Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu Ende gehen, und als sie einmal draußen auf der See in einem Boote
eine Lustfahrt machte, zog sie ihren kostbaren Ring vom Finger und warf
ihn ins Wasser, indem sie zu ihrer Gesellschaft die Worte sprach: "So un-
möglich es ist, daß ich den Ring wiederbekomme, so unmöglich ist es auch,
daß ich einmal arm werde." Aber siehe da, nach ein paar Tagen brachte
ein Fischer einen großen Dorsch in die Schloßküche, und als die Köchin den
ausschnitt, fand sie den Ring in seinen Eingeweiden. Sie zeigte ihn ihrer
Gebieterin, die darüber sehr erschrak. Und sie hatte guten Grund dazu.
Denn nicht lange nachher kam die große Sturmfluth (die Sage meint das
Jahr 162S), welche die ganze Gegend um den Verwellenhof verschlang, und
damit hatte die reiche Frau ihr ganzes Hab und Gut verloren und war so
arm geworden, daß sie betteln ging. Früher in ihren guten Tagen hatte
sie, wenn sie ins heimliche Gemach ging, in ihrem Hochmuth immer eine
Riste Flachs genommen. Eine Magd aber hatte den sich ausgewaschen und
versponnen. Wenn das die reiche Frau gesehen, hatte sie jedesmal "Fu dit
an!" (Pfui dich an!) gesagt und über das Mädchen gespottet. Nun sie aber
selber arm geworden war, kam sie zu ihrer früheren Magd, die jetzt wohl¬
habend war, und bat um Leinwand zu einem Hemde. Sie bekam, was sie
wollte, aber sie mußte auch die Worte hören: "Dar es von arm Fudikan."
Mit weinenden Augen ging die Frau fort. Seit der Zeit aber heißt in der
Propstei aller Abfall vom Flachs Fudikan. (Eine der vielen falschen Volks¬
etymologien bei Worten, deren Sinn allmählich verloren gegangen ist.)

Ganz ähnlich ist die westphälische Sage von der Gräfin zu Nienburg.
die in der Nähe von Bünde wohnte und so ungeheuer reich und stolz war,
daß sie einmal in ihrem Uebermuthe einen Ring vom Finger zog. ihn in
den Schloßgraben warf und sagte: "So wenig als ich den Ring wieder¬
bekomme, so wenig werde ich einmal Noth leiden." Es dauerte aber kaum ein
Paar Stunden, so kam der Koch und brachte ihr den Ring wieder, den er
im Magen eines Karpfen gefunden hatte. Nach Verlauf eines Jahres war
die Gräfin so arm, daß sie sich in einer kleinen Hütte von Hedespinnen er¬
nähren mußte.

Fast genau derselben Erzählung begegnen wir in bayerischen, sächsischen,
thüringischen und dänischen Sagensammlungen. Namentlich aber treffen
Wir die Geschichte vom Ring und vom Fische in England und Schottland
in verschiedenen Gestalten wieder. Das Wappen der Stadt Glasgow, früher
das des dortigen Bisthums, zeigt den Stamm des Baumes des heiligen
Kentigern, gekreuzt von einem Lachs, der einen Ring im Maule trägt.
Joeelyn erzählt in seinem "Leben Sanct Kentigerns" die hieran sich knüpfende
Legende folgendermaßen: "Zu Lebzeiten des heiligen Mannes verlor eine
Dame ihren Ehering, und das erregte die Eifersucht ihres Gemahls. Die


zu Ende gehen, und als sie einmal draußen auf der See in einem Boote
eine Lustfahrt machte, zog sie ihren kostbaren Ring vom Finger und warf
ihn ins Wasser, indem sie zu ihrer Gesellschaft die Worte sprach: „So un-
möglich es ist, daß ich den Ring wiederbekomme, so unmöglich ist es auch,
daß ich einmal arm werde." Aber siehe da, nach ein paar Tagen brachte
ein Fischer einen großen Dorsch in die Schloßküche, und als die Köchin den
ausschnitt, fand sie den Ring in seinen Eingeweiden. Sie zeigte ihn ihrer
Gebieterin, die darüber sehr erschrak. Und sie hatte guten Grund dazu.
Denn nicht lange nachher kam die große Sturmfluth (die Sage meint das
Jahr 162S), welche die ganze Gegend um den Verwellenhof verschlang, und
damit hatte die reiche Frau ihr ganzes Hab und Gut verloren und war so
arm geworden, daß sie betteln ging. Früher in ihren guten Tagen hatte
sie, wenn sie ins heimliche Gemach ging, in ihrem Hochmuth immer eine
Riste Flachs genommen. Eine Magd aber hatte den sich ausgewaschen und
versponnen. Wenn das die reiche Frau gesehen, hatte sie jedesmal „Fu dit
an!" (Pfui dich an!) gesagt und über das Mädchen gespottet. Nun sie aber
selber arm geworden war, kam sie zu ihrer früheren Magd, die jetzt wohl¬
habend war, und bat um Leinwand zu einem Hemde. Sie bekam, was sie
wollte, aber sie mußte auch die Worte hören: „Dar es von arm Fudikan."
Mit weinenden Augen ging die Frau fort. Seit der Zeit aber heißt in der
Propstei aller Abfall vom Flachs Fudikan. (Eine der vielen falschen Volks¬
etymologien bei Worten, deren Sinn allmählich verloren gegangen ist.)

