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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Die Sorge für die äußere Anordnung der Mysterienfeier gehörte zu den
Obliegenheiten des Beifilms, des zweiten der neun Archonten, welche Athen
regierte". Die oberste Leitung der Feste selbst hatte der Hierophant in der
Hand, der immer aus dem alten eleusinischen Geschlechte der Eumolpiden und
zwar auf Lebenszeit gewählt wurde, und dem eine Hierophantis zur Seite
stand; denn auch Frauen durften an diesen gottesdienstlichen Versammlungen
theilnehmen. Beide zeigten den Geweihten die geheimnißvollen Heiligthümer
dieses Kultus und hatten die liturgischen Gesänge anzustimmen. Andere Be¬
amte waren der Keryx, der die Gemeinde durch deu herkömmlichen Ruf zur
Andacht aufzufordern, die Gebete vorzusprechen und bei den Opfern zu helfen
hatte, der Daduchos oder Fackelträger, dann ein Funetionür, der griechisch
o s?re /Sen^P, der auf dein Altar, hieß, ein Jakchagogos, von dessen Pflichten
wir später hören werden, und ein Hydranos, der bei den Waschungen und
Reinigungen der Eingeweihten zu thun hatte, sowie verschiedene niedere Mi¬
nistranten, zu denen noch Sänger und Musiker kamen. Alle höheren Beamten
gehörten wie der Hierophant und die Hierophantis eleusinischen Adelsge¬
schlechtern an.

Das Ganze der Mysterien bestand aus zwei auf einander bezüglichen
Festen. Das erste derselben, die sogenannten "kleinen Mysterien", wurde im
Monat Anthesterion, der unserm Februar entspricht, in der athenischen Vor¬
stadt Agrä am Ilissos begangen, wenn dieser Bach seine volle Strömung
hatte und die ersten Blumen blühten. Es galt vorzugsweise der zu ihrer
Mutter zurückkehrenden Kore, doch wurde dabei auch eine den Dionysos oder
Jakchos betreffende mystische Feier vorgenommen, mit welcher sich eine auf
dessen Geburt bezügliche Darstellung verbunden zu haben scheint. Endlich fehlte
es dabei nicht an allegorischen Beziehungen auf Tod und Leben und ver¬
schiedenen Sühnungen und Reinigungen, zu denen man das Wasser des be¬
nachbarten Baches verwandte, und deren sich der Sage nach zuerst Herakles
bedient haben sollte. Mit diesen Sühnungen und Reinigungen galten die
kleinen Mysterien als Vorbereitungen ans die großen, zu denen nur die Zu¬
tritt fanden, die in jene eingeweiht worden waren. Sie waren also gewisser¬
maßen, wenn wir freimaurerisch reden sollen, Arbeiten im ersten oder Lehr¬
lingsgrad. Die in sie Eingeweihten hießen "Mystü"; zum zweiten Grade be¬
fördert wurden sie erst bei den großen Mysterien desselben Jahres, und die
Weihe zum dritten Grade, zu "Schauenden", griechisch Epoptü, durfte nicht
eher als bei den großen Mysterien des nächsten Jahres stattfinden.

Die Feier der "großen Mysterien," begann um die Mitte des Boedromion,
der mit unserm September zusammenfällt, und dauerte wahrscheinlich neun
Tage. Der erste derselben hieß Agyrmos, der Tag der Versammlung, indem


Die Sorge für die äußere Anordnung der Mysterienfeier gehörte zu den
Obliegenheiten des Beifilms, des zweiten der neun Archonten, welche Athen
regierte». Die oberste Leitung der Feste selbst hatte der Hierophant in der
Hand, der immer aus dem alten eleusinischen Geschlechte der Eumolpiden und
zwar auf Lebenszeit gewählt wurde, und dem eine Hierophantis zur Seite
stand; denn auch Frauen durften an diesen gottesdienstlichen Versammlungen
theilnehmen. Beide zeigten den Geweihten die geheimnißvollen Heiligthümer
dieses Kultus und hatten die liturgischen Gesänge anzustimmen. Andere Be¬
amte waren der Keryx, der die Gemeinde durch deu herkömmlichen Ruf zur
Andacht aufzufordern, die Gebete vorzusprechen und bei den Opfern zu helfen
hatte, der Daduchos oder Fackelträger, dann ein Funetionür, der griechisch
o s?re /Sen^P, der auf dein Altar, hieß, ein Jakchagogos, von dessen Pflichten
wir später hören werden, und ein Hydranos, der bei den Waschungen und
Reinigungen der Eingeweihten zu thun hatte, sowie verschiedene niedere Mi¬
nistranten, zu denen noch Sänger und Musiker kamen. Alle höheren Beamten
gehörten wie der Hierophant und die Hierophantis eleusinischen Adelsge¬
schlechtern an.

