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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Osten her, konnten damals durch nichts gehindert werden. So überfielen 1800
4000 Kokanzen die schwache westsibirische Festung Kostet, verloren dafür aber
die Festungen Tokmak und Pischpek, welche von den Russen zerstört wurden.

Während durch eine Kolonne von Kopai aus die Kara - Kirgisen unter
russische Herrschaft gebracht wurden, nahm gleichzeitig -- 1860 -- der oren-
burgische Generalgouvemeur, General-Adjutant Besant, die Forts Djnlek und
Jaup-Kuryan ein. Die Ssyr-Linie wurde dadurch wieder um einige 150
Werst nach Südosten verlängert.

Dessenungeachtet waren in der Folgezeit zu wiederholten Malen die Forts
Djnlek und Perowskij von Kokanzen angegriffen worden, ohne daß Rußland
energische Schritte gethan hätte. Der Aufstand in Polen machte sich auch in
Mittelasien fühlbar, -- ein Zeichen, wie verwundbar doch dies mächtige Reich
ist, denn die Verhältnisse möchten sich in dieser Beziehung kaum wesentlich ge¬
ändert haben. Ein insurgirtes Polen wird bei allen politischen Constellationen
immer ein sehr gefährlicher Feind Rußlands sein.

Erst im Jahre 1864 nahm man die Operationen zum Zwecke, sich von
Osten und Westen her in dem fruchtbaren Gelände des Chanats Kokan die
Hand zu reichen, und so die nördlich liegende Hungersteppe ganz zu um¬
schließen, wieder auf. Während im Juni der Generaloberst Tscherniajew, der¬
selbe, welcher jetzt in Serbien eine so eigenthümliche Rolle gespielt hat, in süd¬
westlicher Richmng vorgehend, die mächtige Festung Aulie-Ala nahm, brach
gleichzeitig der Oberst Werewkin von Djnlek vor und eroberte die Stadt Tur-
kestan. Mit beiden Kolonnen dirigirte sich dann Tscherniajew auf das weiter
südlich gelegene Tschimkent, wohin sich die Kokanzen nach dem Falle Turkestan's
zurückgezogen hatten. Tschimkent fiel am 13. September in die Hände der
Russen, nachdem dieselben, einmal zurückgewiesen, Verstärkungen herangezogen
hatten.

Trotz dieses Erfolges war die Lage des russischen Detachements keines¬
wegs sehr günstig: das in Besitz genommene Territorium war von Räuber¬
horden angefüllt, die Kokanzen zogen sich wieder zu großen Massen zusammen,
und dazu war der Winter vor der Thür. Der General Tscherniajew meinte,
daß die Einnahme Taschkents dem Allem die Spitze abbrechen würde, und ge¬
wiß mit vollem Rechte. Ein am 2. October unternommener Sturm wurde
aber abgeschlagen und die Russen mußten nach Tschimkent zurückgehen.

Durch diesen den Russen abgerungenen Vortheil kühn gemacht, ergriffen
nunmehr die Kokanzen die Offensive. Tschimkent, wo der General Tschernia¬
jew seine Hauptkräfte concentrirt hatte, wagten sie freilich nicht anzugreifen.
Doch machten sie auf dem linken Ufer des Ssyr eine Diversion gegen die Stadt
Turkestan, ohne daß übrigens dadurch ein positiver Erfolg erzielt wäre.


Osten her, konnten damals durch nichts gehindert werden. So überfielen 1800
4000 Kokanzen die schwache westsibirische Festung Kostet, verloren dafür aber
die Festungen Tokmak und Pischpek, welche von den Russen zerstört wurden.

Während durch eine Kolonne von Kopai aus die Kara - Kirgisen unter
russische Herrschaft gebracht wurden, nahm gleichzeitig — 1860 — der oren-
burgische Generalgouvemeur, General-Adjutant Besant, die Forts Djnlek und
Jaup-Kuryan ein. Die Ssyr-Linie wurde dadurch wieder um einige 150
Werst nach Südosten verlängert.

Dessenungeachtet waren in der Folgezeit zu wiederholten Malen die Forts
Djnlek und Perowskij von Kokanzen angegriffen worden, ohne daß Rußland
energische Schritte gethan hätte. Der Aufstand in Polen machte sich auch in
Mittelasien fühlbar, — ein Zeichen, wie verwundbar doch dies mächtige Reich
ist, denn die Verhältnisse möchten sich in dieser Beziehung kaum wesentlich ge¬
ändert haben. Ein insurgirtes Polen wird bei allen politischen Constellationen
immer ein sehr gefährlicher Feind Rußlands sein.

Erst im Jahre 1864 nahm man die Operationen zum Zwecke, sich von
Osten und Westen her in dem fruchtbaren Gelände des Chanats Kokan die
Hand zu reichen, und so die nördlich liegende Hungersteppe ganz zu um¬
schließen, wieder auf. Während im Juni der Generaloberst Tscherniajew, der¬
selbe, welcher jetzt in Serbien eine so eigenthümliche Rolle gespielt hat, in süd¬
westlicher Richmng vorgehend, die mächtige Festung Aulie-Ala nahm, brach
gleichzeitig der Oberst Werewkin von Djnlek vor und eroberte die Stadt Tur-
kestan. Mit beiden Kolonnen dirigirte sich dann Tscherniajew auf das weiter
südlich gelegene Tschimkent, wohin sich die Kokanzen nach dem Falle Turkestan's
zurückgezogen hatten. Tschimkent fiel am 13. September in die Hände der
Russen, nachdem dieselben, einmal zurückgewiesen, Verstärkungen herangezogen
hatten.

Trotz dieses Erfolges war die Lage des russischen Detachements keines¬
wegs sehr günstig: das in Besitz genommene Territorium war von Räuber¬
horden angefüllt, die Kokanzen zogen sich wieder zu großen Massen zusammen,
und dazu war der Winter vor der Thür. Der General Tscherniajew meinte,
daß die Einnahme Taschkents dem Allem die Spitze abbrechen würde, und ge¬
wiß mit vollem Rechte. Ein am 2. October unternommener Sturm wurde
aber abgeschlagen und die Russen mußten nach Tschimkent zurückgehen.

Durch diesen den Russen abgerungenen Vortheil kühn gemacht, ergriffen
nunmehr die Kokanzen die Offensive. Tschimkent, wo der General Tschernia¬
jew seine Hauptkräfte concentrirt hatte, wagten sie freilich nicht anzugreifen.
Doch machten sie auf dem linken Ufer des Ssyr eine Diversion gegen die Stadt
Turkestan, ohne daß übrigens dadurch ein positiver Erfolg erzielt wäre.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/23>, abgerufen am 03.07.2024.