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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Frau K. zu ihrem Manne sich rasch abkühlte und allmählich in glühenden Haß
umschlug. Das Bedürfniß der Geselligkeit blieb indeß so lebhaft in allen
Theilen der Familie, als wenn sie im Stande gewesen wäre, Gäste auf das
Reichlichste zu bewirthen. Freilich machten von dieser Gastlichkeit zu der Zeit,
von der ich aus eigner Anschauung berichte, nur solche Gebrauch, die nur sehr
bescheidene Ansprüche erhoben; es waren hauptsächlich Gymnasiasten aus der
benachbarten Stadt, darunter eben auch meine Wenigkeit. Der Stern, der
unsre Blicke von all den Nebendingen ablenkte und allein auf sich zog, war
die damals, als ich sie kennen lernte, kaum sechzehnjährige Anastasia, der Ab¬
gott ihrer Mutter -- denn sie war schön.

Als ich nun, gleichfalls von diesem Magnet angezogen, einer Einladung
der Söhne, einige Tage der Sommerferien mit ihnen in Rasselwitz zuznbringei?'
Folge leistete, obwohl, ich schon stolzer Tertianer, Nepoumcen dagegen nur
Quintaner, die andern sogar nur Sextaner und Septimaner waren, wurde ich
voll Nepomucen, der mir fast gleichaltrig war, in einer schlichten Britschke
abgeholt. In freudiger Aufregung und Erwartung langte ich ans dem Gutshöfe
an. Dort wurde, ich denn doch überrascht, als der Wagen vor einer ver¬
fallenden Blockhütte vorfuhr. Da ihre Schwellen längst verfault waren, so
ging bei der fortdauernden langsamen Senkung des ganzen Gebäudes auch der
Verband der starken Wandbohlen auseinander. Sie wurden deshalb mehrfach
dnrch äußere Stützen in ihrer Lage festgehalten, damit nicht das ganze Haus
in sich zusammenstürzte. Alle Fenster und Thüren waren windschief. Als ich
dnrch die Hausthür eintrat, mußte ich mich bücken, obwohl ich noch nicht aus¬
gewachsen war. Von Zimmern habe ich nur zwei zu sehen bekommen, die
große Vorderstube, in welcher der Hausherr wohnte und schlief und auch
Gästen, z. B. mir, eine Schlafstätte bereitet wurde, und die lange schmale
Kammer daneben, die Wohn- und Schlafstube der Damen. Die dahinter ge¬
legene Küche, sowie die zwei Stuben oder Kammern, welche das Haus wohl
noch außerdem fassen mochte, und in denen die Söhne ihr Unterkommen fanden,
sind mir nicht zu Gesicht gekommen. Ich hatte auch genug an den Empfangs¬
zimmern.

Die vielgerühmte und rühmenswerthe polnische Gastfreundschaft bewährte
sich bei meinem Eintritt in das Vorderzimmer. Der alte Kowalski, in einem
gepolsterten Armstuhl am Fenster sitzend, neben sich die Krücke, reichte mir die
Hand entgegen und zog mich jungen Burschen zu einem Bruderkusse an sich,
wie einen alten Freund des Hauses. Ich gestehe, daß ich seine zärtlichen
Empfindungen nicht gleichmäßig erwiderte; sein Schnurrbart trug Merkmale
des Tabakschnupfens an sich, und seine Nanking-Leibwäsche zeigte anch meinen:
ungeübten Auge manche Schattirungen von dunklerer Farbe, die mich abstießen.


Frau K. zu ihrem Manne sich rasch abkühlte und allmählich in glühenden Haß
umschlug. Das Bedürfniß der Geselligkeit blieb indeß so lebhaft in allen
Theilen der Familie, als wenn sie im Stande gewesen wäre, Gäste auf das
Reichlichste zu bewirthen. Freilich machten von dieser Gastlichkeit zu der Zeit,
von der ich aus eigner Anschauung berichte, nur solche Gebrauch, die nur sehr
bescheidene Ansprüche erhoben; es waren hauptsächlich Gymnasiasten aus der
benachbarten Stadt, darunter eben auch meine Wenigkeit. Der Stern, der
unsre Blicke von all den Nebendingen ablenkte und allein auf sich zog, war
die damals, als ich sie kennen lernte, kaum sechzehnjährige Anastasia, der Ab¬
gott ihrer Mutter — denn sie war schön.

