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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Das Expeditionscorps selbst war nur 4413 Mnuu stark, während der
Train für die Bagage und die Verpflegnngsbedürfnisse 2012 Pferde, 10,400
Kameele mit 2000 kirgisischen Führern zählte.

Am 14. November 1839 wurde eine Proklamation erlassen, in welcher
speziell auf die Freilassung der von den chiwesischen Steppenräubern in die
Gefangenschaft geschleppten russischen Unterthanen und ans die Anbahnung ge¬
regelter Beziehungen zu dem Chanat Chiwa hingewiesen wurde.

Am 29. November begann der Vormarsch vom Ural aus. Bei einer
ohngeführen Entfernung von 1250 Werst hoffte man die Hauptstadt des Cha-
nats in 50 Etappen zu erreichen. Um in den fast wasserlosen Steppen vor
Wassermangel geschützt zu sein, hatte man den Winter zur Ausführung der
Expedition gewühlt, -- ein Umstand, welcher dies Unternehmen vollständig
zum Scheitern bringen sollte. Während nämlich im Winter 1839/40 im süd¬
lichen Deutschland der Aequatorialstrom mit großer Beständigkeit herrschte,
suchte von Norden her der eisige Luftstrom nach dem Ural- und Caspischen
Meere seinen Abfluß, um als ein mit dichtem Schneetreiben verbundener Sturm
bei einer Temparatur bis -- 32" R. den russischen Truppen auf ihrem Marsche
gegen Chiwa Tod und Verderben zu bringen. Trotz der grausigen Kälte,
welche mit nur wenigen Ausnahmen jeden Tag mindestens 20° R. betrug und
sich in den letzten Tagen -- wie gesagt -- bis zu 32" R. steigerte, erreichte
man doch den Embaposten, freilich schon mit einem Verluste von 532 Mann
und von t/5 der Lastthiere.

Die hier einlaufenden Nachrichten, daß Ak-lmlak von dem Feinde über¬
fallen, daß die Transportschiffe in Folge des Eises keine Verpflegungsmittel
nach Rooo-Alexandrowsfk hätten bringen können, vermochten den Entschluß
des Generals Perowsskij, weiter zu marschiren, noch nicht schwankend zu
machen. Er hoffte auf einen Witterungswechsel und rückte am 12. Januar
vom Embaposten wieder ab. Das Wetter blieb aber dasselbe, die Kälte war
entsetzlich und der Schnee lag so hoch, daß Pferde und Kameele bis an den
Bauch versanken. Die furchtbaren Schneestürme zwangen die Truppen an:
Tage öfters zu halten und machten eine Verbindung der einzelnen Echelons
unter einander ganz unmöglich. In Ak-bnlak, das man nach 18 Tagen end¬
lich erreicht hatte, mußte Halt, ja Kehrt gemacht werden: am 13. Februar
wurde der Befehl zum Rückmarsch gegeben.' Aber erst am 8. Juni rückten die
Ueberreste des Expeditionskorps in Orenburg ein: 1054 Mann lagen todt in
der Steppe, 609 Kranke nahmen die Lazarethe in Orenbnrg auf.

Durch diesen Mißerfolg war das Ansehen Rußlands in den Steppen
selbst seinen Unterthanen gegenüber sehr geschädigt. Die Kirgisen waren im
vollen Aufstande und erst nach der Ermordung ihres kühnen Anführers


Das Expeditionscorps selbst war nur 4413 Mnuu stark, während der
Train für die Bagage und die Verpflegnngsbedürfnisse 2012 Pferde, 10,400
Kameele mit 2000 kirgisischen Führern zählte.

Am 14. November 1839 wurde eine Proklamation erlassen, in welcher
speziell auf die Freilassung der von den chiwesischen Steppenräubern in die
Gefangenschaft geschleppten russischen Unterthanen und ans die Anbahnung ge¬
regelter Beziehungen zu dem Chanat Chiwa hingewiesen wurde.

Am 29. November begann der Vormarsch vom Ural aus. Bei einer
ohngeführen Entfernung von 1250 Werst hoffte man die Hauptstadt des Cha-
nats in 50 Etappen zu erreichen. Um in den fast wasserlosen Steppen vor
Wassermangel geschützt zu sein, hatte man den Winter zur Ausführung der
Expedition gewühlt, — ein Umstand, welcher dies Unternehmen vollständig
zum Scheitern bringen sollte. Während nämlich im Winter 1839/40 im süd¬
lichen Deutschland der Aequatorialstrom mit großer Beständigkeit herrschte,
suchte von Norden her der eisige Luftstrom nach dem Ural- und Caspischen
Meere seinen Abfluß, um als ein mit dichtem Schneetreiben verbundener Sturm
bei einer Temparatur bis — 32« R. den russischen Truppen auf ihrem Marsche
gegen Chiwa Tod und Verderben zu bringen. Trotz der grausigen Kälte,
welche mit nur wenigen Ausnahmen jeden Tag mindestens 20° R. betrug und
sich in den letzten Tagen — wie gesagt — bis zu 32« R. steigerte, erreichte
man doch den Embaposten, freilich schon mit einem Verluste von 532 Mann
und von t/5 der Lastthiere.

