Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.Doch er wurde sichtbar. Nach dem Kaffee hielten es die jungen Beine Was von diesen als noch achtungswerth anzuerkennen war, das war die Resi¬ Ohne Hoffnung auf Besserung kann aber kein Menschenherz bestehen. Doch er wurde sichtbar. Nach dem Kaffee hielten es die jungen Beine Was von diesen als noch achtungswerth anzuerkennen war, das war die Resi¬ Ohne Hoffnung auf Besserung kann aber kein Menschenherz bestehen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137333"/> <p xml:id="ID_562"> Doch er wurde sichtbar. Nach dem Kaffee hielten es die jungen Beine<lb/> nicht länger aus, es mußte getanzt werden, und bei dem Mangel an Damen<lb/> wurde Pauline als Nothnagel ans der Küche geholt. Sie machte ihre Sache<lb/> auch ganz gut, nicht schlechter als Anaßka, die.etwas schwerfällig war. Die<lb/> „jungen Herren" aber bewiesen sich in der Tanzkunst als Meister und stellten,<lb/> nicht zum wenigsten der Septimaner, den Tertianer, der besonders den Masurek<lb/> noch nicht zu Stande brachte, in tiefen Schatten. Musik machte dazu der „Alte" mit<lb/> einer Violine. So wurde der Tag lustig verbracht und noch ebenso mancher andre.<lb/> An die Ferienarbeiten, an die Bücher überhaupt dachte keiner der jungen Bur¬<lb/> sche, und die Eltern auch nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_563"> Was von diesen als noch achtungswerth anzuerkennen war, das war die Resi¬<lb/> gnation, mit der sie sich in ihre Armuth zu finden wußten, und die Geringfügigkeit der<lb/> Bedürfnisse, in der sie ihre Kinder erzogen. Es muß hierzu bemerkt werden,<lb/> daß diese Resignation in der Noth eine eigenartige Tugend der Polen ist.<lb/> Sie wissen schlechte Zeiten durch harte Entbehrungen bis zum vollständigen<lb/> Hunger zu überwinden. Viele Familien vermögen dadurch sich Jahre lang<lb/> auf Gütern zu halten, die ihnen fast gar keinen Ertrag liefern, sondern<lb/> sast wüst und in Ruinen liegen, und von denen Deutsche, die solche Entbeh¬<lb/> rungen nicht zu ertragen vermögen, schon längst verschwunden wären. Die<lb/> Familie Kowalski hat die kümmerlichen Verhältnisse auf Rasselwitz wohl min-<lb/> bestens zwei Jahrzehnte hindurch ertragen. Aus eigner Kraft sich wieder in<lb/> eine bessere Lage zu versetzen, der Gedanke lag allen ihren Gliedern fern. Die<lb/> Landwirthschaft, die bei einer nur geringen Einsicht, bei einem nnr mäßigen<lb/> Eifer für sie, die Familie anständig hätte ernähren können, blieb auf eine<lb/> sündhafte Weise vernachlässigt. Nur ein einziges Mal habe ich den alten<lb/> Kowalski außerhalb seiner Stube und in der Wirthschaft beschäftigt gesehen,<lb/> es wurde Getreide eingefahren, und er saß dabei im Taß der Scheune — es<lb/> war wirklich noch eine Art von Scheune, obwohl in sehr baufälligen Zustande,<lb/> vorhanden — um das Aufbansen zu beaufsichtigen. Was auf dem Feld ge¬<lb/> schah, schien des Herrn Auge nie, höchstens im Vorbeifahren von der Land¬<lb/> straße aus, zu sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_564" next="#ID_565"> Ohne Hoffnung auf Besserung kann aber kein Menschenherz bestehen.<lb/> Worauf setzten die Kowalskis ihre Hoffnung? — Nun, auf weiter nichts als<lb/> auf „gute Parthien", welche die Kinder machen sollten. Und worauf gründete<lb/> sich diese Hoffnung? Bei Anastasia ausschließlich auf ihre Schönheit, bei den<lb/> Knaben auf ihre erwartete Fähigkeit, dem weiblichen Auge zu gefallen, also<lb/> durch Zierlichkeit in der Haltung und Bewegung des Körpers, durch einen<lb/> schönen Bart, durch ein gewisses ritterliches Auftreten, dann durch die Geschick-<lb/> lichkeit, möglichst passend dem weiblichen Ohr zu schmeicheln u. dergl. Alles</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0160]