Als ich nun, gleichfalls von diesem Magnet angezogen, einer Einladung
der Söhne, einige Tage der Sommerferien mit ihnen in Rasselwitz zuznbringei?'
Folge leistete, obwohl, ich schon stolzer Tertianer, Nepoumcen dagegen nur
Quintaner, die andern sogar nur Sextaner und Septimaner waren, wurde ich
voll Nepomucen, der mir fast gleichaltrig war, in einer schlichten Britschke
abgeholt. In freudiger Aufregung und Erwartung langte ich ans dem Gutshöfe
an. Dort wurde, ich denn doch überrascht, als der Wagen vor einer ver¬
fallenden Blockhütte vorfuhr. Da ihre Schwellen längst verfault waren, so
ging bei der fortdauernden langsamen Senkung des ganzen Gebäudes auch der
Verband der starken Wandbohlen auseinander. Sie wurden deshalb mehrfach
dnrch äußere Stützen in ihrer Lage festgehalten, damit nicht das ganze Haus
in sich zusammenstürzte. Alle Fenster und Thüren waren windschief. Als ich
dnrch die Hausthür eintrat, mußte ich mich bücken, obwohl ich noch nicht aus¬
gewachsen war. Von Zimmern habe ich nur zwei zu sehen bekommen, die
große Vorderstube, in welcher der Hausherr wohnte und schlief und auch
Gästen, z. B. mir, eine Schlafstätte bereitet wurde, und die lange schmale
Kammer daneben, die Wohn- und Schlafstube der Damen. Die dahinter ge¬
legene Küche, sowie die zwei Stuben oder Kammern, welche das Haus wohl
noch außerdem fassen mochte, und in denen die Söhne ihr Unterkommen fanden,
sind mir nicht zu Gesicht gekommen. Ich hatte auch genug an den Empfangs¬
zimmern.

Die vielgerühmte und rühmenswerthe polnische Gastfreundschaft bewährte
sich bei meinem Eintritt in das Vorderzimmer. Der alte Kowalski, in einem
gepolsterten Armstuhl am Fenster sitzend, neben sich die Krücke, reichte mir die
Hand entgegen und zog mich jungen Burschen zu einem Bruderkusse an sich,
wie einen alten Freund des Hauses. Ich gestehe, daß ich seine zärtlichen
Empfindungen nicht gleichmäßig erwiderte; sein Schnurrbart trug Merkmale
des Tabakschnupfens an sich, und seine Nanking-Leibwäsche zeigte anch meinen:
ungeübten Auge manche Schattirungen von dunklerer Farbe, die mich abstießen.


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[0156] Frau K. zu ihrem Manne sich rasch abkühlte und allmählich in glühenden Haß umschlug. Das Bedürfniß der Geselligkeit blieb indeß so lebhaft in allen Theilen der Familie, als wenn sie im Stande gewesen wäre, Gäste auf das Reichlichste zu bewirthen. Freilich machten von dieser Gastlichkeit zu der Zeit, von der ich aus eigner Anschauung berichte, nur solche Gebrauch, die nur sehr bescheidene Ansprüche erhoben; es waren hauptsächlich Gymnasiasten aus der benachbarten Stadt, darunter eben auch meine Wenigkeit. Der Stern, der unsre Blicke von all den Nebendingen ablenkte und allein auf sich zog, war die damals, als ich sie kennen lernte, kaum sechzehnjährige Anastasia, der Ab¬ gott ihrer Mutter — denn sie war schön. Als ich nun, gleichfalls von diesem Magnet angezogen, einer Einladung der Söhne, einige Tage der Sommerferien mit ihnen in Rasselwitz zuznbringei?' Folge leistete, obwohl, ich schon stolzer Tertianer, Nepoumcen dagegen nur Quintaner, die andern sogar nur Sextaner und Septimaner waren, wurde ich voll Nepomucen, der mir fast gleichaltrig war, in einer schlichten Britschke abgeholt. In freudiger Aufregung und Erwartung langte ich ans dem Gutshöfe an. Dort wurde, ich denn doch überrascht, als der Wagen vor einer ver¬ fallenden Blockhütte vorfuhr. Da ihre Schwellen längst verfault waren, so ging bei der fortdauernden langsamen Senkung des ganzen Gebäudes auch der Verband der starken Wandbohlen auseinander. Sie wurden deshalb mehrfach dnrch äußere Stützen in ihrer Lage festgehalten, damit nicht das ganze Haus in sich zusammenstürzte. Alle Fenster und Thüren waren windschief. Als ich dnrch die Hausthür eintrat, mußte ich mich bücken, obwohl ich noch nicht aus¬ gewachsen war. Von Zimmern habe ich nur zwei zu sehen bekommen, die große Vorderstube, in welcher der Hausherr wohnte und schlief und auch Gästen, z. B. mir, eine Schlafstätte bereitet wurde, und die lange schmale Kammer daneben, die Wohn- und Schlafstube der Damen. Die dahinter ge¬ legene Küche, sowie die zwei Stuben oder Kammern, welche das Haus wohl noch außerdem fassen mochte, und in denen die Söhne ihr Unterkommen fanden, sind mir nicht zu Gesicht gekommen. Ich hatte auch genug an den Empfangs¬ zimmern. Die vielgerühmte und rühmenswerthe polnische Gastfreundschaft bewährte sich bei meinem Eintritt in das Vorderzimmer. Der alte Kowalski, in einem gepolsterten Armstuhl am Fenster sitzend, neben sich die Krücke, reichte mir die Hand entgegen und zog mich jungen Burschen zu einem Bruderkusse an sich, wie einen alten Freund des Hauses. Ich gestehe, daß ich seine zärtlichen Empfindungen nicht gleichmäßig erwiderte; sein Schnurrbart trug Merkmale des Tabakschnupfens an sich, und seine Nanking-Leibwäsche zeigte anch meinen: ungeübten Auge manche Schattirungen von dunklerer Farbe, die mich abstießen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/156>, abgerufen am 23.07.2024.