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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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im "Neuen Amadis" poetisch gestaltet hat: "Als ich noch ein Knabe war,
sperrte man mich ein" n. s. w. Im Frühjahr kam er wieder. Der nächtliche
Ritt, der ihn zu der Geliebten trug, und das ihm nun voll aufgehende Liebes¬
glück versetzten ihn in die Stimmung, in der er, nachdem er zunächst den ersten
Kuß der Geliebten (beim Pfänderspiele vielleicht) im Gedichte: "Jetzt fühlt der
Engel, was ich fühle" gefeiert, das prachtvolle Lied: "Es schlug mein Herz;
geschwind zu Pferde" und zugleich die Umgestaltung eines alten Volksliedes schuf,
welche wir in dem Gedichte vom Haidenrvslein vor uns haben. In die Oster-
ferien oder den Anfang des Sommersemesters fiel das in Straßburg ent¬
standene Lied: "Kleine Blumen, kleine Blätter." Gemälde Bänder waren da¬
mals in die Mode gekommen, und der Dichter malte für Friederike ein paar
Stücke, die er jener mit den während dieser Arbeit an einem Frühlingsmorgen
gedichteten Versen übersandte. In dieselbe Zeit verlegt der Verfasser das schone
Maillet: "Wie herrlich leuchtet mir die Natur!" und die Verse, die mit den
Worten: "Bälde seh ich Riekgen wieder." Bei einem Feste am Pfingstmon¬
tag, zu dem Friederike den Dichter eingeladen hatte, und welches im "Nachti-
gallwüldle" bei Sessenheim stattfand, schrieb er auf eine Tafel, die dort in
einer Bnchenlaube aufgehängt wurde, den Vers: "Dem Himmel wachs' ent¬
gegen."

Von jetzt an begann nach unsrer Schrift die Liebe bei Goethe zu
schwanke", und mit dem Menschen schwankte der Dichter; schon in dem Ge¬
dichte: "Erwache Friederike" wird er matt und immer prosaischer und foreirter.
Die Empfindung hat sich bei ihm ausgelebt und "schwer" liegt "auf seinem Busen
des Reimes Joch." Ans einer Tour nach Lothringen dichtete er für Friede¬
riken noch: "Wo bist Du jetzt, mein unvergeßlich Mädchen", in der er ihr
"mit Sonne und Himmel zärtlich nachweint". Es ist aber nicht ernst mehr ge¬
meint, er muß sich zwingen, für sie noch zu empfinden. Auf der Rückkehr besuchte
er Sessenheim, aber Friederike war in Straßbnrg, und wenn er ihr das Gedicht
"Ach, bist Du fort" nachsandte, so wird niemand an dessen Schlüsse, wo er
ausruft: "Ich sterbe, Grausame, für Dich", befürchten, er habe sich "im
krummen Thal", "in: Wald", oder sonstwo ein Leid anthun können. Noch
einmal sah er Friederiken, und nach dem Abschied von ^ ihr übersandte er ihr
das volle Entsagung, tiefen Schmerz und wahres Gefühl athmende Gedicht:
"Ein grauer trüber Morgen". Die Begründung dieser Behauptungen im
zweiten Theile der Schrift wollen die Leser in dieser selbst aufsuchen. Wir
bemerken nur, daß sie klarer und geordneter sein könnte.




Verantwortlicher Redacteure v"-. Hans Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Hüthel <b Herrmann in Leipzig.

im „Neuen Amadis" poetisch gestaltet hat: „Als ich noch ein Knabe war,
sperrte man mich ein" n. s. w. Im Frühjahr kam er wieder. Der nächtliche
Ritt, der ihn zu der Geliebten trug, und das ihm nun voll aufgehende Liebes¬
glück versetzten ihn in die Stimmung, in der er, nachdem er zunächst den ersten
Kuß der Geliebten (beim Pfänderspiele vielleicht) im Gedichte: „Jetzt fühlt der
Engel, was ich fühle" gefeiert, das prachtvolle Lied: „Es schlug mein Herz;
geschwind zu Pferde" und zugleich die Umgestaltung eines alten Volksliedes schuf,
welche wir in dem Gedichte vom Haidenrvslein vor uns haben. In die Oster-
ferien oder den Anfang des Sommersemesters fiel das in Straßburg ent¬
standene Lied: „Kleine Blumen, kleine Blätter." Gemälde Bänder waren da¬
mals in die Mode gekommen, und der Dichter malte für Friederike ein paar
Stücke, die er jener mit den während dieser Arbeit an einem Frühlingsmorgen
gedichteten Versen übersandte. In dieselbe Zeit verlegt der Verfasser das schone
Maillet: „Wie herrlich leuchtet mir die Natur!" und die Verse, die mit den
Worten: „Bälde seh ich Riekgen wieder." Bei einem Feste am Pfingstmon¬
tag, zu dem Friederike den Dichter eingeladen hatte, und welches im „Nachti-
gallwüldle" bei Sessenheim stattfand, schrieb er auf eine Tafel, die dort in
einer Bnchenlaube aufgehängt wurde, den Vers: „Dem Himmel wachs' ent¬
gegen."

