Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht zu erzählen, daß sie ebenfalls von Deutschland canellirt werden sollen;
dafür versucht er, sie durch Russenfurcht in ein höheres Marinebudget "hinein-
znjraulen", wie man in Berlin sagt.

Ganz besonders schön, ja ich möchte sagen, die Krone des ganzen Auf¬
satzes ist aber die Eroberung Hannovers durch Preußen im Jahre 1866. Es
weht darin etwas von: Hauche Ouro Klopps. Und nur Ehrfurcht vor dem
geistigen Auge des Dichters, das, in holdem Wahnsinn rollend, so neue und
interessante Thatsachen auf den breitgetretenen Pfaden der Weltgeschichte erblickt,
hindert mich, durch freche Einschaltungen diese wahrhaft erhabene Jliade des
Blödsinns zu unterbrechen. Wörtlich heißt es da. ... "Hannover hatte einen
blinden König, der von seinen Unterthanen geliebt, durch Verträge geschützt,
unter den Fittichen Albions lebte. Er konnte auf alle Rechte Anspruch machen,
znerst auf das, welches eine ehrwürdige Schwäche verleiht, es standen ihm so¬
wohl die europäischen Verträge, als die mit seinen lieben und getreuen Ständen
abgeschlossenen zur Seite. Aber trotz alledem verlangte der König von Preußen
am 13. Juni 1866 vom König von Hannover die Erlaubniß, ein aus Holstein
kommendes Armeecorps durch Hannover marschiren zu lassen. Diese Erlaubniß
wurde gegeben, und darauf erfuhr man, daß gleichzeitig an der Südgrenze
Hannovers ein Corps von 30,000 Mann zusammengezogen wurde und dem
König von Hannover die Aufforderung zugegangen sei, seine Truppen unter
preußischen Oberbefehl zu stellen. Da dies verweigert wurde, erklärte man
den Krieg, und -- neun Tage später wurde die preußische Avantgarde von
den Hannoveranern über den Haufen geworfen. (Also am 22. Juni. Der Uebers.)
Doch war man noch nicht ganz fertig. (Das Wort g.relupr6t war damals
noch nicht erfunden.) Daher begann der preußische General über den Frieden
zu unterhandeln nnter der Bedingung, daß die Hannoveraner sich still verhielten
und ihren errungenen Sieg nicht verfolgten. Ein Agent des Königs von
Hannover wurde wohl unschuldigerweise in diesem Jntriguenspiel dupirt und
unterzeichnete den Frieden, ohne Wissen seines Monarchen. Ruhig vollendeten
die Preußen ihre Vorbereitungen, und zwei Tage später kündigten sie dem
König von Hannover an, daß sie ihn angreifen würden. Am andern Morgen,
den 27., rückten sie in der Hoffnung eines leichten Sieges aus, griffen an und
wurden vollständig geschlagen, aber von allen Seiten rückten Verstärkungen
heran, die funfzehntausend Hannoveraner wurden von funfzigtausend
Preußen umringt und mußten kapituliren!"

Welchen Grad von Unwissenheit muß der Verfasser seinem Publikum zu¬
trauen, um ihm dergleichen zu erzählen? Es wäre unverzeihlich, durch ein
Wort der Erläuterung den Zauber dieser Darstellung zu trüben.


nicht zu erzählen, daß sie ebenfalls von Deutschland canellirt werden sollen;
dafür versucht er, sie durch Russenfurcht in ein höheres Marinebudget „hinein-
znjraulen", wie man in Berlin sagt.

