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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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scheint im Frühjahr 1712 stattgefunden zu haben und war natürlich für Frie¬
derike von dein Verbot begleitet, den Exmittirten ferner zu sprechen oder zu
sehen. Da der gichtische Vater aber nicht sonderlich zum Wachestehen taugte,
so war die Versuchung, sein Verbot zu übertreten, groß, und die jungen Leute
fanden denn auch bald Mittel und Wege, ihr düsteres Loos gemeinsam zu be¬
klagen. Davon benachrichtigt brauste der Alte in solcher Wildheit auf, daß
er seine Tochter mit Erschießen bedrohte, weshalb sie am 12. April im abend¬
lichen Dunkel davonlief. -- Ein solcher Schritt war ihr nicht mehr neu.
Schon am Neujahrstage des nämlichen Jahres hatte Caroline sich den Mi߬
handlungen des tobenden Vaters durch die Flucht entzogen. Damals war sie
zu einer Schwester ihres Vaters geeilt, und da sie diese nicht zu Hause fand,
zu einer ehemaligen Magd ihres Vaters, die einen ehrbaren Beutler zum
Manne hatte. Bei diesem Paar war sie geblieben, bis der Beichtvater Caro-
linens, Magister Thym, um das Osterfest sie bestimmte, sich mit ihrem Vater
auszusöhnen und in dessen Haus zurückzukehren. Da jene zuerst erwähnte zweite
Flucht bereits im April stattfand, war die Aussöhnung jedenfalls nur eine
oberflächliche gewesen, wohl hauptsächlich beeinflußt durch den Wunsch Carolinens,
ihrem Zukünftigen wieder nahe zu sein. Aber, wie wir gesehen haben, kam es
fast um die nämliche Zeit zum Bruch zwischen Carolinen's Vater und ihrem Freunde.

Nun dieser letztere mit dem alten Weißenborn zerfallen war und nicht mehr in
dessen Hause weilte, hatten Beide keinen Grund, in Zwickau zu bleiben, viel¬
mehr mußten sie den voraussichtlichen Verfolgungen des Alten aus dem Wege
zu kommen suchen. Wir finden das heimathlose Pärchen daher die Vettern¬
straße einschlagen und in Greiz, Reichenbach und Zwönitz auch wirklich eine
Weile bei Freunden und Verwandten sich glücklich durchbringen, wohl in leid¬
lich schicklicher Weise, da uuter denen, die sich ihrer annahmen, auch ein Geist¬
licher ist, der Bruder vou Carolinens Mutter, in Greiz. Aber die Mittel
waren von vorne herein knapp gewesen. Im weitern Verlauf dieser Irrfahrten
mußten die entbehrlichen Kleidungsstücke verkauft werden, und als nichts mehr
zu verkaufen übrig blieb, ließ sich Caroline gar ihr schönes blondes Haar ab¬
schneiden und bestriit mit dem Erlös aus demselben eine kurze Weile den
Lebensunterhalt. So ging es bis tief in den blüthenreichen Mai hinein, in:
Ganzen sechs Wochen lang, -- da fielen die ziellos Umherschweifenden in dem
kleinen Oertchen Affalter einem Beamten des schönburgischeu Justizamtes in die
Hände, der sie auf Grund der väterlicherseits in Bewegung gesetzten Steckbriefe
unter Eskorte in die zwickauer Rathsfrohuveste ablieferte. Es begann nun
auf Antrag Weißenborns der Jnquisitivnsprozeß, über dessen Verlauf die
Akten Näheres besagen. Sie lassen Caroline, uach Dr. Herzogs Ausdruck, als
"ein frühreifes, listiges, energisches, der französische,: und lateinischen Sprache


scheint im Frühjahr 1712 stattgefunden zu haben und war natürlich für Frie¬
derike von dein Verbot begleitet, den Exmittirten ferner zu sprechen oder zu
sehen. Da der gichtische Vater aber nicht sonderlich zum Wachestehen taugte,
so war die Versuchung, sein Verbot zu übertreten, groß, und die jungen Leute
fanden denn auch bald Mittel und Wege, ihr düsteres Loos gemeinsam zu be¬
klagen. Davon benachrichtigt brauste der Alte in solcher Wildheit auf, daß
er seine Tochter mit Erschießen bedrohte, weshalb sie am 12. April im abend¬
lichen Dunkel davonlief. — Ein solcher Schritt war ihr nicht mehr neu.
Schon am Neujahrstage des nämlichen Jahres hatte Caroline sich den Mi߬
handlungen des tobenden Vaters durch die Flucht entzogen. Damals war sie
zu einer Schwester ihres Vaters geeilt, und da sie diese nicht zu Hause fand,
zu einer ehemaligen Magd ihres Vaters, die einen ehrbaren Beutler zum
Manne hatte. Bei diesem Paar war sie geblieben, bis der Beichtvater Caro-
linens, Magister Thym, um das Osterfest sie bestimmte, sich mit ihrem Vater
auszusöhnen und in dessen Haus zurückzukehren. Da jene zuerst erwähnte zweite
Flucht bereits im April stattfand, war die Aussöhnung jedenfalls nur eine
oberflächliche gewesen, wohl hauptsächlich beeinflußt durch den Wunsch Carolinens,
ihrem Zukünftigen wieder nahe zu sein. Aber, wie wir gesehen haben, kam es
fast um die nämliche Zeit zum Bruch zwischen Carolinen's Vater und ihrem Freunde.

Nun dieser letztere mit dem alten Weißenborn zerfallen war und nicht mehr in
dessen Hause weilte, hatten Beide keinen Grund, in Zwickau zu bleiben, viel¬
mehr mußten sie den voraussichtlichen Verfolgungen des Alten aus dem Wege
zu kommen suchen. Wir finden das heimathlose Pärchen daher die Vettern¬
straße einschlagen und in Greiz, Reichenbach und Zwönitz auch wirklich eine
Weile bei Freunden und Verwandten sich glücklich durchbringen, wohl in leid¬
lich schicklicher Weise, da uuter denen, die sich ihrer annahmen, auch ein Geist¬
licher ist, der Bruder vou Carolinens Mutter, in Greiz. Aber die Mittel
waren von vorne herein knapp gewesen. Im weitern Verlauf dieser Irrfahrten
mußten die entbehrlichen Kleidungsstücke verkauft werden, und als nichts mehr
zu verkaufen übrig blieb, ließ sich Caroline gar ihr schönes blondes Haar ab¬
schneiden und bestriit mit dem Erlös aus demselben eine kurze Weile den
Lebensunterhalt. So ging es bis tief in den blüthenreichen Mai hinein, in:
Ganzen sechs Wochen lang, — da fielen die ziellos Umherschweifenden in dem
kleinen Oertchen Affalter einem Beamten des schönburgischeu Justizamtes in die
Hände, der sie auf Grund der väterlicherseits in Bewegung gesetzten Steckbriefe
unter Eskorte in die zwickauer Rathsfrohuveste ablieferte. Es begann nun
auf Antrag Weißenborns der Jnquisitivnsprozeß, über dessen Verlauf die
Akten Näheres besagen. Sie lassen Caroline, uach Dr. Herzogs Ausdruck, als
„ein frühreifes, listiges, energisches, der französische,: und lateinischen Sprache


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/356>, abgerufen am 04.07.2024.