Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Weise: Zuerst nahmen sie ihm den Kelch und sprachen: O! du verfluchter Judas,
welcher verlassen den Rath des Friedens, und Rath gehalten mit den Juden,
siehe, wir nehmen von dir diesen Kelch, darinnen das Blut Jesu Christi aufgeopfert
wird, zur Vergebung der Sünden. Auf diese Weise nahmen sie ihm das
andere Gerüthe eines ums andere und sprachen zu einem jeden gemeldete Worte
des Fluches. Da sie ihn nun aller Meßkleider beraubet hatten, wollten sie
ihm auch die Platte auf seinem Kopf schänden. Es enstund hierüber ein
Streit unter den Bischöfen und Pfaffen, einige wollten es mit dem Scheer-
messer thun, andere aber sagten: es sei genug, wenn es mit der Scheere ge¬
schehe. Endlich verglichen sie sich, und machten mit der Scheere ein Krenz in
die Platte, setzten ihm eine papierne Krone, ans und sprachen: Wir befehlen
deine Seele den Teufeln. Die Krone war ohngefähr eine halbe Elle hoch,
in Form einer Pyramide, daran drey grosse abscheuliche Teufel gemahlet waren,
mit der Unterschrift: dieser ist ein Erzieher. Hierauf befahl der Kaiser Herzog Lud¬
wiger: Er sollte ihn dem Henker übergeben. Zu dem Ende legte der Herzog
seinen fürstlichen Ornat ab, in welchen er den Kaiser bedienete, überantwortete
Hussen, und führte ihn bis zu dem Richtplatz.

Es war aber Caspar Graf von Schlick kaiserlicher Kanzler, ein sehr ge¬
lehrter, kluger und verständiger Herr der bey drey Königen die hohe Würde als
Kanzler ohne einigen Wechsel des Glücks, begleitet hatte, und deswegen von
ihnen viele Städte und Güter, als Passau, Weisseukirche (wovon sich die
Grafen Schlick noch heutzutage schreiben) Ellnbogen, Gram in Steuermark !e.
geschenkt bekommen, gegenwärtig. Von diesem sagt man, als er das Urtheil
gehöret, sey er aus der Kirche gegangen, und habe öffentlich betheuret, wie er
bey einem so übereilten Urtheil mit guten Gewissen nicht gegenwärtig
sein könne.

Nachdem nun Huß auf diese Art verdammt war, führeten die Henker ihn
mit der Krone ans dem Handle zu dem Scheiterhanffen. Da er auf dem
Kirchhofe seine Bücher verbrennen sahe, stand er stille, und lachte. Darauf
gieng er fröhlich, ohne ein einziges Zeichen von Furcht vou sich zu geben, an
den in die Erde geschlagenen Pfahl; an diesen bunten ihn die Henker rücklings
mit 6. Stricken. Um den Halß legten sie ihn eine alte verrostete Kette, gleich¬
sam als ob er keiner neuen werth wäre. Unter seinen Füssen, an welchen
noch die Stiefeln und Fußeisen waren, legten sie 2 Büschel Reißholz , und
um ihn rum viel Holz, Stroh und Reißig. Ehe es aber der Henker an¬
zündete, ritte Herzog Ludwig von Bayern und der Marschall einer Reichsstadt
zu ihm, und befragte ihn noch einmal: Ob er von seinem Irrthum abstehen,
und seine Lehre und Predigten verschwören wolle? Huß aber rief mit Heller
Stimme aus dem Holzhauffen: Ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich das-


Weise: Zuerst nahmen sie ihm den Kelch und sprachen: O! du verfluchter Judas,
welcher verlassen den Rath des Friedens, und Rath gehalten mit den Juden,
siehe, wir nehmen von dir diesen Kelch, darinnen das Blut Jesu Christi aufgeopfert
wird, zur Vergebung der Sünden. Auf diese Weise nahmen sie ihm das
andere Gerüthe eines ums andere und sprachen zu einem jeden gemeldete Worte
des Fluches. Da sie ihn nun aller Meßkleider beraubet hatten, wollten sie
ihm auch die Platte auf seinem Kopf schänden. Es enstund hierüber ein
Streit unter den Bischöfen und Pfaffen, einige wollten es mit dem Scheer-
messer thun, andere aber sagten: es sei genug, wenn es mit der Scheere ge¬
schehe. Endlich verglichen sie sich, und machten mit der Scheere ein Krenz in
die Platte, setzten ihm eine papierne Krone, ans und sprachen: Wir befehlen
deine Seele den Teufeln. Die Krone war ohngefähr eine halbe Elle hoch,
in Form einer Pyramide, daran drey grosse abscheuliche Teufel gemahlet waren,
mit der Unterschrift: dieser ist ein Erzieher. Hierauf befahl der Kaiser Herzog Lud¬
wiger: Er sollte ihn dem Henker übergeben. Zu dem Ende legte der Herzog
seinen fürstlichen Ornat ab, in welchen er den Kaiser bedienete, überantwortete
Hussen, und führte ihn bis zu dem Richtplatz.