Ganz ähnlich ist die westphälische Sage von der Gräfin zu Nienburg.
die in der Nähe von Bünde wohnte und so ungeheuer reich und stolz war,
daß sie einmal in ihrem Uebermuthe einen Ring vom Finger zog. ihn in
den Schloßgraben warf und sagte: „So wenig als ich den Ring wieder¬
bekomme, so wenig werde ich einmal Noth leiden." Es dauerte aber kaum ein
Paar Stunden, so kam der Koch und brachte ihr den Ring wieder, den er
im Magen eines Karpfen gefunden hatte. Nach Verlauf eines Jahres war
die Gräfin so arm, daß sie sich in einer kleinen Hütte von Hedespinnen er¬
nähren mußte.

Fast genau derselben Erzählung begegnen wir in bayerischen, sächsischen,
thüringischen und dänischen Sagensammlungen. Namentlich aber treffen
Wir die Geschichte vom Ring und vom Fische in England und Schottland
in verschiedenen Gestalten wieder. Das Wappen der Stadt Glasgow, früher
das des dortigen Bisthums, zeigt den Stamm des Baumes des heiligen
Kentigern, gekreuzt von einem Lachs, der einen Ring im Maule trägt.
Joeelyn erzählt in seinem „Leben Sanct Kentigerns" die hieran sich knüpfende
Legende folgendermaßen: „Zu Lebzeiten des heiligen Mannes verlor eine
Dame ihren Ehering, und das erregte die Eifersucht ihres Gemahls. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0489" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137128"/>
          <p xml:id="ID_1517" prev="#ID_1516"> zu Ende gehen, und als sie einmal draußen auf der See in einem Boote<lb/>
eine Lustfahrt machte, zog sie ihren kostbaren Ring vom Finger und warf<lb/>
ihn ins Wasser, indem sie zu ihrer Gesellschaft die Worte sprach: &#x201E;So un-<lb/>
möglich es ist, daß ich den Ring wiederbekomme, so unmöglich ist es auch,<lb/>
daß ich einmal arm werde." Aber siehe da, nach ein paar Tagen brachte<lb/>
ein Fischer einen großen Dorsch in die Schloßküche, und als die Köchin den<lb/>
ausschnitt, fand sie den Ring in seinen Eingeweiden. Sie zeigte ihn ihrer<lb/>
Gebieterin, die darüber sehr erschrak. Und sie hatte guten Grund dazu.<lb/>
Denn nicht lange nachher kam die große Sturmfluth (die Sage meint das<lb/>
Jahr 162S), welche die ganze Gegend um den Verwellenhof verschlang, und<lb/>
damit hatte die reiche Frau ihr ganzes Hab und Gut verloren und war so<lb/>
arm geworden, daß sie betteln ging. Früher in ihren guten Tagen hatte<lb/>
sie, wenn sie ins heimliche Gemach ging, in ihrem Hochmuth immer eine<lb/>
Riste Flachs genommen. Eine Magd aber hatte den sich ausgewaschen und<lb/>
versponnen. Wenn das die reiche Frau gesehen, hatte sie jedesmal &#x201E;Fu dit<lb/>
an!" (Pfui dich an!) gesagt und über das Mädchen gespottet. Nun sie aber<lb/>
selber arm geworden war, kam sie zu ihrer früheren Magd, die jetzt wohl¬<lb/>
habend war, und bat um Leinwand zu einem Hemde. Sie bekam, was sie<lb/>
wollte, aber sie mußte auch die Worte hören: &#x201E;Dar es von arm Fudikan."<lb/>
Mit weinenden Augen ging die Frau fort. Seit der Zeit aber heißt in der<lb/>
Propstei aller Abfall vom Flachs Fudikan. (Eine der vielen falschen Volks¬<lb/>
etymologien bei Worten, deren Sinn allmählich verloren gegangen ist.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1518"> Ganz ähnlich ist die westphälische Sage von der Gräfin zu Nienburg.<lb/>
die in der Nähe von Bünde wohnte und so ungeheuer reich und stolz war,<lb/>
daß sie einmal in ihrem Uebermuthe einen Ring vom Finger zog. ihn in<lb/>
den Schloßgraben warf und sagte: &#x201E;So wenig als ich den Ring wieder¬<lb/>
bekomme, so wenig werde ich einmal Noth leiden." Es dauerte aber kaum ein<lb/>
Paar Stunden, so kam der Koch und brachte ihr den Ring wieder, den er<lb/>
im Magen eines Karpfen gefunden hatte. Nach Verlauf eines Jahres war<lb/>
die Gräfin so arm, daß sie sich in einer kleinen Hütte von Hedespinnen er¬<lb/>
