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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Dom preußischen Landtage.

Die Budgetdebatten der abgelaufenen Woche erreichten ihren dramatischen
Höhepunkt in dem Wortgefechte über den Dispositionsfonds "für allgemeine
politische Zwecke". Diese 31,000 Thaler haben seit langen Jahren das Ver¬
dienst, den Sensationsbedürftigen der Tribünen einen genußreichen Tag zu
verschaffen. In dieser Beziehung haben sie ihren Ruf auch Heuer bewährt.
Aber niemals zuvor bewegte sich der Streit auf so plattem Niveau, wie dies¬
mal. Prinzipiell wurde der Fonds eigentlich nur von ultramvntauer Seite
angefochten. Herr Windthorst will weder eine vfsiciöse Presse, noch eine ge¬
heime Polizei. Beide gelten ihm als schlechtweg verwerflich. Sein Gesinnungs¬
genosse v. Schorlemer verstieg sich sogar so weit, die officiöse Publicistik als
"Pestbeule" zu charakterisiren, für welche drastische Bezeichnung natürlich eine
Isvis nvtg, von Seiten des Präsidenten nicht ausblieb. Das Seltsame dabei
ist nur, daß Alles, was man hier mit so gewaltiger sittlicher Entrüstung be¬
kämpft, nirgends sorgfältiger ausgebildet ist und nachdrücklicher ausgeübt wird,
als in der Staatskunst der Jesuiten. Auch dürfte es interessant sein, näher
zu untersuchen, ob die weiland hannoversche Staatsregierung zu Zeiten der
Windthorstschen Ministerschaft ihre Hände von diesen Greueln wirklich so rein
gehalten hat, wie mau nach dem calorischem Auftreten des Führers der
Centrumspartei vermuthen sollte. Allein, nicht diese Angriffe von ultramontaner
Seite gaben der Debatte die Signatur; das Charakteristische lag in dem Duell
zwischen der Fortschrittspartei und dem Minister des Innern. Aus dem Dis¬
positionsfonds wird u. A. die "Provinzialcorrespondenz" unterhalten. Man
kann der Fortschrittspartei nicht verargen, wenn sie dies Organ mit ihrem
Groll bedenkt; es hat sie, namentlich zur Zeit der Landtagswahlen, mit ent¬
schiedenster Unzweideutigkeit als die von der Regierung perhorrescirte Partei
gekennzeichnet. Nur nimmt es sich nach den jüngsten Erfahrungen in der
That recht komisch aus, wenn gerade die Führer der Fortschrittspartei sich zu
Lehrmeistern in der Loyalität und Sittlichkeit des politischen Parteikampfes
aufwerfen. Wir sind weit entfernt, die Art, wie die "Provinzialcorrespondenz"
die Fehde geführt hat, zu billigen; bedenken wir aber, wie der nationalliberalen
Partei dafür, daß sie in der Landtagswahlbewegung die Uebertreibungen der
Offieivsen über den angeblich staatsfeindlichen Charakter der Fortschrittspartei
zurückgewiesen hat, von der letzteren vergolten worden ist, so ist uns sehr er¬
klärlich, daß die Nationalliberalen durchaus nicht Lust zeigten, sich durch die
pathetische Philippika des Herrn Virchow mit fortreiße,, zu lassen. Für ihre


Dom preußischen Landtage.

