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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Annehmlichkeit bestehe nur in einer den Ideengang befördernden Neben¬
beschäftigung von Hand und Mund, wie denn Nichtraucher sich entsprechend
mit den Händen zu thun machen (Fingermühle spielen, an etwas schnitzeln?)
müssen, wenn sie aufmerksam zuhören oder nachdenken wollen. Wir wissen
nicht, ob Kant selbst geraucht hat; was er sagt, ist aber gewiß nicht das
Rechte. Eher läßt sich's hören, wenn Pereira sich den Zauber, der im Genuß
einer Pfeife oder Cigarre liegt, damit erklärt, daß der Tabak eine besänftigende,
ruhig stimmende Wirkung auf das Gemüth übe. Nach Maddens Ansicht
wieder wäre das träumerische Vergnügen des Rauchers in der Erzeugung
einer vollkommenen Gedankenlosigkeit zu suchen; denn wenn man jenem die
Frage vorlege, woran er bei seinem stummen Genusse gedacht habe, so werde
er antworten, an nichts. Das wird ohne Zweifel von Manchem gelten, ge¬
wiß aber nicht von Allen und am wenigsten von denen, die bei geistiger
Arbeit rauchen und sich zu rauchen gezwungen fühlen. Viel richtiger scheint,
daß der Reiz des Tabaksgenusses und vorzüglich des Rauchers gerade im
Gegentheil von dem, was Matten sagt, nämlich darin liegt, daß derselbe
schneller denken und reichlicher phantasiren läßt, daß der Tabak also dasselbe
bewirkt, wie der Kaffee, der schwächer, und das Opium, welches stärker in
die Denkmaschine und den Apparat der Phantasie eingreift. Eine einschläfernde
Wirkung des Tabaks haben wir wenigstens niemals bemerkt, man müßte
denn dabei bildlich sprechen und an die Einschläferung von Hunger und
Zahnschmerz denken.

Wenn bei Manchem die erste Cigarre oder Pfeife nicht die schlimmen
Wirkungen hat, wie bei den Meisten, so liegt das wohl daran, daß er sich
schon als Kind im Rauchen von allerhand andern Substanzen, darunter auch
übelschmeckende waren, geübt hat. Wer von uns hätte nicht auf dem Wege
Zur Schule oder in Freistunden sein Heil mit einem glimmenden Stück Aus-
klopftröhrchen versucht? Wir selbst bekennen uns dazu, und es ist uns, als
hätte das Röhrchen geschmeckt, besser wenigstens im Munde als auf dem
Rücken, wenn der Schulmeister uns über solchem Rauchen ertappt hatte.
Andere rauchten Rosenblätter -- es werden empfindsam gestimmte Seelen
gewesen sein. Auch Salbei that es, desgleichen Häckerling. Ein vortreffliches
Tabaksurrogat lieferte Kaffeesatz. Ein Freund rauchte sogar alte Leinwand,
i" einer der beiden Verfasser der "Ilzsgiöne Sss I'umöurs", die vor Kurzem
in dritter Auflage erschien, will selbst Sohlen von abgelegten Stiefeln, mit
einem Federmesser klein geschnitten, in die Pfeife seiner Knabenjahre gestopft
Und genossen haben. Daß er sie schmackhaft und wohlriechend gefunden, sagt
^ nicht, fügt aber hinzu: "Das Kind, welches raucht, ist wilden Gemüthes
und schrickt vor nichts zurück. Aus der Schule würde man, wenn es ginge,
steh sein Calumet mit den vermoderten Gebeinen seines Urgroßvaters füllen."


Grenzboten IV. 1876. 52

Annehmlichkeit bestehe nur in einer den Ideengang befördernden Neben¬
beschäftigung von Hand und Mund, wie denn Nichtraucher sich entsprechend
mit den Händen zu thun machen (Fingermühle spielen, an etwas schnitzeln?)
müssen, wenn sie aufmerksam zuhören oder nachdenken wollen. Wir wissen
nicht, ob Kant selbst geraucht hat; was er sagt, ist aber gewiß nicht das
Rechte. Eher läßt sich's hören, wenn Pereira sich den Zauber, der im Genuß
einer Pfeife oder Cigarre liegt, damit erklärt, daß der Tabak eine besänftigende,
ruhig stimmende Wirkung auf das Gemüth übe. Nach Maddens Ansicht
wieder wäre das träumerische Vergnügen des Rauchers in der Erzeugung
einer vollkommenen Gedankenlosigkeit zu suchen; denn wenn man jenem die
Frage vorlege, woran er bei seinem stummen Genusse gedacht habe, so werde
er antworten, an nichts. Das wird ohne Zweifel von Manchem gelten, ge¬
wiß aber nicht von Allen und am wenigsten von denen, die bei geistiger
Arbeit rauchen und sich zu rauchen gezwungen fühlen. Viel richtiger scheint,
daß der Reiz des Tabaksgenusses und vorzüglich des Rauchers gerade im
Gegentheil von dem, was Matten sagt, nämlich darin liegt, daß derselbe
schneller denken und reichlicher phantasiren läßt, daß der Tabak also dasselbe
bewirkt, wie der Kaffee, der schwächer, und das Opium, welches stärker in
die Denkmaschine und den Apparat der Phantasie eingreift. Eine einschläfernde
Wirkung des Tabaks haben wir wenigstens niemals bemerkt, man müßte
denn dabei bildlich sprechen und an die Einschläferung von Hunger und
Zahnschmerz denken.

