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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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gesucht worden, bis sie endlich zurückgekehrt sei, und hieran knüpften sich jeden,
Frühling und Herbst festliche Bräuche, bei denen das Volk von Eleusis unter
Führung seines Adels diese Mythe dramatisch darstellte. Dieselben waren also
anfänglich ein rein agrarisches Fest. Als aber Athen Eleusis eroberte, es seinen?
Staatswesen einverleibte und jenen Cultus ebenfalls in letzteres aufnahm, erhielt
derselbe, indem der Unsterblichkeitsglaube sich im Lauf der Zeiten heraus¬
bildete und feste Umrisse annahm, einen wesentlich andern Inhalt und mit
demselben höhere Bedeutung. Die Ackergöttin Demeter und deren Tochter
wurden in Beziehung zum Tode und dein Wiederaufleben nicht blos der
Natur, sondern auch der Menschen gebracht, Persephone, die zur Gemahlin des
Todtenkönigs gewordene Kore, und deren Sohn Jakchos traten an ihre Seite,
und die Feste, mit denen man sich diese Gottheiten und ihr Verhältniß zur
Welt der Menschen vergegenwärtigte, wurden zu beinahe völlig andern, sie
wurden reicher und tiefer, und sie wurden geheim oder wenigstens in ihren
wichtigsten Theilen nnr den Eingeweihten zugänglich. Die Götter der Unter¬
welt, auf die sie sich jetzt fast ausschließlich bezogen, waren düstere, unheimliche
Mächte, denen man sich nnr mit Zagen und von schützenden Bräuchen umgeben
nahen durfte, und deren Dienst dem Lichte und Leben des Tages fern bleiben
mußte. Es bedürfte also fortan der Weihen für die, welche zu den eigentlichen
Mysterien, die mit dem alten Ackerbanfeste verschmolzen waren und dessen
Hauptbestandtheil bildeten, Zulaß zu finden begehrten. Indeß wurden den
Suchenden keine großen Schwierigkeiten gemacht. Man nahm nicht nnr Bürger
von Attika auf, sondern auch Sklaven von griechischer Abstammung, ferner
Hellenen jedes Stammes und Staates und später auch Römer. Nur Bar¬
baren sollten ausgeschlossen sein; doch kamen anch in Betreff der letzteren Aus¬
nahmen vor, wie zu Solons Zeit der Skythe Anacharsis und unter Augustus
der Inder Zarmarus, indeß mußten dieselben vorher das ätherische Bürger¬
recht erwerben. Wer zur Theilnahme an den Mysterien zugelassen werden
wollte, hatte sich an einen schon eingeweihten Athener zu wenden, der ihn
einem der mit der Prüfung der sich Meldenden betrauten Priester vorstellte
und ihn, wenn er diese bestanden, über alles weiter zu Beobachtende unterwies.
Wer sich ohne die dann folgenden Weihen empfangen zu haben in die Heilig-
thümer von Eleusis eindrängte, wurde ebenso wie der, welcher sich gegen die
dort verehrten Gottheiten verging, und der, welcher die Mysterien Profanen
verrieth, gerichtlich angeklagt und verfolgt; denn er gab mit solchem Frevel
Veranlassung, daß die Todesgötter dem Staate grollten. Der Oberpriester, von
dem sogleich die Rede sein soll, konnte den Fluch über den Frevler und sein
Geschlecht aussprechen, und bei besonders schweren Fällen trat dazu die Hin¬
richtung desselben und die Confiscation seines Vermögens.


gesucht worden, bis sie endlich zurückgekehrt sei, und hieran knüpften sich jeden,
Frühling und Herbst festliche Bräuche, bei denen das Volk von Eleusis unter
Führung seines Adels diese Mythe dramatisch darstellte. Dieselben waren also
anfänglich ein rein agrarisches Fest. Als aber Athen Eleusis eroberte, es seinen?
Staatswesen einverleibte und jenen Cultus ebenfalls in letzteres aufnahm, erhielt
derselbe, indem der Unsterblichkeitsglaube sich im Lauf der Zeiten heraus¬
bildete und feste Umrisse annahm, einen wesentlich andern Inhalt und mit
demselben höhere Bedeutung. Die Ackergöttin Demeter und deren Tochter
wurden in Beziehung zum Tode und dein Wiederaufleben nicht blos der
Natur, sondern auch der Menschen gebracht, Persephone, die zur Gemahlin des
Todtenkönigs gewordene Kore, und deren Sohn Jakchos traten an ihre Seite,
und die Feste, mit denen man sich diese Gottheiten und ihr Verhältniß zur
Welt der Menschen vergegenwärtigte, wurden zu beinahe völlig andern, sie
wurden reicher und tiefer, und sie wurden geheim oder wenigstens in ihren
wichtigsten Theilen nnr den Eingeweihten zugänglich. Die Götter der Unter¬
welt, auf die sie sich jetzt fast ausschließlich bezogen, waren düstere, unheimliche
Mächte, denen man sich nnr mit Zagen und von schützenden Bräuchen umgeben
nahen durfte, und deren Dienst dem Lichte und Leben des Tages fern bleiben
mußte. Es bedürfte also fortan der Weihen für die, welche zu den eigentlichen
Mysterien, die mit dem alten Ackerbanfeste verschmolzen waren und dessen
Hauptbestandtheil bildeten, Zulaß zu finden begehrten. Indeß wurden den
Suchenden keine großen Schwierigkeiten gemacht. Man nahm nicht nnr Bürger
von Attika auf, sondern auch Sklaven von griechischer Abstammung, ferner
Hellenen jedes Stammes und Staates und später auch Römer. Nur Bar¬
baren sollten ausgeschlossen sein; doch kamen anch in Betreff der letzteren Aus¬
nahmen vor, wie zu Solons Zeit der Skythe Anacharsis und unter Augustus
der Inder Zarmarus, indeß mußten dieselben vorher das ätherische Bürger¬
recht erwerben. Wer zur Theilnahme an den Mysterien zugelassen werden
wollte, hatte sich an einen schon eingeweihten Athener zu wenden, der ihn
einem der mit der Prüfung der sich Meldenden betrauten Priester vorstellte
und ihn, wenn er diese bestanden, über alles weiter zu Beobachtende unterwies.
Wer sich ohne die dann folgenden Weihen empfangen zu haben in die Heilig-
thümer von Eleusis eindrängte, wurde ebenso wie der, welcher sich gegen die
dort verehrten Gottheiten verging, und der, welcher die Mysterien Profanen
verrieth, gerichtlich angeklagt und verfolgt; denn er gab mit solchem Frevel
Veranlassung, daß die Todesgötter dem Staate grollten. Der Oberpriester, von
dem sogleich die Rede sein soll, konnte den Fluch über den Frevler und sein
Geschlecht aussprechen, und bei besonders schweren Fällen trat dazu die Hin¬
richtung desselben und die Confiscation seines Vermögens.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/118>, abgerufen am 23.07.2024.