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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Getöse Bäume, Zäune und Menschenwohnungen mit sich fortriß, da versuchte
der Eisgang, wie schon oft in früheren Jahren geschehen war, auch an eine":
Denkmal seiue Kraft, das oberhalb Dresdens in dem Dorfe Laubegast steht.

Es hielt Stand, trotzdem der Anprall der unaufhaltsam darauf los¬
stürmenden Eisschollen Arges mit ihm im Sinn zu haben schien, und als die
Fluth wieder in ihr altes Bett zurückgetreten war und die Sonne wieder
fröhlich am blauen Himmel lachte, sagte sich wohl Mancher, der dies steinerne
Wahrzeichen einer untergegangenen Berühmtheit ans seinein alten Posten stehen
sah, daß es in seiner vielgeführdeten Lage und von Wind und Wetter jetzt
umschmeichelt, jetzt umtost, an das wechselvolle Schicksal derjenigen, deren An¬
denken es vor hundert Jahren geweiht wurde, in beredter Weise gemahnt. In
der That sind, seit Freunde der Kunst dies Denkmal dem Gedächtniß der
Neuberin errichteten, jetzt gerade hundert Jahre verstrichen, wennschon die
während der Anfertigung des Werkes im vorausgegangenen Jahre dem Steine
eingegrabene Inschrift die Jahreszahl 1776 nennt; errichtet wurde es anno 1777.

Man sollte denken, daß den tüchtigen Männern, welche damals der in¬
mitten der Schrecken des siebenjährigen Krieges trübselig zu Ende gegangenen
Reformatorin der deutschen Bühne den Zoll der Dankbarkeit in der Gestalt
eines öffentlichen Monuments darbrachten, andere gefolgt wären, welche die
Erlebnisse und die guten wie die schlimmen Tage der seltenen Frau aufzu¬
zeichnen beflissen gewesen.

Aber als ich im vorigen Frühjahr, von Empfindungen wie den oben an¬
gedeuteten erfüllt, das meinem Sommerhitze benachbarte Denkmal wieder einmal
betrachtet hatte und mich dann in den Bibliotheken nach einer Biographie der
Neuberin umschaute, fand ich zu meiner nicht geringen Enttäuschung diese
Arbeit uoch umgethan. Nicht einmal die über Caroline Nenberin ab und zu
durch vereinzelte Forschungen zu Tage geförderte" Notizen sind bis jetzt in
übersichtlicher Weise zusammengestellt worden. Daß es deren eine beträcht¬
liche Anzahl gibt, davon konnte ich mich bald überzeugen, als ich, um
wenigstens uach dieser Seite mein Interesse für den Gegenstand einigermaßen
zu befriedigen, mir die Mühe gab, das zerstreute Material, soweit eine kurze
Abmüßiguug von andern Arbeiten gestattete, zusammenzutragen und zu ver¬
gleichen. "Eine Quelle" sagt aber mit Recht David Strauß in verwandter
Bezüglichkeit, "muß rasch gefaßt werden, soll sie nicht im Sande verlaufen."
Auf das Leben der Neuberin findet dies gerade so gut seine Anwendung
wie auf dasjenige irgend einer anderen, nicht durch Selbstbekenntnisse für die
Nachlebenden deutlich abgeschilderten Existenz. Auch ist es fraglich, ob das Ver¬
säumte heute uoch nachzuholen ist, in solchem Umfange nachzuholen ist, wie die
Bedeutung der Neuberin dies als wünschenswert!) erscheinen läßt.


Getöse Bäume, Zäune und Menschenwohnungen mit sich fortriß, da versuchte
der Eisgang, wie schon oft in früheren Jahren geschehen war, auch an eine»:
Denkmal seiue Kraft, das oberhalb Dresdens in dem Dorfe Laubegast steht.

Es hielt Stand, trotzdem der Anprall der unaufhaltsam darauf los¬
stürmenden Eisschollen Arges mit ihm im Sinn zu haben schien, und als die
Fluth wieder in ihr altes Bett zurückgetreten war und die Sonne wieder
fröhlich am blauen Himmel lachte, sagte sich wohl Mancher, der dies steinerne
Wahrzeichen einer untergegangenen Berühmtheit ans seinein alten Posten stehen
sah, daß es in seiner vielgeführdeten Lage und von Wind und Wetter jetzt
umschmeichelt, jetzt umtost, an das wechselvolle Schicksal derjenigen, deren An¬
denken es vor hundert Jahren geweiht wurde, in beredter Weise gemahnt. In
der That sind, seit Freunde der Kunst dies Denkmal dem Gedächtniß der
Neuberin errichteten, jetzt gerade hundert Jahre verstrichen, wennschon die
während der Anfertigung des Werkes im vorausgegangenen Jahre dem Steine
eingegrabene Inschrift die Jahreszahl 1776 nennt; errichtet wurde es anno 1777.

Man sollte denken, daß den tüchtigen Männern, welche damals der in¬
mitten der Schrecken des siebenjährigen Krieges trübselig zu Ende gegangenen
Reformatorin der deutschen Bühne den Zoll der Dankbarkeit in der Gestalt
eines öffentlichen Monuments darbrachten, andere gefolgt wären, welche die
Erlebnisse und die guten wie die schlimmen Tage der seltenen Frau aufzu¬
zeichnen beflissen gewesen.

