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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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als er einst ins Bad ging, seinen Ring zurückließ, der dann von einer Jüdin
entwendet und in die See geworfen wurde. Seines wunderwirkenden Amulets
beraubt, sah der König sich außer Stande, so weise Urtheile zu fällen, als
gewöhnlich, und deshalb bestieg er vierzig Tage lang den Richterstuhl nicht.
Zuletzt aber brachte man ihm einen Fisch, in dessen Magen der magische
Ring lag.

Hierher gehören ferner Ur. 492 der Erzählungen in "Tausend und eine
Nacht" und die Legende von Simon dem Bastard in Wuk Stephanowitschs
"serbischen Liedern". Endlich aber ist auch folgender italienischer Sage in
diesem Zusammenhange eine Stelle anzuweisen:

Die Dogen von Venedig mußten dem Herkommen gemäß sich bei ihrem
Amtsantritt dadurch symbolisch mit dem Adrtatischen Meere vermählen, daß
sie einen Ring in die See warfen und dazu die Worte sprachen: "vesvon-
8ÄMU8 t<z, Nars, in siZmim xerpetui äominii". Nachdem dieß Jahrhunderte
lang geschehen, brachte einst nach einer solchen Ceremonie ein Fischer einen
Fisch in die Küche des Dogen, und als man denselben öffnete, hatte er den
Ring im Leibe. Das Meer hatte also diesmal die Verbindung mit dem
Oberhaupte der Stadt und mit dieser selbst gelöst, und man sah das Ereig-
niß als Zeichen an, daß die venetianische Republik ihrem Untergange ent¬
gegengehe, was sich auch in einigen Jahren bestätigte.

Produkte der germanischen Umbildung der Sage sind folgende Er¬
zählungen, die wir aus einer Anzahl anderer als Belege für die zu Anfang
aufgestellte Behauptung auswählen und folgen lassen.

Paul Warnefrid berichtet, daß Arnulf, der im siebenten Jahrhundert
Bischof von Metz war, seinen Fingerring in die Mosel geworfen habe, um
dessen Wiedererlangung als ein göttliches Zeichen zu erbitten, daß ihm seine
Sünden vergeben seien. Das Zeichen aber sei wirklich erfolgt: aus dem
Bauche eines Fisches habe man ihm den Ring wieder gebracht, der seitdem
als ein Heiligthum in der Familie verwahrt werde.

Von der in der Krypta des Kirchenchors zu Zurzach im Aargau be-
grabnen heiligen Verena, welche als Patronin aller Fischer und Schiffer gilt,
wird erzählt: Als in dem Hause, in welchem sie als Magd diente, ein kost¬
barer Ring verloren ging, hieß sie im Rheine fischen, und nicht lange währte
es, so wurde ein großer Lachs gefangen, der, als er zur Küche gebracht und
dort geschlachtet wurde, den vermißten Ring im Leibe hatte.

Weit weg von Zurzach, an der Kieler Föhrde droben, wird von alten
Leuten Folgendes berichtet: Auf der Kolberger Haide an der Küste der
Propstei lag vor Zeiten ein großes Gut, der Verwellenhof. Auf dem wohnte
eine Frau von VerWellen, eine stolze, übermüthige und grausame Herrin, die
allezeit auf ihren Reichthum pochte. Sie meinte, es könnte damit gar nich


als er einst ins Bad ging, seinen Ring zurückließ, der dann von einer Jüdin
entwendet und in die See geworfen wurde. Seines wunderwirkenden Amulets
beraubt, sah der König sich außer Stande, so weise Urtheile zu fällen, als
gewöhnlich, und deshalb bestieg er vierzig Tage lang den Richterstuhl nicht.
Zuletzt aber brachte man ihm einen Fisch, in dessen Magen der magische
Ring lag.

Hierher gehören ferner Ur. 492 der Erzählungen in „Tausend und eine
Nacht" und die Legende von Simon dem Bastard in Wuk Stephanowitschs
„serbischen Liedern". Endlich aber ist auch folgender italienischer Sage in
diesem Zusammenhange eine Stelle anzuweisen:

Die Dogen von Venedig mußten dem Herkommen gemäß sich bei ihrem
Amtsantritt dadurch symbolisch mit dem Adrtatischen Meere vermählen, daß
sie einen Ring in die See warfen und dazu die Worte sprachen: „vesvon-
8ÄMU8 t<z, Nars, in siZmim xerpetui äominii". Nachdem dieß Jahrhunderte
lang geschehen, brachte einst nach einer solchen Ceremonie ein Fischer einen
Fisch in die Küche des Dogen, und als man denselben öffnete, hatte er den
Ring im Leibe. Das Meer hatte also diesmal die Verbindung mit dem
Oberhaupte der Stadt und mit dieser selbst gelöst, und man sah das Ereig-
niß als Zeichen an, daß die venetianische Republik ihrem Untergange ent¬
gegengehe, was sich auch in einigen Jahren bestätigte.

Produkte der germanischen Umbildung der Sage sind folgende Er¬
zählungen, die wir aus einer Anzahl anderer als Belege für die zu Anfang
aufgestellte Behauptung auswählen und folgen lassen.

Paul Warnefrid berichtet, daß Arnulf, der im siebenten Jahrhundert
Bischof von Metz war, seinen Fingerring in die Mosel geworfen habe, um
dessen Wiedererlangung als ein göttliches Zeichen zu erbitten, daß ihm seine
Sünden vergeben seien. Das Zeichen aber sei wirklich erfolgt: aus dem
Bauche eines Fisches habe man ihm den Ring wieder gebracht, der seitdem
als ein Heiligthum in der Familie verwahrt werde.

Von der in der Krypta des Kirchenchors zu Zurzach im Aargau be-
grabnen heiligen Verena, welche als Patronin aller Fischer und Schiffer gilt,
wird erzählt: Als in dem Hause, in welchem sie als Magd diente, ein kost¬
barer Ring verloren ging, hieß sie im Rheine fischen, und nicht lange währte
es, so wurde ein großer Lachs gefangen, der, als er zur Küche gebracht und
dort geschlachtet wurde, den vermißten Ring im Leibe hatte.

Weit weg von Zurzach, an der Kieler Föhrde droben, wird von alten
Leuten Folgendes berichtet: Auf der Kolberger Haide an der Küste der
Propstei lag vor Zeiten ein großes Gut, der Verwellenhof. Auf dem wohnte
eine Frau von VerWellen, eine stolze, übermüthige und grausame Herrin, die
allezeit auf ihren Reichthum pochte. Sie meinte, es könnte damit gar nich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/488>, abgerufen am 27.09.2024.