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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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nahmen nach Halle sich zur Aufnahme meldete, von dein Verfasser des bitter¬
bösen Lehrbuchs kcuun in die Unterqnarta einrangirt werden dürfte, wenn er
eigensinnig bei der Behauptung stehen bleiben sollte: an den Lofodden wird
Walfang betrieben, und der Mälstrom verschluckt Schiffe zum täglichen Brote.
Mich wundert nur, daß er uns nicht ein Abenteuer von Kraken erzählt! Da¬
für aber entschädigt er uns dnrch die Schilderung, wie der norwegische Fischer,
wenn er genug Wale an den Lofodden gefangen hat und vom Mülstrom
Vormittags verschlungen worden ist, seine Nachmittage verbringt: da sitzt er
nämlich ans dem Fensterbrett seines Hanfes, das stets an einem bis 2000
Fuß hohen Abgrund steht, fischt mit der Angel und baumelt mit den Beinen
über dem Abgrund. So steht's ans Seite 401: "lies Hours Äo rexv8, on In,
darqus est dir6v sur lo "atte, ils xöektmt, assis M redorä alö leur fenötre,
Jos xiväs Luspklulus an-cleKZus ä<z 1'a.diuo." Was müssen die Leute für kalte
Füße bekommen!--

Als Merruau das Seetreffen bei Helgoland schildert, das am 9. Mai
1864 zwischen Dänen und Oesterreichern stattfand, da ist er nicht ganz im
Klaren, ob es Hinterlist oder Mangel an Muth von den preußischen Kanonen¬
booten war, daß sie nur aus der Ferne mit ihren häßlichen großen Kanonen
schössen, die immer so unangenehm sicher treffen. Sie hätten müssen die däni¬
schen Fregatten in den Grund bohren! Ja, das ist aber das Widerwärtige an
dieser race in-ussisimv -- du hast es ja schou früher bemerkt -- sie liebt
uicht "die Gefahr um ihrer selbst willen!"

Man glaube indessen nicht, daß solcher Unsinn auch in Frankreich von
allen gescheuten Leuten verlacht werden müsse. Es ist für uns Deutsche ganz
unglaublich, was für Albernheiten der gebildete Franzose anscheinend wider¬
standslos ertrüge, weil ihm der Sinn für historische Wahrheit absolut fehlt.
Das Sprüchwort: "Auf eine Lüge gehört eine Ohrfeige!" wird einem Franzosen
stets brutal erscheine", er würde ja einen großen Bruchtheil seiner Bekannten
mit geschwollenen Gesichtern erblicken müssen. Wie munter die Legendenbildnug
in Bezug auf die unangenehmen Thatsachen des letzten Krieges wuchert, dafür
können wir einen Beleg aus sehr guter Quelle bieten: Ein Schweizer ans dem
Waadtland, der im Jahre 1871 bei jenem schweizer Truppencorps, welches
Bourbakis fliehende Armee bei ihrem Uebertritt zu Pruntrut entwaffnete, als
Wehrmann eingezogen war, berührte auf der Reise im Sommer 1874 Lyon.
In einem dortigen Kaffeehause hörte er die Unterhaltung von zwei französi¬
schen Offizieren mit an. Der ältere, ein Kapitain, belehrte den jüngeren über
verschiedene Erlebnisse des großen Krieges. Der Lieutenant fragte unter
Anderem: Wie hängt das eigentlich zusammen, daß Bonrbakis Armee, nachdem
sie doch an der Lisaine siegreich die Armee der Preußen in ihrem Vordringen


nahmen nach Halle sich zur Aufnahme meldete, von dein Verfasser des bitter¬
bösen Lehrbuchs kcuun in die Unterqnarta einrangirt werden dürfte, wenn er
eigensinnig bei der Behauptung stehen bleiben sollte: an den Lofodden wird
Walfang betrieben, und der Mälstrom verschluckt Schiffe zum täglichen Brote.
Mich wundert nur, daß er uns nicht ein Abenteuer von Kraken erzählt! Da¬
für aber entschädigt er uns dnrch die Schilderung, wie der norwegische Fischer,
wenn er genug Wale an den Lofodden gefangen hat und vom Mülstrom
Vormittags verschlungen worden ist, seine Nachmittage verbringt: da sitzt er
nämlich ans dem Fensterbrett seines Hanfes, das stets an einem bis 2000
Fuß hohen Abgrund steht, fischt mit der Angel und baumelt mit den Beinen
über dem Abgrund. So steht's ans Seite 401: „lies Hours Äo rexv8, on In,
darqus est dir6v sur lo «atte, ils xöektmt, assis M redorä alö leur fenötre,
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Füße bekommen!--

Als Merruau das Seetreffen bei Helgoland schildert, das am 9. Mai
1864 zwischen Dänen und Oesterreichern stattfand, da ist er nicht ganz im
Klaren, ob es Hinterlist oder Mangel an Muth von den preußischen Kanonen¬
booten war, daß sie nur aus der Ferne mit ihren häßlichen großen Kanonen
schössen, die immer so unangenehm sicher treffen. Sie hätten müssen die däni¬
schen Fregatten in den Grund bohren! Ja, das ist aber das Widerwärtige an
dieser race in-ussisimv — du hast es ja schou früher bemerkt — sie liebt
uicht „die Gefahr um ihrer selbst willen!"

Man glaube indessen nicht, daß solcher Unsinn auch in Frankreich von
allen gescheuten Leuten verlacht werden müsse. Es ist für uns Deutsche ganz
unglaublich, was für Albernheiten der gebildete Franzose anscheinend wider¬
standslos ertrüge, weil ihm der Sinn für historische Wahrheit absolut fehlt.
Das Sprüchwort: „Auf eine Lüge gehört eine Ohrfeige!" wird einem Franzosen
stets brutal erscheine», er würde ja einen großen Bruchtheil seiner Bekannten
mit geschwollenen Gesichtern erblicken müssen. Wie munter die Legendenbildnug
in Bezug auf die unangenehmen Thatsachen des letzten Krieges wuchert, dafür
können wir einen Beleg aus sehr guter Quelle bieten: Ein Schweizer ans dem
Waadtland, der im Jahre 1871 bei jenem schweizer Truppencorps, welches
Bourbakis fliehende Armee bei ihrem Uebertritt zu Pruntrut entwaffnete, als
Wehrmann eingezogen war, berührte auf der Reise im Sommer 1874 Lyon.
In einem dortigen Kaffeehause hörte er die Unterhaltung von zwei französi¬
schen Offizieren mit an. Der ältere, ein Kapitain, belehrte den jüngeren über
verschiedene Erlebnisse des großen Krieges. Der Lieutenant fragte unter
Anderem: Wie hängt das eigentlich zusammen, daß Bonrbakis Armee, nachdem
sie doch an der Lisaine siegreich die Armee der Preußen in ihrem Vordringen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/308>, abgerufen am 02.07.2024.