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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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aufgehalten, nicht dem General Manteuffel in die Flanke fiel, sondern diese
verunglückte Umgehung in den Jura unternahm? Der Kapitain meinte sehr
ruhig: so recht sei die Sache noch nicht aufgeklärt, Mangel an guten Karten
und die Erkrankung Bonrbakis seien wohl die Ursachen dieses ärgerlichen
Zwischenfalles gewesen, der ja auch nicht viel auf sich gehabt, sondern dnrch den
Waffenstillstand erledigt sei, "Da wallt dein Schweizer auch sein Blut!" Ob¬
wohl er als Kind der französischen Schweiz viel Sympathie für Frankreich
besaß, so ärgerte sich doch sein alemannisches Blut über solche Verdrehung der
Wahrheit. Er macht sich mit den Herren bekannt, und nachdem er will¬
kommen geheißen, erzählt er, in welchem Zustande vollkommener Zerrüttung
die französische Armee damals in athemloser Hast über die sichernde Grenze
geflüchtet sei, welches schauerliche Drama menschlichen Elends sich auf dem
eisigen Plateau von Pruntrut abgespielt, wie viele Tausende von Menschen und
Pferden auf der Stelle todt, wie viel mehr mit langem Siechthum behaftet die
schweizer Spitäler gefüllt, wie die wahrhaft heroischen Anstrengungen der
menschenfreundlichen Schweizer die Summe von Jammer und Leiden nicht
bewältigen konnten, wie hart hinter der französischen Arrieregarde die preußi¬
schen Verfolger erschienen seien, so scharf drängend, daß selbst einzelne
irrthümliche Schüsse zwischen ihnen und schweizer Patrouillen gewechselt seien.
-- Mit unbeschreiblichem Erstaunen hören die beiden Franzosen diesen Bericht,
in dem jedes Wort den einfachen und doch so überwältigenden Zauber der Wahr¬
heit athmet. "0'the 6Mi Nonsisur, vous vous ütW trompö!" sagt aber
daun mit kurzer Verbeugung aufstehend der Kapitain, mit einem Seitenblick
den jüngern Offizier auffordernd ein Gleiches zu thun, und verläßt stramm
das Lokal.

So wird auch die Geschichte, die Paul Merruau vom Rolf Krake erzählt,
der siegreich dem Feuer von drei preußischen Batterien getrotzt habe, wider¬
spruchslos geglaubt werde", während in Wirklichkeit dnrch zwei Granaten eines
gezogenen Zwölfpfünders der eine Thurm des Panzers in der Drehung ge¬
troffen wurde, und derselbe eiligst den Platz verließ, um nie wieder so "dichte
ran" zu gehen. Daß Paul Merruau später fortwährend von der dänischen
Insel "Fionie" spricht -- er meint "Fühnen" -- ist so rührend, daß man ihm zu
Weihnachten Klettes Kinderatlas, erste Stufe, für 60 Pfennige, "versprechen"
könnte. Es ist kein Druckfehler, denn auf Seite 417 steht es dreimal.

Aeußerst ergrimmt ist Merruan auch über die dänische Volksvertretung,
die sehr vernünftigerweise ihrer Regierung das Geld zu Flotte"- und Küsten-
banten verweigert, in der richtigen Erkenntniß, daß eine ruhige neutrale Politik
-- eine freundschaftliche beansprucht kein Mensch -- gegen Deutschland Däne¬
marks sicherste Schutzwaffe sei. -- Den Schweden traut sich selbst Merruau


aufgehalten, nicht dem General Manteuffel in die Flanke fiel, sondern diese
verunglückte Umgehung in den Jura unternahm? Der Kapitain meinte sehr
ruhig: so recht sei die Sache noch nicht aufgeklärt, Mangel an guten Karten
und die Erkrankung Bonrbakis seien wohl die Ursachen dieses ärgerlichen
Zwischenfalles gewesen, der ja auch nicht viel auf sich gehabt, sondern dnrch den
Waffenstillstand erledigt sei, „Da wallt dein Schweizer auch sein Blut!" Ob¬
wohl er als Kind der französischen Schweiz viel Sympathie für Frankreich
besaß, so ärgerte sich doch sein alemannisches Blut über solche Verdrehung der
Wahrheit. Er macht sich mit den Herren bekannt, und nachdem er will¬
kommen geheißen, erzählt er, in welchem Zustande vollkommener Zerrüttung
die französische Armee damals in athemloser Hast über die sichernde Grenze
geflüchtet sei, welches schauerliche Drama menschlichen Elends sich auf dem
eisigen Plateau von Pruntrut abgespielt, wie viele Tausende von Menschen und
Pferden auf der Stelle todt, wie viel mehr mit langem Siechthum behaftet die
schweizer Spitäler gefüllt, wie die wahrhaft heroischen Anstrengungen der
menschenfreundlichen Schweizer die Summe von Jammer und Leiden nicht
bewältigen konnten, wie hart hinter der französischen Arrieregarde die preußi¬
schen Verfolger erschienen seien, so scharf drängend, daß selbst einzelne
irrthümliche Schüsse zwischen ihnen und schweizer Patrouillen gewechselt seien.
— Mit unbeschreiblichem Erstaunen hören die beiden Franzosen diesen Bericht,
in dem jedes Wort den einfachen und doch so überwältigenden Zauber der Wahr¬
heit athmet. „0'the 6Mi Nonsisur, vous vous ütW trompö!" sagt aber
daun mit kurzer Verbeugung aufstehend der Kapitain, mit einem Seitenblick
den jüngern Offizier auffordernd ein Gleiches zu thun, und verläßt stramm
das Lokal.

So wird auch die Geschichte, die Paul Merruau vom Rolf Krake erzählt,
der siegreich dem Feuer von drei preußischen Batterien getrotzt habe, wider¬
spruchslos geglaubt werde«, während in Wirklichkeit dnrch zwei Granaten eines
gezogenen Zwölfpfünders der eine Thurm des Panzers in der Drehung ge¬
troffen wurde, und derselbe eiligst den Platz verließ, um nie wieder so „dichte
ran" zu gehen. Daß Paul Merruau später fortwährend von der dänischen
Insel „Fionie" spricht — er meint „Fühnen" — ist so rührend, daß man ihm zu
Weihnachten Klettes Kinderatlas, erste Stufe, für 60 Pfennige, „versprechen"
könnte. Es ist kein Druckfehler, denn auf Seite 417 steht es dreimal.

Aeußerst ergrimmt ist Merruan auch über die dänische Volksvertretung,
die sehr vernünftigerweise ihrer Regierung das Geld zu Flotte»- und Küsten-
banten verweigert, in der richtigen Erkenntniß, daß eine ruhige neutrale Politik
— eine freundschaftliche beansprucht kein Mensch — gegen Deutschland Däne¬
marks sicherste Schutzwaffe sei. — Den Schweden traut sich selbst Merruau


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/309>, abgerufen am 30.06.2024.