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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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in ihrem Sinne entschieden worden wäre. Damals wie heute wollten sie alle
großen Fortschritte der neuen Gesetzgebungsarbeit preisgeben, lieber das unleid¬
liche Alte fortbestehen lassen, weil das Phantom ihrer Wünsche nicht vollkommen
Gestalt gewonnen und Berücksichtigung erfahren hatte. Die Socialdemokraten
und der sogenannte Fortschritt polterten damals über die Aufrechterhaltung
der Todesstrafe für Mord und Fürstenattentat, mit solchem Zorn und Eifer,
als ob alle bekannten Ahnen der Unzufriedenen feit Deukaleons Zeiten auf
dem Schaffst gestorben wären, und die Beseitigung ähnlicher Todesursachen
für sie zu eiuer dringenden häuslichen Angelegenheit geworden sei. Sie über¬
sahen dabei vollständig, daß, wenn das Strafgesetzbuch abgelehnt wurde, die
Todesstrafe in Preußen allein auf vierzehn (statt zwei) Verbrechen in gesetzlicher
Wirksamkeit fortbestand, Zuchthausstrafe anch bei politischen Verbrechen (ohne
Prüfung der Ehrenhaftigkeit oder Ehrlosigkeit der Gesinnung) erkannt werden
durfte, die Redefreiheit der Einzellandtage so problematisch war als bisher,
der Begriff des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, die Aufreizung zu Haß
und Verachtung u. s. w. ihren in den Reactionsjahren erhaltenen Gummi¬
charakter noch immer bewahrt hätten.

Ganz in derselben Weise verschlossen die Gegner des Compromisfes über
die Jnstizgesetze die ihnen von einer gütigen Vorsehung verliehenen Sinne
gegen die eminenten Fortschritte der großartigen Neuerung, welche diese Gesetze
über Deutschland herausführen. Daß die Polen allerdings jedem Gesetze
grollen, welches deutscher Gewissenhaftigkeit in der Rechtsprechung, der Er-
starkung deutscheu Wesens und deutscher Sprache weite Bahnen öffnet, statt,
wie unter dem System Muster, die Deutschen zu Gunsten der Polen zu ver¬
gewaltigen, finden wir natürlich. Daß die Socialdemokraten mit dem ihnen
zum Bedürfniß gewordenen theatralischen Aufwand durch Herrn Hasenclever
erklären, nicht mehr anzuthun, wenn ein großes Stück deutschen National-
strebens vollendet wird, das kann nur der Nichtkenner dieser Partei der cyni-
schen Vaterlandslosigkeit und gesellschaftlichen Auflösung auffallend finden.
Und wenn die Partei, welche von Rom ihre Losung und Führer empfängt,
allen Gesetzen widerstrebt, die ihrer Gesetzesanflehnung nicht völlige Straflvsig
keit sichern, so ist das ein Act aus dem Triebe der Selbsterhaltung, der dem
geringsten Thier innewohnt. Aber daß die sog. Fortschrittspartei, welche sich
sogar die "deutsche" nennt, bei dieser Gelegenheit ein so trauriges Debüt gab,
das könnte uns um einiger Männer von gutem Klang willen, die auf den
Bunten dieser Partei noch heute sitzen, leid thun. Es gab eine Zeit, wo die
Schulze-Delitzsch und Wiggers, die Duncker u. s. w. gehobenen Herzens
mahnten, vorerst einmal die Einheit des Rechtes in der und jener wichtigen
Frage für ganz Deutschland zu begründen, dann werde der Ausbau im Ein-


in ihrem Sinne entschieden worden wäre. Damals wie heute wollten sie alle
großen Fortschritte der neuen Gesetzgebungsarbeit preisgeben, lieber das unleid¬
liche Alte fortbestehen lassen, weil das Phantom ihrer Wünsche nicht vollkommen
Gestalt gewonnen und Berücksichtigung erfahren hatte. Die Socialdemokraten
und der sogenannte Fortschritt polterten damals über die Aufrechterhaltung
der Todesstrafe für Mord und Fürstenattentat, mit solchem Zorn und Eifer,
als ob alle bekannten Ahnen der Unzufriedenen feit Deukaleons Zeiten auf
dem Schaffst gestorben wären, und die Beseitigung ähnlicher Todesursachen
für sie zu eiuer dringenden häuslichen Angelegenheit geworden sei. Sie über¬
sahen dabei vollständig, daß, wenn das Strafgesetzbuch abgelehnt wurde, die
Todesstrafe in Preußen allein auf vierzehn (statt zwei) Verbrechen in gesetzlicher
Wirksamkeit fortbestand, Zuchthausstrafe anch bei politischen Verbrechen (ohne
Prüfung der Ehrenhaftigkeit oder Ehrlosigkeit der Gesinnung) erkannt werden
durfte, die Redefreiheit der Einzellandtage so problematisch war als bisher,
der Begriff des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, die Aufreizung zu Haß
und Verachtung u. s. w. ihren in den Reactionsjahren erhaltenen Gummi¬
charakter noch immer bewahrt hätten.

Ganz in derselben Weise verschlossen die Gegner des Compromisfes über
die Jnstizgesetze die ihnen von einer gütigen Vorsehung verliehenen Sinne
gegen die eminenten Fortschritte der großartigen Neuerung, welche diese Gesetze
über Deutschland herausführen. Daß die Polen allerdings jedem Gesetze
grollen, welches deutscher Gewissenhaftigkeit in der Rechtsprechung, der Er-
starkung deutscheu Wesens und deutscher Sprache weite Bahnen öffnet, statt,
wie unter dem System Muster, die Deutschen zu Gunsten der Polen zu ver¬
gewaltigen, finden wir natürlich. Daß die Socialdemokraten mit dem ihnen
zum Bedürfniß gewordenen theatralischen Aufwand durch Herrn Hasenclever
erklären, nicht mehr anzuthun, wenn ein großes Stück deutschen National-
strebens vollendet wird, das kann nur der Nichtkenner dieser Partei der cyni-
schen Vaterlandslosigkeit und gesellschaftlichen Auflösung auffallend finden.
Und wenn die Partei, welche von Rom ihre Losung und Führer empfängt,
allen Gesetzen widerstrebt, die ihrer Gesetzesanflehnung nicht völlige Straflvsig
keit sichern, so ist das ein Act aus dem Triebe der Selbsterhaltung, der dem
geringsten Thier innewohnt. Aber daß die sog. Fortschrittspartei, welche sich
sogar die „deutsche" nennt, bei dieser Gelegenheit ein so trauriges Debüt gab,
das könnte uns um einiger Männer von gutem Klang willen, die auf den
Bunten dieser Partei noch heute sitzen, leid thun. Es gab eine Zeit, wo die
Schulze-Delitzsch und Wiggers, die Duncker u. s. w. gehobenen Herzens
mahnten, vorerst einmal die Einheit des Rechtes in der und jener wichtigen
Frage für ganz Deutschland zu begründen, dann werde der Ausbau im Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/10>, abgerufen am 20.06.2024.