Ganz besonders schön, ja ich möchte sagen, die Krone des ganzen Auf¬
satzes ist aber die Eroberung Hannovers durch Preußen im Jahre 1866. Es
weht darin etwas von: Hauche Ouro Klopps. Und nur Ehrfurcht vor dem
geistigen Auge des Dichters, das, in holdem Wahnsinn rollend, so neue und
interessante Thatsachen auf den breitgetretenen Pfaden der Weltgeschichte erblickt,
hindert mich, durch freche Einschaltungen diese wahrhaft erhabene Jliade des
Blödsinns zu unterbrechen. Wörtlich heißt es da. ... „Hannover hatte einen
blinden König, der von seinen Unterthanen geliebt, durch Verträge geschützt,
unter den Fittichen Albions lebte. Er konnte auf alle Rechte Anspruch machen,
znerst auf das, welches eine ehrwürdige Schwäche verleiht, es standen ihm so¬
wohl die europäischen Verträge, als die mit seinen lieben und getreuen Ständen
abgeschlossenen zur Seite. Aber trotz alledem verlangte der König von Preußen
am 13. Juni 1866 vom König von Hannover die Erlaubniß, ein aus Holstein
kommendes Armeecorps durch Hannover marschiren zu lassen. Diese Erlaubniß
wurde gegeben, und darauf erfuhr man, daß gleichzeitig an der Südgrenze
Hannovers ein Corps von 30,000 Mann zusammengezogen wurde und dem
König von Hannover die Aufforderung zugegangen sei, seine Truppen unter
preußischen Oberbefehl zu stellen. Da dies verweigert wurde, erklärte man
den Krieg, und — neun Tage später wurde die preußische Avantgarde von
den Hannoveranern über den Haufen geworfen. (Also am 22. Juni. Der Uebers.)
Doch war man noch nicht ganz fertig. (Das Wort g.relupr6t war damals
noch nicht erfunden.) Daher begann der preußische General über den Frieden
zu unterhandeln nnter der Bedingung, daß die Hannoveraner sich still verhielten
und ihren errungenen Sieg nicht verfolgten. Ein Agent des Königs von
Hannover wurde wohl unschuldigerweise in diesem Jntriguenspiel dupirt und
unterzeichnete den Frieden, ohne Wissen seines Monarchen. Ruhig vollendeten
die Preußen ihre Vorbereitungen, und zwei Tage später kündigten sie dem
König von Hannover an, daß sie ihn angreifen würden. Am andern Morgen,
den 27., rückten sie in der Hoffnung eines leichten Sieges aus, griffen an und
wurden vollständig geschlagen, aber von allen Seiten rückten Verstärkungen
heran, die funfzehntausend Hannoveraner wurden von funfzigtausend
Preußen umringt und mußten kapituliren!"

