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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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zelnen, den Mancher vielleicht noch wünschen möge, dnrch die gemeinsame
Discussion und den gemeinsamen Druck der ganzen Nation jedenfalls viel
leichter zu verwirklichen sein, als durch die energischsten Bestrebungen in den
einzelnen Staaten und Kammern. Das ist allerdings schon lange her. Es
geschah zu den Zeiten des seligen Nationalvereins, und es war damals frei¬
lich nicht zu befürchten, daß den Wünschen der Nationalvereinsredner gleich
die That und Verwirklichung folge. Aber der damals ausgesprochene Grund¬
satz ist durch die seitherige Entwickelung der Dinge sicherlich in keiner Weise
erschüttert, sondern nur befestigt worden. Wir haben seither an Hunderten von
Erfahrungen gelernt, daß ans dem Gebiete der Reichsgesetzgebung berechtigte
Wünsche und Fortschritte ungemein viel rascher zum Ziel gelangen, als in dem
mühsamen und zersplitterten Treiben der Einzelstaaten.

Und trotz alledem stimmte die sog. deutsche Fortschrittspartei gegen das
Zustandekommen der Reichsjustizgesetze. Trotzdem verwarf sie die eminenten
Fortschritte, welche diese Gesetze in Betreff der Verfvlgbarkeit ungesetzlicher
Handlungen von Beamten, in Betreff der Gerichtshöfe über Competenzconflicte,
in Betreff der Beseitigung des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft, der
Beschwerdeführnng gegen dieselbe, der Aufhebung des bisher in Preußen gegen
die verantwortlichen Redacteure von Preßerzengnissen geübten Zengnißzwanges
und in Betreff des bestimmten letzten Termins der Jnkrafttretung der Reichs¬
justizgesetze verbürgen!

Für diejenigen, welche die Haltung dieser Fraction in dem letzten Jahr¬
zehnt genauer verfolgt haben, bedarf freilich auch dieses ihr Gebahren gegen¬
über den Justizgesetzeu keiner Erklärung. Die sog. "deutsche" Fortschrittspartei
hat in diesem Zeitraum, der uns an ein Jahrhundert und mehr gefordert hat,
gegen alle Gesetze und Fortschritte gestimmt, auf welche wir stolz sind: gegen
die norddeutsche Bundesverfassung und das Kriegsdienstgesetz von 1867, gegen
die Buudeskriegspflicht der Südstaaten bei Erneuerung der Zollvereinsverträge
1867, gegen das Strafgesetzbuch und gegen die Versailler Verträge 1870, gegen
die Reichsverfassung 1871 und gegen das Jesnitengesetz, gegen das Reichs-
militairgesetz und gegen den eisernen Kriegsfonds, gegen den deutschen Zolltarif
wie er heute besteht (im Zollparlament), alljährlich gegen eine ganze Reihe
der wichtigsten Etatpositionen, ohne welche die Erhaltung des deutschen Reiches
geradezu unmöglich wäre und nun zur Krönung dieses Verhaltens gegen die
Justizgesetze. Eine solche Partei hat in keiner Weise das Recht, sich eine fort¬
schrittliche, noch weniger sich eine deutsche zu nennen. Sie ist lediglich die
Partei der Reaction der Opposition gegen das gesunde Vorwärtsschreiten des
nationalen Lebens. Und sie hat sich die Bundesgenossen für ihr Treiben


zelnen, den Mancher vielleicht noch wünschen möge, dnrch die gemeinsame
Discussion und den gemeinsamen Druck der ganzen Nation jedenfalls viel
leichter zu verwirklichen sein, als durch die energischsten Bestrebungen in den
einzelnen Staaten und Kammern. Das ist allerdings schon lange her. Es
geschah zu den Zeiten des seligen Nationalvereins, und es war damals frei¬
lich nicht zu befürchten, daß den Wünschen der Nationalvereinsredner gleich
die That und Verwirklichung folge. Aber der damals ausgesprochene Grund¬
satz ist durch die seitherige Entwickelung der Dinge sicherlich in keiner Weise
erschüttert, sondern nur befestigt worden. Wir haben seither an Hunderten von
Erfahrungen gelernt, daß ans dem Gebiete der Reichsgesetzgebung berechtigte
Wünsche und Fortschritte ungemein viel rascher zum Ziel gelangen, als in dem
mühsamen und zersplitterten Treiben der Einzelstaaten.

Und trotz alledem stimmte die sog. deutsche Fortschrittspartei gegen das
Zustandekommen der Reichsjustizgesetze. Trotzdem verwarf sie die eminenten
Fortschritte, welche diese Gesetze in Betreff der Verfvlgbarkeit ungesetzlicher
Handlungen von Beamten, in Betreff der Gerichtshöfe über Competenzconflicte,
in Betreff der Beseitigung des Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft, der
Beschwerdeführnng gegen dieselbe, der Aufhebung des bisher in Preußen gegen
die verantwortlichen Redacteure von Preßerzengnissen geübten Zengnißzwanges
und in Betreff des bestimmten letzten Termins der Jnkrafttretung der Reichs¬
justizgesetze verbürgen!

Für diejenigen, welche die Haltung dieser Fraction in dem letzten Jahr¬
zehnt genauer verfolgt haben, bedarf freilich auch dieses ihr Gebahren gegen¬
über den Justizgesetzeu keiner Erklärung. Die sog. „deutsche" Fortschrittspartei
hat in diesem Zeitraum, der uns an ein Jahrhundert und mehr gefordert hat,
gegen alle Gesetze und Fortschritte gestimmt, auf welche wir stolz sind: gegen
die norddeutsche Bundesverfassung und das Kriegsdienstgesetz von 1867, gegen
die Buudeskriegspflicht der Südstaaten bei Erneuerung der Zollvereinsverträge
1867, gegen das Strafgesetzbuch und gegen die Versailler Verträge 1870, gegen
die Reichsverfassung 1871 und gegen das Jesnitengesetz, gegen das Reichs-
militairgesetz und gegen den eisernen Kriegsfonds, gegen den deutschen Zolltarif
wie er heute besteht (im Zollparlament), alljährlich gegen eine ganze Reihe
der wichtigsten Etatpositionen, ohne welche die Erhaltung des deutschen Reiches
geradezu unmöglich wäre und nun zur Krönung dieses Verhaltens gegen die
Justizgesetze. Eine solche Partei hat in keiner Weise das Recht, sich eine fort¬
schrittliche, noch weniger sich eine deutsche zu nennen. Sie ist lediglich die
Partei der Reaction der Opposition gegen das gesunde Vorwärtsschreiten des
nationalen Lebens. Und sie hat sich die Bundesgenossen für ihr Treiben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/11>, abgerufen am 23.07.2024.