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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Gran und wurde täglich einmal gereicht. Man sollte damit, während Bella¬
donna und ähnliche Arzeneien nichts geholfen hätten, in einer Woche fünfzig
Kranken das Leben gerettet haben. Sir Astley Cooper endlich hat den Tabak
für das wirksamste und erfolgreichste Agens bei der Heilung von Brüchen
erklärt."

Der amerikanische Arzt Stephenson will die Kopfrose dadurch geheilt
haben, daß er die entzündete Stelle so lange mit angefeuchtetem Tabak bedeckt
habe, bis der Kranke Uebelkeit empfunden.

Riant verhält sich kühler. Er sagt:

"Als innerlich angewendetes Mittel ist der Tabak fast ganz aus der
Medicin verbannt. Indeß bleibt ein leichter Abguß von Tabaksblättern die
letzte Zuflucht, wenn es bei eingeklemmten Brüchen die Eingeweide zu reizen
gilt. Ebenso leistet er gute Dienste zur Wiedererweckung der Nerventhätig¬
keit und zur Wiederbelebung des Kranken, der in Gefahr ist, zu ersticken.
Man wendet den Tabak dann in der Form von Dampfbädern oder Lavements
an, es bedarf indeß dabei der äußersten Vorsicht. Endlich betrachtet man
den Tabak als ein Mittel gegen das Asthma, doch haben sich die Kranken
dabei großer Mäßigung zu befleißigen, wenn sie nicht Rückfälle hervorrufen
wollen. Aeußerlich wendet man Abkochungen von Tabaksblättern gegen vege¬
tabilische und animalische Parasiten an." Nicht zu rathen ist, sich seiner
gegen Ausschläge zu bedienen; denn "drei Kinder, die daran litten und
denen man den Kopf mit einem Präparat aus Tabak eingerieben hatte,
starben binnen vierundzwanzig Stunden." Ebenso möchte der obenerwähnte
"Tabakswein" sein Bedenkliches haben, da Riant erzählt, daß der Dichter
Santeuil nach dem Genuß eines Glases Wein, in das man Tabak geworfen,
unter schrecklichen Schmerzen verschieden sei.

Der deutsche Botaniker Hayne endlich spricht sich in seiner "Darstellung
und Beschreibung der in der Arzeneikunde gebräuchlichen Pflanzen" über
Nieots Kraut folgendermaßen aus: "Da die Wirkungen des Tabaks sowohl
in der Abkochung als auch in Extract und in Pulver so heftig sind, na¬
mentlich leicht Schwindel, Betäubung und alle Zeichen einer narkotischen Ver¬
giftung hervorbringen, so wendet man ihn nur selten an, höchstens noch bei
hartnäckigen Verstopfungen und zu Waschwasser (1 Unze Tabak auf 8 Unzen
Wasser) bei Hautausschlägen. Der diätetische Gebrauch des Rauch- und
Schnupftabaks ist dagegen sehr zu empfehlen, namentlich der erstere bei ob-
struirten und an Hämorrhoiden leidenden Personen und der letztere als ablei¬
tendes Mittel bei Augen- und Gehörkrankheiten."

Wie kam der Tabak zu so rascher und allgemeiner Verbreitung als
Genußmittel? Worin besteht die Annehmlichkeit, der Reiz des Rauchers?
Die Antwort hierauf ist so schwer, daß Kant der Meinung gewesen ist, diese


Gran und wurde täglich einmal gereicht. Man sollte damit, während Bella¬
donna und ähnliche Arzeneien nichts geholfen hätten, in einer Woche fünfzig
Kranken das Leben gerettet haben. Sir Astley Cooper endlich hat den Tabak
für das wirksamste und erfolgreichste Agens bei der Heilung von Brüchen
erklärt."

Der amerikanische Arzt Stephenson will die Kopfrose dadurch geheilt
haben, daß er die entzündete Stelle so lange mit angefeuchtetem Tabak bedeckt
habe, bis der Kranke Uebelkeit empfunden.

Riant verhält sich kühler. Er sagt:

„Als innerlich angewendetes Mittel ist der Tabak fast ganz aus der
Medicin verbannt. Indeß bleibt ein leichter Abguß von Tabaksblättern die
letzte Zuflucht, wenn es bei eingeklemmten Brüchen die Eingeweide zu reizen
gilt. Ebenso leistet er gute Dienste zur Wiedererweckung der Nerventhätig¬
keit und zur Wiederbelebung des Kranken, der in Gefahr ist, zu ersticken.
Man wendet den Tabak dann in der Form von Dampfbädern oder Lavements
an, es bedarf indeß dabei der äußersten Vorsicht. Endlich betrachtet man
den Tabak als ein Mittel gegen das Asthma, doch haben sich die Kranken
dabei großer Mäßigung zu befleißigen, wenn sie nicht Rückfälle hervorrufen
wollen. Aeußerlich wendet man Abkochungen von Tabaksblättern gegen vege¬
tabilische und animalische Parasiten an." Nicht zu rathen ist, sich seiner
gegen Ausschläge zu bedienen; denn „drei Kinder, die daran litten und
denen man den Kopf mit einem Präparat aus Tabak eingerieben hatte,
starben binnen vierundzwanzig Stunden." Ebenso möchte der obenerwähnte
„Tabakswein" sein Bedenkliches haben, da Riant erzählt, daß der Dichter
Santeuil nach dem Genuß eines Glases Wein, in das man Tabak geworfen,
unter schrecklichen Schmerzen verschieden sei.