Von jetzt an begann nach unsrer Schrift die Liebe bei Goethe zu
schwanke«, und mit dem Menschen schwankte der Dichter; schon in dem Ge¬
dichte: „Erwache Friederike" wird er matt und immer prosaischer und foreirter.
Die Empfindung hat sich bei ihm ausgelebt und „schwer" liegt „auf seinem Busen
des Reimes Joch." Ans einer Tour nach Lothringen dichtete er für Friede¬
riken noch: „Wo bist Du jetzt, mein unvergeßlich Mädchen", in der er ihr
„mit Sonne und Himmel zärtlich nachweint". Es ist aber nicht ernst mehr ge¬
meint, er muß sich zwingen, für sie noch zu empfinden. Auf der Rückkehr besuchte
er Sessenheim, aber Friederike war in Straßbnrg, und wenn er ihr das Gedicht
„Ach, bist Du fort" nachsandte, so wird niemand an dessen Schlüsse, wo er
ausruft: „Ich sterbe, Grausame, für Dich", befürchten, er habe sich „im
krummen Thal", „in: Wald", oder sonstwo ein Leid anthun können. Noch
einmal sah er Friederiken, und nach dem Abschied von ^ ihr übersandte er ihr
das volle Entsagung, tiefen Schmerz und wahres Gefühl athmende Gedicht:
„Ein grauer trüber Morgen". Die Begründung dieser Behauptungen im
zweiten Theile der Schrift wollen die Leser in dieser selbst aufsuchen. Wir
bemerken nur, daß sie klarer und geordneter sein könnte.




Verantwortlicher Redacteure v»-. Hans Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthel <b Herrmann in Leipzig.
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[0328] im „Neuen Amadis" poetisch gestaltet hat: „Als ich noch ein Knabe war, sperrte man mich ein" n. s. w. Im Frühjahr kam er wieder. Der nächtliche Ritt, der ihn zu der Geliebten trug, und das ihm nun voll aufgehende Liebes¬ glück versetzten ihn in die Stimmung, in der er, nachdem er zunächst den ersten Kuß der Geliebten (beim Pfänderspiele vielleicht) im Gedichte: „Jetzt fühlt der Engel, was ich fühle" gefeiert, das prachtvolle Lied: „Es schlug mein Herz; geschwind zu Pferde" und zugleich die Umgestaltung eines alten Volksliedes schuf, welche wir in dem Gedichte vom Haidenrvslein vor uns haben. In die Oster- ferien oder den Anfang des Sommersemesters fiel das in Straßburg ent¬ standene Lied: „Kleine Blumen, kleine Blätter." Gemälde Bänder waren da¬ mals in die Mode gekommen, und der Dichter malte für Friederike ein paar Stücke, die er jener mit den während dieser Arbeit an einem Frühlingsmorgen gedichteten Versen übersandte. In dieselbe Zeit verlegt der Verfasser das schone Maillet: „Wie herrlich leuchtet mir die Natur!" und die Verse, die mit den Worten: „Bälde seh ich Riekgen wieder." Bei einem Feste am Pfingstmon¬ tag, zu dem Friederike den Dichter eingeladen hatte, und welches im „Nachti- gallwüldle" bei Sessenheim stattfand, schrieb er auf eine Tafel, die dort in einer Bnchenlaube aufgehängt wurde, den Vers: „Dem Himmel wachs' ent¬ gegen." Von jetzt an begann nach unsrer Schrift die Liebe bei Goethe zu schwanke«, und mit dem Menschen schwankte der Dichter; schon in dem Ge¬ dichte: „Erwache Friederike" wird er matt und immer prosaischer und foreirter. Die Empfindung hat sich bei ihm ausgelebt und „schwer" liegt „auf seinem Busen des Reimes Joch." Ans einer Tour nach Lothringen dichtete er für Friede¬ riken noch: „Wo bist Du jetzt, mein unvergeßlich Mädchen", in der er ihr „mit Sonne und Himmel zärtlich nachweint". Es ist aber nicht ernst mehr ge¬ meint, er muß sich zwingen, für sie noch zu empfinden. Auf der Rückkehr besuchte er Sessenheim, aber Friederike war in Straßbnrg, und wenn er ihr das Gedicht „Ach, bist Du fort" nachsandte, so wird niemand an dessen Schlüsse, wo er ausruft: „Ich sterbe, Grausame, für Dich", befürchten, er habe sich „im krummen Thal", „in: Wald", oder sonstwo ein Leid anthun können. Noch einmal sah er Friederiken, und nach dem Abschied von ^ ihr übersandte er ihr das volle Entsagung, tiefen Schmerz und wahres Gefühl athmende Gedicht: „Ein grauer trüber Morgen". Die Begründung dieser Behauptungen im zweiten Theile der Schrift wollen die Leser in dieser selbst aufsuchen. Wir bemerken nur, daß sie klarer und geordneter sein könnte. Verantwortlicher Redacteure v»-. Hans Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthel <b Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/328>, abgerufen am 23.07.2024.