Es war aber Caspar Graf von Schlick kaiserlicher Kanzler, ein sehr ge¬
lehrter, kluger und verständiger Herr der bey drey Königen die hohe Würde als
Kanzler ohne einigen Wechsel des Glücks, begleitet hatte, und deswegen von
ihnen viele Städte und Güter, als Passau, Weisseukirche (wovon sich die
Grafen Schlick noch heutzutage schreiben) Ellnbogen, Gram in Steuermark !e.
geschenkt bekommen, gegenwärtig. Von diesem sagt man, als er das Urtheil
gehöret, sey er aus der Kirche gegangen, und habe öffentlich betheuret, wie er
bey einem so übereilten Urtheil mit guten Gewissen nicht gegenwärtig
sein könne.

Nachdem nun Huß auf diese Art verdammt war, führeten die Henker ihn
mit der Krone ans dem Handle zu dem Scheiterhanffen. Da er auf dem
Kirchhofe seine Bücher verbrennen sahe, stand er stille, und lachte. Darauf
gieng er fröhlich, ohne ein einziges Zeichen von Furcht vou sich zu geben, an
den in die Erde geschlagenen Pfahl; an diesen bunten ihn die Henker rücklings
mit 6. Stricken. Um den Halß legten sie ihn eine alte verrostete Kette, gleich¬
sam als ob er keiner neuen werth wäre. Unter seinen Füssen, an welchen
noch die Stiefeln und Fußeisen waren, legten sie 2 Büschel Reißholz , und
um ihn rum viel Holz, Stroh und Reißig. Ehe es aber der Henker an¬
zündete, ritte Herzog Ludwig von Bayern und der Marschall einer Reichsstadt
zu ihm, und befragte ihn noch einmal: Ob er von seinem Irrthum abstehen,
und seine Lehre und Predigten verschwören wolle? Huß aber rief mit Heller
Stimme aus dem Holzhauffen: Ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich das-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137367"/>
          <p xml:id="ID_659" prev="#ID_658"> Weise: Zuerst nahmen sie ihm den Kelch und sprachen: O! du verfluchter Judas,<lb/>
welcher verlassen den Rath des Friedens, und Rath gehalten mit den Juden,<lb/>
siehe, wir nehmen von dir diesen Kelch, darinnen das Blut Jesu Christi aufgeopfert<lb/>
wird, zur Vergebung der Sünden. Auf diese Weise nahmen sie ihm das<lb/>
andere Gerüthe eines ums andere und sprachen zu einem jeden gemeldete Worte<lb/>
des Fluches. Da sie ihn nun aller Meßkleider beraubet hatten, wollten sie<lb/>
ihm auch die Platte auf seinem Kopf schänden. Es enstund hierüber ein<lb/>
Streit unter den Bischöfen und Pfaffen, einige wollten es mit dem Scheer-<lb/>
messer thun, andere aber sagten: es sei genug, wenn es mit der Scheere ge¬<lb/>
schehe. Endlich verglichen sie sich, und machten mit der Scheere ein Krenz in<lb/>
die Platte, setzten ihm eine papierne Krone, ans und sprachen: Wir befehlen<lb/>
deine Seele den Teufeln. Die Krone war ohngefähr eine halbe Elle hoch,<lb/>
in Form einer Pyramide, daran drey grosse abscheuliche Teufel gemahlet waren,<lb/>
mit der Unterschrift: dieser ist ein Erzieher. Hierauf befahl der Kaiser Herzog Lud¬<lb/>
wiger: Er sollte ihn dem Henker übergeben. Zu dem Ende legte der Herzog<lb/>
seinen fürstlichen Ornat ab, in welchen er den Kaiser bedienete, überantwortete<lb/>
Hussen, und führte ihn bis zu dem Richtplatz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_660"> Es war aber Caspar Graf von Schlick kaiserlicher Kanzler, ein sehr ge¬<lb/>
lehrter, kluger und verständiger Herr der bey drey Königen die hohe Würde als<lb/>
Kanzler ohne einigen Wechsel des Glücks, begleitet hatte, und deswegen von<lb/>
ihnen viele Städte und Güter, als Passau, Weisseukirche (wovon sich die<lb/>
Grafen Schlick noch heutzutage schreiben) Ellnbogen, Gram in Steuermark !e.<lb/>
geschenkt bekommen, gegenwärtig. Von diesem sagt man, als er das Urtheil<lb/>
gehöret, sey er aus der Kirche gegangen, und habe öffentlich betheuret, wie er<lb/>
bey einem so übereilten Urtheil mit guten Gewissen nicht gegenwärtig<lb/>
sein könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_661" next="#ID_662"> Nachdem nun Huß auf diese Art verdammt war, führeten die Henker ihn<lb/>