nähren mußte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1519" next="#ID_1520"> Fast genau derselben Erzählung begegnen wir in bayerischen, sächsischen,<lb/>
thüringischen und dänischen Sagensammlungen. Namentlich aber treffen<lb/>
Wir die Geschichte vom Ring und vom Fische in England und Schottland<lb/>
in verschiedenen Gestalten wieder. Das Wappen der Stadt Glasgow, früher<lb/>
das des dortigen Bisthums, zeigt den Stamm des Baumes des heiligen<lb/>
Kentigern, gekreuzt von einem Lachs, der einen Ring im Maule trägt.<lb/>
Joeelyn erzählt in seinem &#x201E;Leben Sanct Kentigerns" die hieran sich knüpfende<lb/>
Legende folgendermaßen: &#x201E;Zu Lebzeiten des heiligen Mannes verlor eine<lb/>
Dame ihren Ehering, und das erregte die Eifersucht ihres Gemahls. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0489] zu Ende gehen, und als sie einmal draußen auf der See in einem Boote eine Lustfahrt machte, zog sie ihren kostbaren Ring vom Finger und warf ihn ins Wasser, indem sie zu ihrer Gesellschaft die Worte sprach: „So un- möglich es ist, daß ich den Ring wiederbekomme, so unmöglich ist es auch, daß ich einmal arm werde." Aber siehe da, nach ein paar Tagen brachte ein Fischer einen großen Dorsch in die Schloßküche, und als die Köchin den ausschnitt, fand sie den Ring in seinen Eingeweiden. Sie zeigte ihn ihrer Gebieterin, die darüber sehr erschrak. Und sie hatte guten Grund dazu. Denn nicht lange nachher kam die große Sturmfluth (die Sage meint das Jahr 162S), welche die ganze Gegend um den Verwellenhof verschlang, und damit hatte die reiche Frau ihr ganzes Hab und Gut verloren und war so arm geworden, daß sie betteln ging. Früher in ihren guten Tagen hatte sie, wenn sie ins heimliche Gemach ging, in ihrem Hochmuth immer eine Riste Flachs genommen. Eine Magd aber hatte den sich ausgewaschen und versponnen. Wenn das die reiche Frau gesehen, hatte sie jedesmal „Fu dit an!" (Pfui dich an!) gesagt und über das Mädchen gespottet. Nun sie aber selber arm geworden war, kam sie zu ihrer früheren Magd, die jetzt wohl¬ habend war, und bat um Leinwand zu einem Hemde. Sie bekam, was sie wollte, aber sie mußte auch die Worte hören: „Dar es von arm Fudikan." Mit weinenden Augen ging die Frau fort. Seit der Zeit aber heißt in der Propstei aller Abfall vom Flachs Fudikan. (Eine der vielen falschen Volks¬ etymologien bei Worten, deren Sinn allmählich verloren gegangen ist.) Ganz ähnlich ist die westphälische Sage von der Gräfin zu Nienburg. die in der Nähe von Bünde wohnte und so ungeheuer reich und stolz war, daß sie einmal in ihrem Uebermuthe einen Ring vom Finger zog. ihn in den Schloßgraben warf und sagte: „So wenig als ich den Ring wieder¬ bekomme, so wenig werde ich einmal Noth leiden." Es dauerte aber kaum ein Paar Stunden, so kam der Koch und brachte ihr den Ring wieder, den er im Magen eines Karpfen gefunden hatte. Nach Verlauf eines Jahres war die Gräfin so arm, daß sie sich in einer kleinen Hütte von Hedespinnen er¬ nähren mußte. Fast genau derselben Erzählung begegnen wir in bayerischen, sächsischen, thüringischen und dänischen Sagensammlungen. Namentlich aber treffen Wir die Geschichte vom Ring und vom Fische in England und Schottland in verschiedenen Gestalten wieder. Das Wappen der Stadt Glasgow, früher das des dortigen Bisthums, zeigt den Stamm des Baumes des heiligen Kentigern, gekreuzt von einem Lachs, der einen Ring im Maule trägt. Joeelyn erzählt in seinem „Leben Sanct Kentigerns" die hieran sich knüpfende Legende folgendermaßen: „Zu Lebzeiten des heiligen Mannes verlor eine Dame ihren Ehering, und das erregte die Eifersucht ihres Gemahls. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/489
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/489>, abgerufen am 20.10.2024.