Welchen Grad von Unwissenheit muß der Verfasser seinem Publikum zu¬
trauen, um ihm dergleichen zu erzählen? Es wäre unverzeihlich, durch ein
Wort der Erläuterung den Zauber dieser Darstellung zu trüben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137483"/>
          <p xml:id="ID_1009" prev="#ID_1008"> nicht zu erzählen, daß sie ebenfalls von Deutschland canellirt werden sollen;<lb/>
dafür versucht er, sie durch Russenfurcht in ein höheres Marinebudget &#x201E;hinein-<lb/>
znjraulen", wie man in Berlin sagt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1010"> Ganz besonders schön, ja ich möchte sagen, die Krone des ganzen Auf¬<lb/>
satzes ist aber die Eroberung Hannovers durch Preußen im Jahre 1866. Es<lb/>
weht darin etwas von: Hauche Ouro Klopps. Und nur Ehrfurcht vor dem<lb/>
geistigen Auge des Dichters, das, in holdem Wahnsinn rollend, so neue und<lb/>
interessante Thatsachen auf den breitgetretenen Pfaden der Weltgeschichte erblickt,<lb/>
hindert mich, durch freche Einschaltungen diese wahrhaft erhabene Jliade des<lb/>
Blödsinns zu unterbrechen. Wörtlich heißt es da. ... &#x201E;Hannover hatte einen<lb/>
blinden König, der von seinen Unterthanen geliebt, durch Verträge geschützt,<lb/>
unter den Fittichen Albions lebte. Er konnte auf alle Rechte Anspruch machen,<lb/>
znerst auf das, welches eine ehrwürdige Schwäche verleiht, es standen ihm so¬<lb/>
wohl die europäischen Verträge, als die mit seinen lieben und getreuen Ständen<lb/>
abgeschlossenen zur Seite. Aber trotz alledem verlangte der König von Preußen<lb/>
am 13. Juni 1866 vom König von Hannover die Erlaubniß, ein aus Holstein<lb/>
kommendes Armeecorps durch Hannover marschiren zu lassen. Diese Erlaubniß<lb/>
wurde gegeben, und darauf erfuhr man, daß gleichzeitig an der Südgrenze<lb/>
Hannovers ein Corps von 30,000 Mann zusammengezogen wurde und dem<lb/>
König von Hannover die Aufforderung zugegangen sei, seine Truppen unter<lb/>
preußischen Oberbefehl zu stellen. Da dies verweigert wurde, erklärte man<lb/>
den Krieg, und &#x2014; neun Tage später wurde die preußische Avantgarde von<lb/>
den Hannoveranern über den Haufen geworfen. (Also am 22. Juni. Der Uebers.)<lb/>
Doch war man noch nicht ganz fertig. (Das Wort g.relupr6t war damals<lb/>
noch nicht erfunden.) Daher begann der preußische General über den Frieden<lb/>
zu unterhandeln nnter der Bedingung, daß die Hannoveraner sich still verhielten<lb/>
und ihren errungenen Sieg nicht verfolgten. Ein Agent des Königs von<lb/>
Hannover wurde wohl unschuldigerweise in diesem Jntriguenspiel dupirt und<lb/>
unterzeichnete den Frieden, ohne Wissen seines Monarchen. Ruhig vollendeten<lb/>
die Preußen ihre Vorbereitungen, und zwei Tage später kündigten sie dem<lb/>
König von Hannover an, daß sie ihn angreifen würden. Am andern Morgen,<lb/>
den 27., rückten sie in der Hoffnung eines leichten Sieges aus, griffen an und<lb/>
wurden vollständig geschlagen, aber von allen Seiten rückten Verstärkungen<lb/>
heran, die funfzehntausend Hannoveraner wurden von funfzigtausend<lb/>
Preußen umringt und mußten kapituliren!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1011"> Welchen Grad von Unwissenheit muß der Verfasser seinem Publikum zu¬<lb/>
trauen, um ihm dergleichen zu erzählen? Es wäre unverzeihlich, durch ein<lb/>
Wort der Erläuterung den Zauber dieser Darstellung zu trüben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] nicht zu erzählen, daß sie ebenfalls von Deutschland canellirt werden sollen; dafür versucht er, sie durch Russenfurcht in ein höheres Marinebudget „hinein- znjraulen", wie man in Berlin sagt. Ganz besonders schön, ja ich möchte sagen, die Krone des ganzen Auf¬ satzes ist aber die Eroberung Hannovers durch Preußen im Jahre 1866. Es weht darin etwas von: Hauche Ouro Klopps. Und nur Ehrfurcht vor dem geistigen Auge des Dichters, das, in holdem Wahnsinn rollend, so neue und interessante Thatsachen auf den breitgetretenen Pfaden der Weltgeschichte erblickt, hindert mich, durch freche Einschaltungen diese wahrhaft erhabene Jliade des Blödsinns zu unterbrechen. Wörtlich heißt es da. ... „Hannover hatte einen blinden König, der von seinen Unterthanen geliebt, durch Verträge geschützt, unter den Fittichen Albions lebte. Er konnte auf alle Rechte Anspruch machen, znerst auf das, welches eine ehrwürdige Schwäche verleiht, es standen ihm so¬ wohl die europäischen Verträge, als die mit seinen lieben und getreuen Ständen abgeschlossenen zur Seite. Aber trotz alledem verlangte der König von Preußen am 13. Juni 1866 vom König von Hannover die Erlaubniß, ein aus Holstein kommendes Armeecorps durch Hannover marschiren zu lassen. Diese Erlaubniß wurde gegeben, und darauf erfuhr man, daß gleichzeitig an der Südgrenze Hannovers ein Corps von 30,000 Mann zusammengezogen wurde und dem König von Hannover die Aufforderung zugegangen sei, seine Truppen unter preußischen Oberbefehl zu stellen. Da dies verweigert wurde, erklärte man den Krieg, und — neun Tage später wurde die preußische Avantgarde von den Hannoveranern über den Haufen geworfen. (Also am 22. Juni. Der Uebers.) Doch war man noch nicht ganz fertig. (Das Wort g.relupr6t war damals noch nicht erfunden.) Daher begann der preußische General über den Frieden zu unterhandeln nnter der Bedingung, daß die Hannoveraner sich still verhielten und ihren errungenen Sieg nicht verfolgten. Ein Agent des Königs von Hannover wurde wohl unschuldigerweise in diesem Jntriguenspiel dupirt und unterzeichnete den Frieden, ohne Wissen seines Monarchen. Ruhig vollendeten die Preußen ihre Vorbereitungen, und zwei Tage später kündigten sie dem König von Hannover an, daß sie ihn angreifen würden. Am andern Morgen, den 27., rückten sie in der Hoffnung eines leichten Sieges aus, griffen an und wurden vollständig geschlagen, aber von allen Seiten rückten Verstärkungen heran, die funfzehntausend Hannoveraner wurden von funfzigtausend Preußen umringt und mußten kapituliren!" Welchen Grad von Unwissenheit muß der Verfasser seinem Publikum zu¬ trauen, um ihm dergleichen zu erzählen? Es wäre unverzeihlich, durch ein Wort der Erläuterung den Zauber dieser Darstellung zu trüben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/310>, abgerufen am 27.06.2024.