Doch er wurde sichtbar. Nach dem Kaffee hielten es die jungen Beine
nicht länger aus, es mußte getanzt werden, und bei dem Mangel an Damen
wurde Pauline als Nothnagel ans der Küche geholt. Sie machte ihre Sache
auch ganz gut, nicht schlechter als Anaßka, die.etwas schwerfällig war. Die
„jungen Herren" aber bewiesen sich in der Tanzkunst als Meister und stellten,
nicht zum wenigsten der Septimaner, den Tertianer, der besonders den Masurek
noch nicht zu Stande brachte, in tiefen Schatten. Musik machte dazu der „Alte" mit
einer Violine. So wurde der Tag lustig verbracht und noch ebenso mancher andre.
An die Ferienarbeiten, an die Bücher überhaupt dachte keiner der jungen Bur¬
sche, und die Eltern auch nicht.
Was von diesen als noch achtungswerth anzuerkennen war, das war die Resi¬
gnation, mit der sie sich in ihre Armuth zu finden wußten, und die Geringfügigkeit der
Bedürfnisse, in der sie ihre Kinder erzogen. Es muß hierzu bemerkt werden,
daß diese Resignation in der Noth eine eigenartige Tugend der Polen ist.
Sie wissen schlechte Zeiten durch harte Entbehrungen bis zum vollständigen
Hunger zu überwinden. Viele Familien vermögen dadurch sich Jahre lang
auf Gütern zu halten, die ihnen fast gar keinen Ertrag liefern, sondern
sast wüst und in Ruinen liegen, und von denen Deutsche, die solche Entbeh¬
rungen nicht zu ertragen vermögen, schon längst verschwunden wären. Die
Familie Kowalski hat die kümmerlichen Verhältnisse auf Rasselwitz wohl min-
bestens zwei Jahrzehnte hindurch ertragen. Aus eigner Kraft sich wieder in
eine bessere Lage zu versetzen, der Gedanke lag allen ihren Gliedern fern. Die
Landwirthschaft, die bei einer nur geringen Einsicht, bei einem nnr mäßigen
Eifer für sie, die Familie anständig hätte ernähren können, blieb auf eine
sündhafte Weise vernachlässigt. Nur ein einziges Mal habe ich den alten
Kowalski außerhalb seiner Stube und in der Wirthschaft beschäftigt gesehen,
es wurde Getreide eingefahren, und er saß dabei im Taß der Scheune — es
war wirklich noch eine Art von Scheune, obwohl in sehr baufälligen Zustande,
vorhanden — um das Aufbansen zu beaufsichtigen. Was auf dem Feld ge¬
schah, schien des Herrn Auge nie, höchstens im Vorbeifahren von der Land¬
straße aus, zu sehen.
Ohne Hoffnung auf Besserung kann aber kein Menschenherz bestehen.
Worauf setzten die Kowalskis ihre Hoffnung? — Nun, auf weiter nichts als
auf „gute Parthien", welche die Kinder machen sollten. Und worauf gründete
sich diese Hoffnung? Bei Anastasia ausschließlich auf ihre Schönheit, bei den
Knaben auf ihre erwartete Fähigkeit, dem weiblichen Auge zu gefallen, also
durch Zierlichkeit in der Haltung und Bewegung des Körpers, durch einen
schönen Bart, durch ein gewisses ritterliches Auftreten, dann durch die Geschick-
lichkeit, möglichst passend dem weiblichen Ohr zu schmeicheln u. dergl. Alles
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |