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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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dung, Sprache und Religion wegwarfen, um dagegen eine äußerlich schillernde,
innerlich faule und untergeordnete Nationalität und eine geisttödtende Religion
anzunehmen und dadurch ihre eigne Nachkommenschaft dem allgemeinen pol¬
nischen Versumpfen und Verderben auszusetzen. Mich schützte gegen solche
Verirrung die früh entwickelte Liebe zur vaterländischen Geschichte, die ich für
mich las. Unvergeßlich wird mir unter den Büchern, die damals meinen
Geist und mein Herz nährten, Kohlrauschs Geschichte der Freiheitskriege bleiben.
So ließ ich mir denn die Männerehren, die meinem allerdings überpolnischen
Wissen erwiesen wurden, und die Mädchengnnst gern gefallen, blieb aber in¬
mitten von oft verbissenen Polen ein verstockter enthusiastischer Deutscher. Ich
lernte auch wenig Polnisch unter ihnen, sie mußten sich quälen, mit mir sich
deutsch zu verständigen. -- Noch muß ich hier bemerken, daß der alte Ko¬
walski, obwohl er als Freimaurer im Ganzen ein Mann ohne Vorurtheil war,
doch den angeerbten Nationalhaß gegen die Deutschen nicht ganz unterdrücken
konnte. Als ich einst mit ihm durch ein deutsches Dorf fuhr, ging ein Bauer
vor unserm Wagen gemächlich über den Weg; auf der andern Seite an einen
Zaun angelangt, hob er langsam ein Bein über denselben und blieb dann ritt¬
lings sitzen, um uns erst vorbei fahren zu sehen. "Sehen Sie", rief mein
polnischer Begleiter aus, "da haben Sie einen solchen verfl......Deutschen!
Ehe der über den Zaun kommt, ist ein Pole schon zehn Mal darüber wegge¬
sprungen!" Es war nicht zu bestreiten, das deutsche Phlegma des Bauern
nahm sich gar nicht ansprechend aus; aber ihn deswegen zu verfluchen, konnte
nur durch einen tiefeingewurzelten Nationalhaß erklärt werden. Merkwürdig,
daß diese langsamen Bauern immerwährend, freilich anch nur langsam, aber
doch vorwärts kommen und die flinken Polaken durch Kauf verdrängen und
vor sich hertreiben.

Nach Tische gingen wir jungen Leute in Ermangelung eines Gartens auf
den uneingefriedeten Grasanger hinter dem Hause, auf dem unregelmäßig zer¬
streut einige Espen und Schwarzpappeln, auch zwei oder drei Linden und
eine Anzahl verwahrloster Sauerkirschen und Waldbirnen standen. Wir lager¬
ten uns im Schatten und plauderten, bis die Kaffeestunde herbeikam und wir
wieder in das Hans zurückkehrten. Hier wurde ich eingeladen, den Nachmit¬
tagstrank im Damenzimmer einzunehmen. In Ermanglung von Stühlen setzte
sich die kleine Gesellschaft auf die Betten. Der Kaffee kam fertig, mit Sahne
und Zucker zubereitet, in Wassergläsern aus der Küche; dazu wurde ein wirk¬
lich sehr schönes weißes Landbrod mit frischer Butter gereicht -- ein köstlicher
Schmaus! Alles, auch das Brod, war das Verdienst des unsichtbaren Küchen¬
geistes Pauline.


dung, Sprache und Religion wegwarfen, um dagegen eine äußerlich schillernde,
innerlich faule und untergeordnete Nationalität und eine geisttödtende Religion
anzunehmen und dadurch ihre eigne Nachkommenschaft dem allgemeinen pol¬
nischen Versumpfen und Verderben auszusetzen. Mich schützte gegen solche
Verirrung die früh entwickelte Liebe zur vaterländischen Geschichte, die ich für
mich las. Unvergeßlich wird mir unter den Büchern, die damals meinen
Geist und mein Herz nährten, Kohlrauschs Geschichte der Freiheitskriege bleiben.
So ließ ich mir denn die Männerehren, die meinem allerdings überpolnischen
Wissen erwiesen wurden, und die Mädchengnnst gern gefallen, blieb aber in¬
mitten von oft verbissenen Polen ein verstockter enthusiastischer Deutscher. Ich
lernte auch wenig Polnisch unter ihnen, sie mußten sich quälen, mit mir sich
deutsch zu verständigen. — Noch muß ich hier bemerken, daß der alte Ko¬
walski, obwohl er als Freimaurer im Ganzen ein Mann ohne Vorurtheil war,
doch den angeerbten Nationalhaß gegen die Deutschen nicht ganz unterdrücken
konnte. Als ich einst mit ihm durch ein deutsches Dorf fuhr, ging ein Bauer
vor unserm Wagen gemächlich über den Weg; auf der andern Seite an einen
Zaun angelangt, hob er langsam ein Bein über denselben und blieb dann ritt¬
lings sitzen, um uns erst vorbei fahren zu sehen. „Sehen Sie", rief mein
polnischer Begleiter aus, „da haben Sie einen solchen verfl......Deutschen!
Ehe der über den Zaun kommt, ist ein Pole schon zehn Mal darüber wegge¬
sprungen!" Es war nicht zu bestreiten, das deutsche Phlegma des Bauern
nahm sich gar nicht ansprechend aus; aber ihn deswegen zu verfluchen, konnte
nur durch einen tiefeingewurzelten Nationalhaß erklärt werden. Merkwürdig,
daß diese langsamen Bauern immerwährend, freilich anch nur langsam, aber
doch vorwärts kommen und die flinken Polaken durch Kauf verdrängen und
vor sich hertreiben.

Nach Tische gingen wir jungen Leute in Ermangelung eines Gartens auf
den uneingefriedeten Grasanger hinter dem Hause, auf dem unregelmäßig zer¬
streut einige Espen und Schwarzpappeln, auch zwei oder drei Linden und
eine Anzahl verwahrloster Sauerkirschen und Waldbirnen standen. Wir lager¬
ten uns im Schatten und plauderten, bis die Kaffeestunde herbeikam und wir
wieder in das Hans zurückkehrten. Hier wurde ich eingeladen, den Nachmit¬
tagstrank im Damenzimmer einzunehmen. In Ermanglung von Stühlen setzte
sich die kleine Gesellschaft auf die Betten. Der Kaffee kam fertig, mit Sahne
und Zucker zubereitet, in Wassergläsern aus der Küche; dazu wurde ein wirk¬
lich sehr schönes weißes Landbrod mit frischer Butter gereicht — ein köstlicher
Schmaus! Alles, auch das Brod, war das Verdienst des unsichtbaren Küchen¬
geistes Pauline.


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[0159] dung, Sprache und Religion wegwarfen, um dagegen eine äußerlich schillernde, innerlich faule und untergeordnete Nationalität und eine geisttödtende Religion anzunehmen und dadurch ihre eigne Nachkommenschaft dem allgemeinen pol¬ nischen Versumpfen und Verderben auszusetzen. Mich schützte gegen solche Verirrung die früh entwickelte Liebe zur vaterländischen Geschichte, die ich für mich las. Unvergeßlich wird mir unter den Büchern, die damals meinen Geist und mein Herz nährten, Kohlrauschs Geschichte der Freiheitskriege bleiben. So ließ ich mir denn die Männerehren, die meinem allerdings überpolnischen Wissen erwiesen wurden, und die Mädchengnnst gern gefallen, blieb aber in¬ mitten von oft verbissenen Polen ein verstockter enthusiastischer Deutscher. Ich lernte auch wenig Polnisch unter ihnen, sie mußten sich quälen, mit mir sich deutsch zu verständigen. — Noch muß ich hier bemerken, daß der alte Ko¬ walski, obwohl er als Freimaurer im Ganzen ein Mann ohne Vorurtheil war, doch den angeerbten Nationalhaß gegen die Deutschen nicht ganz unterdrücken konnte. Als ich einst mit ihm durch ein deutsches Dorf fuhr, ging ein Bauer vor unserm Wagen gemächlich über den Weg; auf der andern Seite an einen Zaun angelangt, hob er langsam ein Bein über denselben und blieb dann ritt¬ lings sitzen, um uns erst vorbei fahren zu sehen. „Sehen Sie", rief mein polnischer Begleiter aus, „da haben Sie einen solchen verfl......Deutschen! Ehe der über den Zaun kommt, ist ein Pole schon zehn Mal darüber wegge¬ sprungen!" Es war nicht zu bestreiten, das deutsche Phlegma des Bauern nahm sich gar nicht ansprechend aus; aber ihn deswegen zu verfluchen, konnte nur durch einen tiefeingewurzelten Nationalhaß erklärt werden. Merkwürdig, daß diese langsamen Bauern immerwährend, freilich anch nur langsam, aber doch vorwärts kommen und die flinken Polaken durch Kauf verdrängen und vor sich hertreiben. Nach Tische gingen wir jungen Leute in Ermangelung eines Gartens auf den uneingefriedeten Grasanger hinter dem Hause, auf dem unregelmäßig zer¬ streut einige Espen und Schwarzpappeln, auch zwei oder drei Linden und eine Anzahl verwahrloster Sauerkirschen und Waldbirnen standen. Wir lager¬ ten uns im Schatten und plauderten, bis die Kaffeestunde herbeikam und wir wieder in das Hans zurückkehrten. Hier wurde ich eingeladen, den Nachmit¬ tagstrank im Damenzimmer einzunehmen. In Ermanglung von Stühlen setzte sich die kleine Gesellschaft auf die Betten. Der Kaffee kam fertig, mit Sahne und Zucker zubereitet, in Wassergläsern aus der Küche; dazu wurde ein wirk¬ lich sehr schönes weißes Landbrod mit frischer Butter gereicht — ein köstlicher Schmaus! Alles, auch das Brod, war das Verdienst des unsichtbaren Küchen¬ geistes Pauline.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/159>, abgerufen am 23.07.2024.