, zudem anch das durch seine an meiner seligen Fran Mutter verübte Tyrannei.) dar¬ gestellte Exempel noch Männiglich vor Augen; und über dieses leichtlich zu erachten, daß ich ins künftige gegenwärtiges meines Arrestes halber, worein mich die Tyrannei.) und Affecten meines Herrn Vaters gestürzet, bei ihm noch weit heftigeren Sävitien als zuvor würde unterworfen und in steter Lebens¬ gefahr sein müssen, indem er ja sein hitziges Naturell nimmermehr ändern, vielmehr aber seinen einmal gegen mich gefaßten Zorn, anch wenn ich das Geringste versehe, stärken wird; als lebe ich in der gewissen Hoffnung, es werden die Wohllöblichen Herren Stadtgerichten, wofern mein Herr Vater, um mich wieder in seiue Tyranney zu zwingen, sich bei Denenselben schriftlich oder durch seinen Gevollmächtigen bearbeiten möchte, dieses sein Bitten nicht statt¬ finden lassen, auch dessen Jntentiren der Verzögerung der Sache krafft ihrer obrigkeitlichen Macht und Gewalt unterbrechen. Die ich wie sonst unausgesetzt verharre deren Wohllöblichen Herren Stadtgerichten untertänigst gehorsamste Friederica Carolina Weissenbornin. Dieser Brief ist vor Allem deshalb charakteristisch, weil die Schreiberin, nachdem sie schon sechs Monate lang „bei schlechtester Kost" ihrer Freiheit be¬ raubt ist, doch offenbar den Verlust der letzteren noch weniger drückend findet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/357>, abgerufen am 04.07.2024.