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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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frey sicher Geleite des römischen Kaisers, welcher hier zugegen ist, erhalten, in
der gänzlichen Hoffnung, es würde mir keine Gewalt geschehen, sondern ich
würde meine Unschuld vertheidigen können. Wie er das sagte, sahe er den
Kaiser starr an, welcher darüber blutroth wurde.

Nach diesem stunde der päbstliche Richter, ein Jtaliäner und alter Mann,
mit einer Glatze auf, und verlaß das Urtheil über Hnßen. Huß wollte diese
Punkte widerlegen, aber die Schergen ließen es nicht zu. Als man aber laß,
wie er halsstarrig und verstockt viele Jahre in diesem Irrthume verblieben
wäre, sprach er: Dieses gestehe ich nicht, weil ich allezeit und noch heute be¬
gehre, man solle mich aus der heiligen Schrift eines besseren unterweisen,
wollte Gott man fände nur einen einzigen Buchstaben in der Schrift, dem
meine Lehre zuwider wäre, so wollte ich sie augenblicklich selbst verdammen.
Wie man ferner in dem Urtheile laß: daß man seine Bücher, welche er von
der christlichen Kirche, und alle anderen, so er lateinisch und böhmisch geschrieben,
oder die er zu Kosemitz und anderer Orten mehr, in andere Sprachen übersetzet,
zu verbrennen gebothen, rief Huß: wie könnt ihr nieine Schriften mit Recht
verdammen, da ich allezeit einen bessern Unterricht begehret habe, dieser aber
ist noch nicht erfolget, und ihr habt mir nicht einen falschen Buchstaben aus
selbigen erwiesen, über das, wie könnt ihr befehlen, daß meine Bücher sollen
vertilgt werden, die ihr niemals gesehen habt, oder wenn ihr sie gesehen, sie
doch nicht verstehet, weil ihr der böhmischen Sprache unwissend seyd? Darnach
zog er aus Befehl der sieben Bischöfe, die ihn entweyhen sollten, das Meßge¬
wand an, gleich als solte er Messe halten, da er aber das weisse Chorhemde
anzog, sprach er: Christus, mein HERR, als er von Herode zu Pilato ge¬
schicket wurde, ist, auch in einem weißen Kleide verspottet worden. Nachdem
er nun alles angeleget hatte, vermahnten ihn die Bischöfe nochmals: Noch
wäre es Zeit, noch sollte er seinen Irrthum erkennen, verwerfen und ver¬
schwören. Er aber kehrete sich gegen das Volk, und sprach mit Weinen: Sehet,
die Bischöfe vermahnen mich, ich soll die Irrthümer verschwören. Aber wie
kann ich solches thun, ohne ein Lügner vor dem göttlichen Angesicht erfunden
zu werden, ohne mich selber eines Irrthums schuldig zu geben, den ich niemals
gehabt, ja ohne mein Gewissen und die göttliche Wahrheit selbst zu verletzen.
Denn diejenigen Artikel, die mir falsche Zeugen fälschlich Schuld geben, hab
ich niemals gelehret, über dieses würde ich nicht die frommen Herzen meiner
ehemaligen Zuhörer ärgern, und andere getreue Diener des göttlichen Worts,
von dem Wege der Wahrheit abführen, wo ich dieses thäte? Die Bischöfe
aber, und die ganze Klerisey schrie: Sehet, so halsstarrig ist er in seiner Boß-
heit, und so verstockt in der Ketzerei, steige herab, riefen sie ihm zu, steige
herab. Da dieses geschehen war, fing man an ihn zu entweyhen auf folgende


Grenzboten I. 1877. 24

frey sicher Geleite des römischen Kaisers, welcher hier zugegen ist, erhalten, in
der gänzlichen Hoffnung, es würde mir keine Gewalt geschehen, sondern ich
würde meine Unschuld vertheidigen können. Wie er das sagte, sahe er den
Kaiser starr an, welcher darüber blutroth wurde.