Die hier einlaufenden Nachrichten, daß Ak-lmlak von dem Feinde über¬
fallen, daß die Transportschiffe in Folge des Eises keine Verpflegungsmittel
nach Rooo-Alexandrowsfk hätten bringen können, vermochten den Entschluß
des Generals Perowsskij, weiter zu marschiren, noch nicht schwankend zu
machen. Er hoffte auf einen Witterungswechsel und rückte am 12. Januar
vom Embaposten wieder ab. Das Wetter blieb aber dasselbe, die Kälte war
entsetzlich und der Schnee lag so hoch, daß Pferde und Kameele bis an den
Bauch versanken. Die furchtbaren Schneestürme zwangen die Truppen an:
Tage öfters zu halten und machten eine Verbindung der einzelnen Echelons
unter einander ganz unmöglich. In Ak-bnlak, das man nach 18 Tagen end¬
lich erreicht hatte, mußte Halt, ja Kehrt gemacht werden: am 13. Februar
wurde der Befehl zum Rückmarsch gegeben.' Aber erst am 8. Juni rückten die
Ueberreste des Expeditionskorps in Orenburg ein: 1054 Mann lagen todt in
der Steppe, 609 Kranke nahmen die Lazarethe in Orenbnrg auf.

Durch diesen Mißerfolg war das Ansehen Rußlands in den Steppen
selbst seinen Unterthanen gegenüber sehr geschädigt. Die Kirgisen waren im
vollen Aufstande und erst nach der Ermordung ihres kühnen Anführers


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[0021] Das Expeditionscorps selbst war nur 4413 Mnuu stark, während der Train für die Bagage und die Verpflegnngsbedürfnisse 2012 Pferde, 10,400 Kameele mit 2000 kirgisischen Führern zählte. Am 14. November 1839 wurde eine Proklamation erlassen, in welcher speziell auf die Freilassung der von den chiwesischen Steppenräubern in die Gefangenschaft geschleppten russischen Unterthanen und ans die Anbahnung ge¬ regelter Beziehungen zu dem Chanat Chiwa hingewiesen wurde. Am 29. November begann der Vormarsch vom Ural aus. Bei einer ohngeführen Entfernung von 1250 Werst hoffte man die Hauptstadt des Cha- nats in 50 Etappen zu erreichen. Um in den fast wasserlosen Steppen vor Wassermangel geschützt zu sein, hatte man den Winter zur Ausführung der Expedition gewühlt, — ein Umstand, welcher dies Unternehmen vollständig zum Scheitern bringen sollte. Während nämlich im Winter 1839/40 im süd¬ lichen Deutschland der Aequatorialstrom mit großer Beständigkeit herrschte, suchte von Norden her der eisige Luftstrom nach dem Ural- und Caspischen Meere seinen Abfluß, um als ein mit dichtem Schneetreiben verbundener Sturm bei einer Temparatur bis — 32« R. den russischen Truppen auf ihrem Marsche gegen Chiwa Tod und Verderben zu bringen. Trotz der grausigen Kälte, welche mit nur wenigen Ausnahmen jeden Tag mindestens 20° R. betrug und sich in den letzten Tagen — wie gesagt — bis zu 32« R. steigerte, erreichte man doch den Embaposten, freilich schon mit einem Verluste von 532 Mann und von t/5 der Lastthiere. Die hier einlaufenden Nachrichten, daß Ak-lmlak von dem Feinde über¬ fallen, daß die Transportschiffe in Folge des Eises keine Verpflegungsmittel nach Rooo-Alexandrowsfk hätten bringen können, vermochten den Entschluß des Generals Perowsskij, weiter zu marschiren, noch nicht schwankend zu machen. Er hoffte auf einen Witterungswechsel und rückte am 12. Januar vom Embaposten wieder ab. Das Wetter blieb aber dasselbe, die Kälte war entsetzlich und der Schnee lag so hoch, daß Pferde und Kameele bis an den Bauch versanken. Die furchtbaren Schneestürme zwangen die Truppen an: Tage öfters zu halten und machten eine Verbindung der einzelnen Echelons unter einander ganz unmöglich. In Ak-bnlak, das man nach 18 Tagen end¬ lich erreicht hatte, mußte Halt, ja Kehrt gemacht werden: am 13. Februar wurde der Befehl zum Rückmarsch gegeben.' Aber erst am 8. Juni rückten die Ueberreste des Expeditionskorps in Orenburg ein: 1054 Mann lagen todt in der Steppe, 609 Kranke nahmen die Lazarethe in Orenbnrg auf. Durch diesen Mißerfolg war das Ansehen Rußlands in den Steppen selbst seinen Unterthanen gegenüber sehr geschädigt. Die Kirgisen waren im vollen Aufstande und erst nach der Ermordung ihres kühnen Anführers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/21>, abgerufen am 23.07.2024.