Wenn bei Manchem die erste Cigarre oder Pfeife nicht die schlimmen
Wirkungen hat, wie bei den Meisten, so liegt das wohl daran, daß er sich
schon als Kind im Rauchen von allerhand andern Substanzen, darunter auch
übelschmeckende waren, geübt hat. Wer von uns hätte nicht auf dem Wege
Zur Schule oder in Freistunden sein Heil mit einem glimmenden Stück Aus-
klopftröhrchen versucht? Wir selbst bekennen uns dazu, und es ist uns, als
hätte das Röhrchen geschmeckt, besser wenigstens im Munde als auf dem
Rücken, wenn der Schulmeister uns über solchem Rauchen ertappt hatte.
Andere rauchten Rosenblätter — es werden empfindsam gestimmte Seelen
gewesen sein. Auch Salbei that es, desgleichen Häckerling. Ein vortreffliches
Tabaksurrogat lieferte Kaffeesatz. Ein Freund rauchte sogar alte Leinwand,
i« einer der beiden Verfasser der „Ilzsgiöne Sss I'umöurs", die vor Kurzem
in dritter Auflage erschien, will selbst Sohlen von abgelegten Stiefeln, mit
einem Federmesser klein geschnitten, in die Pfeife seiner Knabenjahre gestopft
Und genossen haben. Daß er sie schmackhaft und wohlriechend gefunden, sagt
^ nicht, fügt aber hinzu: „Das Kind, welches raucht, ist wilden Gemüthes
und schrickt vor nichts zurück. Aus der Schule würde man, wenn es ginge,
steh sein Calumet mit den vermoderten Gebeinen seines Urgroßvaters füllen."


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[0413] Annehmlichkeit bestehe nur in einer den Ideengang befördernden Neben¬ beschäftigung von Hand und Mund, wie denn Nichtraucher sich entsprechend mit den Händen zu thun machen (Fingermühle spielen, an etwas schnitzeln?) müssen, wenn sie aufmerksam zuhören oder nachdenken wollen. Wir wissen nicht, ob Kant selbst geraucht hat; was er sagt, ist aber gewiß nicht das Rechte. Eher läßt sich's hören, wenn Pereira sich den Zauber, der im Genuß einer Pfeife oder Cigarre liegt, damit erklärt, daß der Tabak eine besänftigende, ruhig stimmende Wirkung auf das Gemüth übe. Nach Maddens Ansicht wieder wäre das träumerische Vergnügen des Rauchers in der Erzeugung einer vollkommenen Gedankenlosigkeit zu suchen; denn wenn man jenem die Frage vorlege, woran er bei seinem stummen Genusse gedacht habe, so werde er antworten, an nichts. Das wird ohne Zweifel von Manchem gelten, ge¬ wiß aber nicht von Allen und am wenigsten von denen, die bei geistiger Arbeit rauchen und sich zu rauchen gezwungen fühlen. Viel richtiger scheint, daß der Reiz des Tabaksgenusses und vorzüglich des Rauchers gerade im Gegentheil von dem, was Matten sagt, nämlich darin liegt, daß derselbe schneller denken und reichlicher phantasiren läßt, daß der Tabak also dasselbe bewirkt, wie der Kaffee, der schwächer, und das Opium, welches stärker in die Denkmaschine und den Apparat der Phantasie eingreift. Eine einschläfernde Wirkung des Tabaks haben wir wenigstens niemals bemerkt, man müßte denn dabei bildlich sprechen und an die Einschläferung von Hunger und Zahnschmerz denken. Wenn bei Manchem die erste Cigarre oder Pfeife nicht die schlimmen Wirkungen hat, wie bei den Meisten, so liegt das wohl daran, daß er sich schon als Kind im Rauchen von allerhand andern Substanzen, darunter auch übelschmeckende waren, geübt hat. Wer von uns hätte nicht auf dem Wege Zur Schule oder in Freistunden sein Heil mit einem glimmenden Stück Aus- klopftröhrchen versucht? Wir selbst bekennen uns dazu, und es ist uns, als hätte das Röhrchen geschmeckt, besser wenigstens im Munde als auf dem Rücken, wenn der Schulmeister uns über solchem Rauchen ertappt hatte. Andere rauchten Rosenblätter — es werden empfindsam gestimmte Seelen gewesen sein. Auch Salbei that es, desgleichen Häckerling. Ein vortreffliches Tabaksurrogat lieferte Kaffeesatz. Ein Freund rauchte sogar alte Leinwand, i« einer der beiden Verfasser der „Ilzsgiöne Sss I'umöurs", die vor Kurzem in dritter Auflage erschien, will selbst Sohlen von abgelegten Stiefeln, mit einem Federmesser klein geschnitten, in die Pfeife seiner Knabenjahre gestopft Und genossen haben. Daß er sie schmackhaft und wohlriechend gefunden, sagt ^ nicht, fügt aber hinzu: „Das Kind, welches raucht, ist wilden Gemüthes und schrickt vor nichts zurück. Aus der Schule würde man, wenn es ginge, steh sein Calumet mit den vermoderten Gebeinen seines Urgroßvaters füllen." Grenzboten IV. 1876. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/413>, abgerufen am 20.10.2024.