Nach diesem stunde der päbstliche Richter, ein Jtaliäner und alter Mann,
mit einer Glatze auf, und verlaß das Urtheil über Hnßen. Huß wollte diese
Punkte widerlegen, aber die Schergen ließen es nicht zu. Als man aber laß,
wie er halsstarrig und verstockt viele Jahre in diesem Irrthume verblieben
wäre, sprach er: Dieses gestehe ich nicht, weil ich allezeit und noch heute be¬
gehre, man solle mich aus der heiligen Schrift eines besseren unterweisen,
wollte Gott man fände nur einen einzigen Buchstaben in der Schrift, dem
meine Lehre zuwider wäre, so wollte ich sie augenblicklich selbst verdammen.
Wie man ferner in dem Urtheile laß: daß man seine Bücher, welche er von
der christlichen Kirche, und alle anderen, so er lateinisch und böhmisch geschrieben,
oder die er zu Kosemitz und anderer Orten mehr, in andere Sprachen übersetzet,
zu verbrennen gebothen, rief Huß: wie könnt ihr nieine Schriften mit Recht
verdammen, da ich allezeit einen bessern Unterricht begehret habe, dieser aber
ist noch nicht erfolget, und ihr habt mir nicht einen falschen Buchstaben aus
selbigen erwiesen, über das, wie könnt ihr befehlen, daß meine Bücher sollen
vertilgt werden, die ihr niemals gesehen habt, oder wenn ihr sie gesehen, sie
doch nicht verstehet, weil ihr der böhmischen Sprache unwissend seyd? Darnach
zog er aus Befehl der sieben Bischöfe, die ihn entweyhen sollten, das Meßge¬
wand an, gleich als solte er Messe halten, da er aber das weisse Chorhemde
anzog, sprach er: Christus, mein HERR, als er von Herode zu Pilato ge¬
schicket wurde, ist, auch in einem weißen Kleide verspottet worden. Nachdem
er nun alles angeleget hatte, vermahnten ihn die Bischöfe nochmals: Noch
wäre es Zeit, noch sollte er seinen Irrthum erkennen, verwerfen und ver¬
schwören. Er aber kehrete sich gegen das Volk, und sprach mit Weinen: Sehet,
die Bischöfe vermahnen mich, ich soll die Irrthümer verschwören. Aber wie
kann ich solches thun, ohne ein Lügner vor dem göttlichen Angesicht erfunden
zu werden, ohne mich selber eines Irrthums schuldig zu geben, den ich niemals
gehabt, ja ohne mein Gewissen und die göttliche Wahrheit selbst zu verletzen.
Denn diejenigen Artikel, die mir falsche Zeugen fälschlich Schuld geben, hab
ich niemals gelehret, über dieses würde ich nicht die frommen Herzen meiner
ehemaligen Zuhörer ärgern, und andere getreue Diener des göttlichen Worts,
von dem Wege der Wahrheit abführen, wo ich dieses thäte? Die Bischöfe
aber, und die ganze Klerisey schrie: Sehet, so halsstarrig ist er in seiner Boß-
heit, und so verstockt in der Ketzerei, steige herab, riefen sie ihm zu, steige
herab. Da dieses geschehen war, fing man an ihn zu entweyhen auf folgende


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[0193] frey sicher Geleite des römischen Kaisers, welcher hier zugegen ist, erhalten, in der gänzlichen Hoffnung, es würde mir keine Gewalt geschehen, sondern ich würde meine Unschuld vertheidigen können. Wie er das sagte, sahe er den Kaiser starr an, welcher darüber blutroth wurde. Nach diesem stunde der päbstliche Richter, ein Jtaliäner und alter Mann, mit einer Glatze auf, und verlaß das Urtheil über Hnßen. Huß wollte diese Punkte widerlegen, aber die Schergen ließen es nicht zu. Als man aber laß, wie er halsstarrig und verstockt viele Jahre in diesem Irrthume verblieben wäre, sprach er: Dieses gestehe ich nicht, weil ich allezeit und noch heute be¬ gehre, man solle mich aus der heiligen Schrift eines besseren unterweisen, wollte Gott man fände nur einen einzigen Buchstaben in der Schrift, dem meine Lehre zuwider wäre, so wollte ich sie augenblicklich selbst verdammen. Wie man ferner in dem Urtheile laß: daß man seine Bücher, welche er von der christlichen Kirche, und alle anderen, so er lateinisch und böhmisch geschrieben, oder die er zu Kosemitz und anderer Orten mehr, in andere Sprachen übersetzet, zu verbrennen gebothen, rief Huß: wie könnt ihr nieine Schriften mit Recht verdammen, da ich allezeit einen bessern Unterricht begehret habe, dieser aber ist noch nicht erfolget, und ihr habt mir nicht einen falschen Buchstaben aus selbigen erwiesen, über das, wie könnt ihr befehlen, daß meine Bücher sollen vertilgt werden, die ihr niemals gesehen habt, oder wenn ihr sie gesehen, sie doch nicht verstehet, weil ihr der böhmischen Sprache unwissend seyd? Darnach zog er aus Befehl der sieben Bischöfe, die ihn entweyhen sollten, das Meßge¬ wand an, gleich als solte er Messe halten, da er aber das weisse Chorhemde anzog, sprach er: Christus, mein HERR, als er von Herode zu Pilato ge¬ schicket wurde, ist, auch in einem weißen Kleide verspottet worden. Nachdem er nun alles angeleget hatte, vermahnten ihn die Bischöfe nochmals: Noch wäre es Zeit, noch sollte er seinen Irrthum erkennen, verwerfen und ver¬ schwören. Er aber kehrete sich gegen das Volk, und sprach mit Weinen: Sehet, die Bischöfe vermahnen mich, ich soll die Irrthümer verschwören. Aber wie kann ich solches thun, ohne ein Lügner vor dem göttlichen Angesicht erfunden zu werden, ohne mich selber eines Irrthums schuldig zu geben, den ich niemals gehabt, ja ohne mein Gewissen und die göttliche Wahrheit selbst zu verletzen. Denn diejenigen Artikel, die mir falsche Zeugen fälschlich Schuld geben, hab ich niemals gelehret, über dieses würde ich nicht die frommen Herzen meiner ehemaligen Zuhörer ärgern, und andere getreue Diener des göttlichen Worts, von dem Wege der Wahrheit abführen, wo ich dieses thäte? Die Bischöfe aber, und die ganze Klerisey schrie: Sehet, so halsstarrig ist er in seiner Boß- heit, und so verstockt in der Ketzerei, steige herab, riefen sie ihm zu, steige herab. Da dieses geschehen war, fing man an ihn zu entweyhen auf folgende Grenzboten I. 1877. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/193>, abgerufen am 23.07.2024.