Der deutsche Botaniker Hayne endlich spricht sich in seiner „Darstellung
und Beschreibung der in der Arzeneikunde gebräuchlichen Pflanzen" über
Nieots Kraut folgendermaßen aus: „Da die Wirkungen des Tabaks sowohl
in der Abkochung als auch in Extract und in Pulver so heftig sind, na¬
mentlich leicht Schwindel, Betäubung und alle Zeichen einer narkotischen Ver¬
giftung hervorbringen, so wendet man ihn nur selten an, höchstens noch bei
hartnäckigen Verstopfungen und zu Waschwasser (1 Unze Tabak auf 8 Unzen
Wasser) bei Hautausschlägen. Der diätetische Gebrauch des Rauch- und
Schnupftabaks ist dagegen sehr zu empfehlen, namentlich der erstere bei ob-
struirten und an Hämorrhoiden leidenden Personen und der letztere als ablei¬
tendes Mittel bei Augen- und Gehörkrankheiten."

Wie kam der Tabak zu so rascher und allgemeiner Verbreitung als
Genußmittel? Worin besteht die Annehmlichkeit, der Reiz des Rauchers?
Die Antwort hierauf ist so schwer, daß Kant der Meinung gewesen ist, diese


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[0412] Gran und wurde täglich einmal gereicht. Man sollte damit, während Bella¬ donna und ähnliche Arzeneien nichts geholfen hätten, in einer Woche fünfzig Kranken das Leben gerettet haben. Sir Astley Cooper endlich hat den Tabak für das wirksamste und erfolgreichste Agens bei der Heilung von Brüchen erklärt." Der amerikanische Arzt Stephenson will die Kopfrose dadurch geheilt haben, daß er die entzündete Stelle so lange mit angefeuchtetem Tabak bedeckt habe, bis der Kranke Uebelkeit empfunden. Riant verhält sich kühler. Er sagt: „Als innerlich angewendetes Mittel ist der Tabak fast ganz aus der Medicin verbannt. Indeß bleibt ein leichter Abguß von Tabaksblättern die letzte Zuflucht, wenn es bei eingeklemmten Brüchen die Eingeweide zu reizen gilt. Ebenso leistet er gute Dienste zur Wiedererweckung der Nerventhätig¬ keit und zur Wiederbelebung des Kranken, der in Gefahr ist, zu ersticken. Man wendet den Tabak dann in der Form von Dampfbädern oder Lavements an, es bedarf indeß dabei der äußersten Vorsicht. Endlich betrachtet man den Tabak als ein Mittel gegen das Asthma, doch haben sich die Kranken dabei großer Mäßigung zu befleißigen, wenn sie nicht Rückfälle hervorrufen wollen. Aeußerlich wendet man Abkochungen von Tabaksblättern gegen vege¬ tabilische und animalische Parasiten an." Nicht zu rathen ist, sich seiner gegen Ausschläge zu bedienen; denn „drei Kinder, die daran litten und denen man den Kopf mit einem Präparat aus Tabak eingerieben hatte, starben binnen vierundzwanzig Stunden." Ebenso möchte der obenerwähnte „Tabakswein" sein Bedenkliches haben, da Riant erzählt, daß der Dichter Santeuil nach dem Genuß eines Glases Wein, in das man Tabak geworfen, unter schrecklichen Schmerzen verschieden sei. Der deutsche Botaniker Hayne endlich spricht sich in seiner „Darstellung und Beschreibung der in der Arzeneikunde gebräuchlichen Pflanzen" über Nieots Kraut folgendermaßen aus: „Da die Wirkungen des Tabaks sowohl in der Abkochung als auch in Extract und in Pulver so heftig sind, na¬ mentlich leicht Schwindel, Betäubung und alle Zeichen einer narkotischen Ver¬ giftung hervorbringen, so wendet man ihn nur selten an, höchstens noch bei hartnäckigen Verstopfungen und zu Waschwasser (1 Unze Tabak auf 8 Unzen Wasser) bei Hautausschlägen. Der diätetische Gebrauch des Rauch- und Schnupftabaks ist dagegen sehr zu empfehlen, namentlich der erstere bei ob- struirten und an Hämorrhoiden leidenden Personen und der letztere als ablei¬ tendes Mittel bei Augen- und Gehörkrankheiten." Wie kam der Tabak zu so rascher und allgemeiner Verbreitung als Genußmittel? Worin besteht die Annehmlichkeit, der Reiz des Rauchers? Die Antwort hierauf ist so schwer, daß Kant der Meinung gewesen ist, diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/412>, abgerufen am 20.10.2024.