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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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außerhalb und innerhalb des Parlamentes lediglich in den Reihen der Reichs¬
feinde zu suchen, nicht nnter den nationalen Parteien Deutschlands.

Wie in allen großen Krisen die Klarheit der Gegensätze gewinnt, so hat
auch die Fraction Richter, welche aus einer unbegreiflich zähen Vorliebe für
das Alte sich deutsche Fortschrittspartei neunt, plötzlich, und leider viel richtiger
als manche Führer der nationalliberalen Partei, erkannt, daß sie mit der großen
Partei, welcher das Kompromiß über die Jnstizgesetze hauptsächlich zu danken
ist, absolut keine Fühlung habe. Sie hat den Nationalliberalen daher alle
Freundschaft gekündigt, die Wähler "ans Wacht" gerufen und die Lösung aus¬
gegeben, keinen Nationalliberalen zu wählen.

Unsere Freude über das Zustandekommen der Justizgesetze ist groß und
begründet in dieser mächtigen Errungenschaft der nationalen Entwickelung. Sie
hat mit Parteirücksicht nichts zu thun. Aber diese Kriegserklärung der Fort¬
schrittspartei an die Nationalliberalen bereitet uns fast ebenso große Freude.
Denn dieses Zerwürfnis; ist die unmittelbare, zuerst fühlbare und am Vor¬
abend der am 10. Januar zu vollziehenden Reichstagswahlen doppelt werth¬
volle Frucht des Zustandekommens der Justizgesetze. Möchte diese Feindschaft
eine recht gründliche, recht unversöhnliche werden! Um so rascher wird die so¬
genannte Fortschrittspartei sich abwirthschafteu, um so klarer und geachteter
wird die Stellung der nationalliberalen Partei werden.

Anscheinend nur die Besorgniß vor der neu entstandenen sogenannten "dentsch-
cvnservativen Partei" veranlaßteiln Laufe des vergangenen Sommers und Herbstes
einige Führer der nationalen Partei, die Losung einer Coalition der nationalen mit
der Fortschrittspartei für die Wahlen zum preußischen Landtag und zum dentschen
Reichstag auszugeben. Diese Besorgniß hat sich schon bei den Wahlen zum
preußischen Landtag als eine völlig unbegründete erwiesen. Dasselbe werden
die Reichstagswahlen darthun. Denn die "deutsch-conservative" Partei befrie¬
digt das anerkennenswerthe Bedürfniß nach einer Neubildung und Sammlung
der conservativen Kräfte Deutschlands in keiner Weise. Die "Deutsch-Conser-
vativen" bieten in ihren Reihen die bunteste Karte von Ansichten und Meinun¬
gen, welche je zu einer "Partei" sich zusammen fanden. Die Mucker und die
Agrarier, die junkerlichen Reactionüre Altpreußens und die reactionären Par-
ticularisten Sachsens und Hannovers, die Zünftler und die Schutzzöllner haben
sich zu dieser "Partei" angefunden. Allen diesen Elementen ist nur Eines ge¬
meinsam: Die Unzufriedenheit mit deu bestehenden Zuständen, mit dem
freisinnigen und deutscheu Charakter der nationalen Enwickelnng im letzten Jahr¬
zehnt. Und das will eine conservative Partei sein? Sie, die das Bestehende
auflösen, die bisherige Entwickelung zurückdrängen möchte. Es ist kein Zufall,
daß die wenigen Abgeordneten, welche uuter diesem neuen Banner ans den


außerhalb und innerhalb des Parlamentes lediglich in den Reihen der Reichs¬
feinde zu suchen, nicht nnter den nationalen Parteien Deutschlands.

Wie in allen großen Krisen die Klarheit der Gegensätze gewinnt, so hat
auch die Fraction Richter, welche aus einer unbegreiflich zähen Vorliebe für
das Alte sich deutsche Fortschrittspartei neunt, plötzlich, und leider viel richtiger
als manche Führer der nationalliberalen Partei, erkannt, daß sie mit der großen
Partei, welcher das Kompromiß über die Jnstizgesetze hauptsächlich zu danken
ist, absolut keine Fühlung habe. Sie hat den Nationalliberalen daher alle
Freundschaft gekündigt, die Wähler „ans Wacht" gerufen und die Lösung aus¬
gegeben, keinen Nationalliberalen zu wählen.

Unsere Freude über das Zustandekommen der Justizgesetze ist groß und
begründet in dieser mächtigen Errungenschaft der nationalen Entwickelung. Sie
hat mit Parteirücksicht nichts zu thun. Aber diese Kriegserklärung der Fort¬
schrittspartei an die Nationalliberalen bereitet uns fast ebenso große Freude.
Denn dieses Zerwürfnis; ist die unmittelbare, zuerst fühlbare und am Vor¬
abend der am 10. Januar zu vollziehenden Reichstagswahlen doppelt werth¬
volle Frucht des Zustandekommens der Justizgesetze. Möchte diese Feindschaft
eine recht gründliche, recht unversöhnliche werden! Um so rascher wird die so¬
genannte Fortschrittspartei sich abwirthschafteu, um so klarer und geachteter
wird die Stellung der nationalliberalen Partei werden.

Anscheinend nur die Besorgniß vor der neu entstandenen sogenannten „dentsch-
cvnservativen Partei" veranlaßteiln Laufe des vergangenen Sommers und Herbstes
einige Führer der nationalen Partei, die Losung einer Coalition der nationalen mit
der Fortschrittspartei für die Wahlen zum preußischen Landtag und zum dentschen
Reichstag auszugeben. Diese Besorgniß hat sich schon bei den Wahlen zum
preußischen Landtag als eine völlig unbegründete erwiesen. Dasselbe werden
die Reichstagswahlen darthun. Denn die „deutsch-conservative" Partei befrie¬
digt das anerkennenswerthe Bedürfniß nach einer Neubildung und Sammlung
der conservativen Kräfte Deutschlands in keiner Weise. Die „Deutsch-Conser-
vativen" bieten in ihren Reihen die bunteste Karte von Ansichten und Meinun¬
gen, welche je zu einer „Partei" sich zusammen fanden. Die Mucker und die
Agrarier, die junkerlichen Reactionüre Altpreußens und die reactionären Par-
ticularisten Sachsens und Hannovers, die Zünftler und die Schutzzöllner haben
sich zu dieser „Partei" angefunden. Allen diesen Elementen ist nur Eines ge¬
meinsam: Die Unzufriedenheit mit deu bestehenden Zuständen, mit dem
freisinnigen und deutscheu Charakter der nationalen Enwickelnng im letzten Jahr¬
zehnt. Und das will eine conservative Partei sein? Sie, die das Bestehende
auflösen, die bisherige Entwickelung zurückdrängen möchte. Es ist kein Zufall,
daß die wenigen Abgeordneten, welche uuter diesem neuen Banner ans den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/12>, abgerufen am 23.07.2024.