Die Budgetdebatten der abgelaufenen Woche erreichten ihren dramatischen
Höhepunkt in dem Wortgefechte über den Dispositionsfonds „für allgemeine
politische Zwecke". Diese 31,000 Thaler haben seit langen Jahren das Ver¬
dienst, den Sensationsbedürftigen der Tribünen einen genußreichen Tag zu
verschaffen. In dieser Beziehung haben sie ihren Ruf auch Heuer bewährt.
Aber niemals zuvor bewegte sich der Streit auf so plattem Niveau, wie dies¬
mal. Prinzipiell wurde der Fonds eigentlich nur von ultramvntauer Seite
angefochten. Herr Windthorst will weder eine vfsiciöse Presse, noch eine ge¬
heime Polizei. Beide gelten ihm als schlechtweg verwerflich. Sein Gesinnungs¬
genosse v. Schorlemer verstieg sich sogar so weit, die officiöse Publicistik als
„Pestbeule" zu charakterisiren, für welche drastische Bezeichnung natürlich eine
Isvis nvtg, von Seiten des Präsidenten nicht ausblieb. Das Seltsame dabei
ist nur, daß Alles, was man hier mit so gewaltiger sittlicher Entrüstung be¬
kämpft, nirgends sorgfältiger ausgebildet ist und nachdrücklicher ausgeübt wird,
als in der Staatskunst der Jesuiten. Auch dürfte es interessant sein, näher
zu untersuchen, ob die weiland hannoversche Staatsregierung zu Zeiten der
Windthorstschen Ministerschaft ihre Hände von diesen Greueln wirklich so rein
gehalten hat, wie mau nach dem calorischem Auftreten des Führers der
Centrumspartei vermuthen sollte. Allein, nicht diese Angriffe von ultramontaner
Seite gaben der Debatte die Signatur; das Charakteristische lag in dem Duell
zwischen der Fortschrittspartei und dem Minister des Innern. Aus dem Dis¬
positionsfonds wird u. A. die „Provinzialcorrespondenz" unterhalten. Man
kann der Fortschrittspartei nicht verargen, wenn sie dies Organ mit ihrem
Groll bedenkt; es hat sie, namentlich zur Zeit der Landtagswahlen, mit ent¬
schiedenster Unzweideutigkeit als die von der Regierung perhorrescirte Partei
gekennzeichnet. Nur nimmt es sich nach den jüngsten Erfahrungen in der
That recht komisch aus, wenn gerade die Führer der Fortschrittspartei sich zu
Lehrmeistern in der Loyalität und Sittlichkeit des politischen Parteikampfes
aufwerfen. Wir sind weit entfernt, die Art, wie die „Provinzialcorrespondenz"
die Fehde geführt hat, zu billigen; bedenken wir aber, wie der nationalliberalen
Partei dafür, daß sie in der Landtagswahlbewegung die Uebertreibungen der
Offieivsen über den angeblich staatsfeindlichen Charakter der Fortschrittspartei
zurückgewiesen hat, von der letzteren vergolten worden ist, so ist uns sehr er¬
klärlich, daß die Nationalliberalen durchaus nicht Lust zeigten, sich durch die
pathetische Philippika des Herrn Virchow mit fortreiße,, zu lassen. Für ihre


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[0279] Dom preußischen Landtage. Die Budgetdebatten der abgelaufenen Woche erreichten ihren dramatischen Höhepunkt in dem Wortgefechte über den Dispositionsfonds „für allgemeine politische Zwecke". Diese 31,000 Thaler haben seit langen Jahren das Ver¬ dienst, den Sensationsbedürftigen der Tribünen einen genußreichen Tag zu verschaffen. In dieser Beziehung haben sie ihren Ruf auch Heuer bewährt. Aber niemals zuvor bewegte sich der Streit auf so plattem Niveau, wie dies¬ mal. Prinzipiell wurde der Fonds eigentlich nur von ultramvntauer Seite angefochten. Herr Windthorst will weder eine vfsiciöse Presse, noch eine ge¬ heime Polizei. Beide gelten ihm als schlechtweg verwerflich. Sein Gesinnungs¬ genosse v. Schorlemer verstieg sich sogar so weit, die officiöse Publicistik als „Pestbeule" zu charakterisiren, für welche drastische Bezeichnung natürlich eine Isvis nvtg, von Seiten des Präsidenten nicht ausblieb. Das Seltsame dabei ist nur, daß Alles, was man hier mit so gewaltiger sittlicher Entrüstung be¬ kämpft, nirgends sorgfältiger ausgebildet ist und nachdrücklicher ausgeübt wird, als in der Staatskunst der Jesuiten. Auch dürfte es interessant sein, näher zu untersuchen, ob die weiland hannoversche Staatsregierung zu Zeiten der Windthorstschen Ministerschaft ihre Hände von diesen Greueln wirklich so rein gehalten hat, wie mau nach dem calorischem Auftreten des Führers der Centrumspartei vermuthen sollte. Allein, nicht diese Angriffe von ultramontaner Seite gaben der Debatte die Signatur; das Charakteristische lag in dem Duell zwischen der Fortschrittspartei und dem Minister des Innern. Aus dem Dis¬ positionsfonds wird u. A. die „Provinzialcorrespondenz" unterhalten. Man kann der Fortschrittspartei nicht verargen, wenn sie dies Organ mit ihrem Groll bedenkt; es hat sie, namentlich zur Zeit der Landtagswahlen, mit ent¬ schiedenster Unzweideutigkeit als die von der Regierung perhorrescirte Partei gekennzeichnet. Nur nimmt es sich nach den jüngsten Erfahrungen in der That recht komisch aus, wenn gerade die Führer der Fortschrittspartei sich zu Lehrmeistern in der Loyalität und Sittlichkeit des politischen Parteikampfes aufwerfen. Wir sind weit entfernt, die Art, wie die „Provinzialcorrespondenz" die Fehde geführt hat, zu billigen; bedenken wir aber, wie der nationalliberalen Partei dafür, daß sie in der Landtagswahlbewegung die Uebertreibungen der Offieivsen über den angeblich staatsfeindlichen Charakter der Fortschrittspartei zurückgewiesen hat, von der letzteren vergolten worden ist, so ist uns sehr er¬ klärlich, daß die Nationalliberalen durchaus nicht Lust zeigten, sich durch die pathetische Philippika des Herrn Virchow mit fortreiße,, zu lassen. Für ihre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/279>, abgerufen am 03.07.2024.