Aber als ich im vorigen Frühjahr, von Empfindungen wie den oben an¬
gedeuteten erfüllt, das meinem Sommerhitze benachbarte Denkmal wieder einmal
betrachtet hatte und mich dann in den Bibliotheken nach einer Biographie der
Neuberin umschaute, fand ich zu meiner nicht geringen Enttäuschung diese
Arbeit uoch umgethan. Nicht einmal die über Caroline Nenberin ab und zu
durch vereinzelte Forschungen zu Tage geförderte» Notizen sind bis jetzt in
übersichtlicher Weise zusammengestellt worden. Daß es deren eine beträcht¬
liche Anzahl gibt, davon konnte ich mich bald überzeugen, als ich, um
wenigstens uach dieser Seite mein Interesse für den Gegenstand einigermaßen
zu befriedigen, mir die Mühe gab, das zerstreute Material, soweit eine kurze
Abmüßiguug von andern Arbeiten gestattete, zusammenzutragen und zu ver¬
gleichen. „Eine Quelle" sagt aber mit Recht David Strauß in verwandter
Bezüglichkeit, „muß rasch gefaßt werden, soll sie nicht im Sande verlaufen."
Auf das Leben der Neuberin findet dies gerade so gut seine Anwendung
wie auf dasjenige irgend einer anderen, nicht durch Selbstbekenntnisse für die
Nachlebenden deutlich abgeschilderten Existenz. Auch ist es fraglich, ob das Ver¬
säumte heute uoch nachzuholen ist, in solchem Umfange nachzuholen ist, wie die
Bedeutung der Neuberin dies als wünschenswert!) erscheinen läßt.


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[0352] Getöse Bäume, Zäune und Menschenwohnungen mit sich fortriß, da versuchte der Eisgang, wie schon oft in früheren Jahren geschehen war, auch an eine»: Denkmal seiue Kraft, das oberhalb Dresdens in dem Dorfe Laubegast steht. Es hielt Stand, trotzdem der Anprall der unaufhaltsam darauf los¬ stürmenden Eisschollen Arges mit ihm im Sinn zu haben schien, und als die Fluth wieder in ihr altes Bett zurückgetreten war und die Sonne wieder fröhlich am blauen Himmel lachte, sagte sich wohl Mancher, der dies steinerne Wahrzeichen einer untergegangenen Berühmtheit ans seinein alten Posten stehen sah, daß es in seiner vielgeführdeten Lage und von Wind und Wetter jetzt umschmeichelt, jetzt umtost, an das wechselvolle Schicksal derjenigen, deren An¬ denken es vor hundert Jahren geweiht wurde, in beredter Weise gemahnt. In der That sind, seit Freunde der Kunst dies Denkmal dem Gedächtniß der Neuberin errichteten, jetzt gerade hundert Jahre verstrichen, wennschon die während der Anfertigung des Werkes im vorausgegangenen Jahre dem Steine eingegrabene Inschrift die Jahreszahl 1776 nennt; errichtet wurde es anno 1777. Man sollte denken, daß den tüchtigen Männern, welche damals der in¬ mitten der Schrecken des siebenjährigen Krieges trübselig zu Ende gegangenen Reformatorin der deutschen Bühne den Zoll der Dankbarkeit in der Gestalt eines öffentlichen Monuments darbrachten, andere gefolgt wären, welche die Erlebnisse und die guten wie die schlimmen Tage der seltenen Frau aufzu¬ zeichnen beflissen gewesen. Aber als ich im vorigen Frühjahr, von Empfindungen wie den oben an¬ gedeuteten erfüllt, das meinem Sommerhitze benachbarte Denkmal wieder einmal betrachtet hatte und mich dann in den Bibliotheken nach einer Biographie der Neuberin umschaute, fand ich zu meiner nicht geringen Enttäuschung diese Arbeit uoch umgethan. Nicht einmal die über Caroline Nenberin ab und zu durch vereinzelte Forschungen zu Tage geförderte» Notizen sind bis jetzt in übersichtlicher Weise zusammengestellt worden. Daß es deren eine beträcht¬ liche Anzahl gibt, davon konnte ich mich bald überzeugen, als ich, um wenigstens uach dieser Seite mein Interesse für den Gegenstand einigermaßen zu befriedigen, mir die Mühe gab, das zerstreute Material, soweit eine kurze Abmüßiguug von andern Arbeiten gestattete, zusammenzutragen und zu ver¬ gleichen. „Eine Quelle" sagt aber mit Recht David Strauß in verwandter Bezüglichkeit, „muß rasch gefaßt werden, soll sie nicht im Sande verlaufen." Auf das Leben der Neuberin findet dies gerade so gut seine Anwendung wie auf dasjenige irgend einer anderen, nicht durch Selbstbekenntnisse für die Nachlebenden deutlich abgeschilderten Existenz. Auch ist es fraglich, ob das Ver¬ säumte heute uoch nachzuholen ist, in solchem Umfange nachzuholen ist, wie die Bedeutung der Neuberin dies als wünschenswert!) erscheinen läßt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/352>, abgerufen am 04.07.2024.