Das Ganze der Mysterien bestand aus zwei auf einander bezüglichen
Festen. Das erste derselben, die sogenannten „kleinen Mysterien", wurde im
Monat Anthesterion, der unserm Februar entspricht, in der athenischen Vor¬
stadt Agrä am Ilissos begangen, wenn dieser Bach seine volle Strömung
hatte und die ersten Blumen blühten. Es galt vorzugsweise der zu ihrer
Mutter zurückkehrenden Kore, doch wurde dabei auch eine den Dionysos oder
Jakchos betreffende mystische Feier vorgenommen, mit welcher sich eine auf
dessen Geburt bezügliche Darstellung verbunden zu haben scheint. Endlich fehlte
es dabei nicht an allegorischen Beziehungen auf Tod und Leben und ver¬
schiedenen Sühnungen und Reinigungen, zu denen man das Wasser des be¬
nachbarten Baches verwandte, und deren sich der Sage nach zuerst Herakles
bedient haben sollte. Mit diesen Sühnungen und Reinigungen galten die
kleinen Mysterien als Vorbereitungen ans die großen, zu denen nur die Zu¬
tritt fanden, die in jene eingeweiht worden waren. Sie waren also gewisser¬
maßen, wenn wir freimaurerisch reden sollen, Arbeiten im ersten oder Lehr¬
lingsgrad. Die in sie Eingeweihten hießen „Mystü"; zum zweiten Grade be¬
fördert wurden sie erst bei den großen Mysterien desselben Jahres, und die
Weihe zum dritten Grade, zu „Schauenden", griechisch Epoptü, durfte nicht
eher als bei den großen Mysterien des nächsten Jahres stattfinden.

Die Feier der „großen Mysterien," begann um die Mitte des Boedromion,
der mit unserm September zusammenfällt, und dauerte wahrscheinlich neun
Tage. Der erste derselben hieß Agyrmos, der Tag der Versammlung, indem


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[0119] Die Sorge für die äußere Anordnung der Mysterienfeier gehörte zu den Obliegenheiten des Beifilms, des zweiten der neun Archonten, welche Athen regierte». Die oberste Leitung der Feste selbst hatte der Hierophant in der Hand, der immer aus dem alten eleusinischen Geschlechte der Eumolpiden und zwar auf Lebenszeit gewählt wurde, und dem eine Hierophantis zur Seite stand; denn auch Frauen durften an diesen gottesdienstlichen Versammlungen theilnehmen. Beide zeigten den Geweihten die geheimnißvollen Heiligthümer dieses Kultus und hatten die liturgischen Gesänge anzustimmen. Andere Be¬ amte waren der Keryx, der die Gemeinde durch deu herkömmlichen Ruf zur Andacht aufzufordern, die Gebete vorzusprechen und bei den Opfern zu helfen hatte, der Daduchos oder Fackelträger, dann ein Funetionür, der griechisch o s?re /Sen^P, der auf dein Altar, hieß, ein Jakchagogos, von dessen Pflichten wir später hören werden, und ein Hydranos, der bei den Waschungen und Reinigungen der Eingeweihten zu thun hatte, sowie verschiedene niedere Mi¬ nistranten, zu denen noch Sänger und Musiker kamen. Alle höheren Beamten gehörten wie der Hierophant und die Hierophantis eleusinischen Adelsge¬ schlechtern an. Das Ganze der Mysterien bestand aus zwei auf einander bezüglichen Festen. Das erste derselben, die sogenannten „kleinen Mysterien", wurde im Monat Anthesterion, der unserm Februar entspricht, in der athenischen Vor¬ stadt Agrä am Ilissos begangen, wenn dieser Bach seine volle Strömung hatte und die ersten Blumen blühten. Es galt vorzugsweise der zu ihrer Mutter zurückkehrenden Kore, doch wurde dabei auch eine den Dionysos oder Jakchos betreffende mystische Feier vorgenommen, mit welcher sich eine auf dessen Geburt bezügliche Darstellung verbunden zu haben scheint. Endlich fehlte es dabei nicht an allegorischen Beziehungen auf Tod und Leben und ver¬ schiedenen Sühnungen und Reinigungen, zu denen man das Wasser des be¬ nachbarten Baches verwandte, und deren sich der Sage nach zuerst Herakles bedient haben sollte. Mit diesen Sühnungen und Reinigungen galten die kleinen Mysterien als Vorbereitungen ans die großen, zu denen nur die Zu¬ tritt fanden, die in jene eingeweiht worden waren. Sie waren also gewisser¬ maßen, wenn wir freimaurerisch reden sollen, Arbeiten im ersten oder Lehr¬ lingsgrad. Die in sie Eingeweihten hießen „Mystü"; zum zweiten Grade be¬ fördert wurden sie erst bei den großen Mysterien desselben Jahres, und die Weihe zum dritten Grade, zu „Schauenden", griechisch Epoptü, durfte nicht eher als bei den großen Mysterien des nächsten Jahres stattfinden. Die Feier der „großen Mysterien," begann um die Mitte des Boedromion, der mit unserm September zusammenfällt, und dauerte wahrscheinlich neun Tage. Der erste derselben hieß Agyrmos, der Tag der Versammlung, indem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/119>, abgerufen am 23.07.2024.