mit der Krone ans dem Handle zu dem Scheiterhanffen. Da er auf dem<lb/>
Kirchhofe seine Bücher verbrennen sahe, stand er stille, und lachte. Darauf<lb/>
gieng er fröhlich, ohne ein einziges Zeichen von Furcht vou sich zu geben, an<lb/>
den in die Erde geschlagenen Pfahl; an diesen bunten ihn die Henker rücklings<lb/>
mit 6. Stricken. Um den Halß legten sie ihn eine alte verrostete Kette, gleich¬<lb/>
sam als ob er keiner neuen werth wäre. Unter seinen Füssen, an welchen<lb/>
noch die Stiefeln und Fußeisen waren, legten sie 2 Büschel Reißholz , und<lb/>
um ihn rum viel Holz, Stroh und Reißig. Ehe es aber der Henker an¬<lb/>
zündete, ritte Herzog Ludwig von Bayern und der Marschall einer Reichsstadt<lb/>
zu ihm, und befragte ihn noch einmal: Ob er von seinem Irrthum abstehen,<lb/>
und seine Lehre und Predigten verschwören wolle? Huß aber rief mit Heller<lb/>
Stimme aus dem Holzhauffen: Ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich das-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] Weise: Zuerst nahmen sie ihm den Kelch und sprachen: O! du verfluchter Judas, welcher verlassen den Rath des Friedens, und Rath gehalten mit den Juden, siehe, wir nehmen von dir diesen Kelch, darinnen das Blut Jesu Christi aufgeopfert wird, zur Vergebung der Sünden. Auf diese Weise nahmen sie ihm das andere Gerüthe eines ums andere und sprachen zu einem jeden gemeldete Worte des Fluches. Da sie ihn nun aller Meßkleider beraubet hatten, wollten sie ihm auch die Platte auf seinem Kopf schänden. Es enstund hierüber ein Streit unter den Bischöfen und Pfaffen, einige wollten es mit dem Scheer- messer thun, andere aber sagten: es sei genug, wenn es mit der Scheere ge¬ schehe. Endlich verglichen sie sich, und machten mit der Scheere ein Krenz in die Platte, setzten ihm eine papierne Krone, ans und sprachen: Wir befehlen deine Seele den Teufeln. Die Krone war ohngefähr eine halbe Elle hoch, in Form einer Pyramide, daran drey grosse abscheuliche Teufel gemahlet waren, mit der Unterschrift: dieser ist ein Erzieher. Hierauf befahl der Kaiser Herzog Lud¬ wiger: Er sollte ihn dem Henker übergeben. Zu dem Ende legte der Herzog seinen fürstlichen Ornat ab, in welchen er den Kaiser bedienete, überantwortete Hussen, und führte ihn bis zu dem Richtplatz. Es war aber Caspar Graf von Schlick kaiserlicher Kanzler, ein sehr ge¬ lehrter, kluger und verständiger Herr der bey drey Königen die hohe Würde als Kanzler ohne einigen Wechsel des Glücks, begleitet hatte, und deswegen von ihnen viele Städte und Güter, als Passau, Weisseukirche (wovon sich die Grafen Schlick noch heutzutage schreiben) Ellnbogen, Gram in Steuermark !e. geschenkt bekommen, gegenwärtig. Von diesem sagt man, als er das Urtheil gehöret, sey er aus der Kirche gegangen, und habe öffentlich betheuret, wie er bey einem so übereilten Urtheil mit guten Gewissen nicht gegenwärtig sein könne. Nachdem nun Huß auf diese Art verdammt war, führeten die Henker ihn mit der Krone ans dem Handle zu dem Scheiterhanffen. Da er auf dem Kirchhofe seine Bücher verbrennen sahe, stand er stille, und lachte. Darauf gieng er fröhlich, ohne ein einziges Zeichen von Furcht vou sich zu geben, an den in die Erde geschlagenen Pfahl; an diesen bunten ihn die Henker rücklings mit 6. Stricken. Um den Halß legten sie ihn eine alte verrostete Kette, gleich¬ sam als ob er keiner neuen werth wäre. Unter seinen Füssen, an welchen noch die Stiefeln und Fußeisen waren, legten sie 2 Büschel Reißholz , und um ihn rum viel Holz, Stroh und Reißig. Ehe es aber der Henker an¬ zündete, ritte Herzog Ludwig von Bayern und der Marschall einer Reichsstadt zu ihm, und befragte ihn noch einmal: Ob er von seinem Irrthum abstehen, und seine Lehre und Predigten verschwören wolle? Huß aber rief mit Heller Stimme aus dem Holzhauffen: Ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich das-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/194>, abgerufen am 23.07.2024.