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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Jurisdiction der Gerichte keineswegs im Widerspruch, indem sie für die her el
eigen Rechtsfragen des öffentlichen Rechtes das Forum bildet. Letzter¬
können nämlich ihrem inneren Wesen nach und bei den dabei mit in Anbe¬
tracht kommenden Zweckmäßigkeitsfragen nicht im civilprocessualischen Ver¬
fahren zum Austrag gebracht werden, dessen Anwendungssphäre lediglich
das Privatrecht ist. welch' letzteres eben vor die eigentlichen Gerichte ressortirt.
Einen solchen Verwaltungsgerichtshof haben wir bereits auch für das Reich,
abgesehen von dem Neichseisenbahnamt, in dem Bundesamt für das Heimaths-
wesen.

Ebenso ungerechtfertigt möchte die weitere Bestimmung des Art. IX er¬
schienen: "Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu." Denn es ist in
der That kein Grund abzusehen, warum man nicht, wie es auch in dem
Entwurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes geschieht*), den Polizeibe¬
hörden die Jurisdiction über geringfügige Uebertretungen zur raschen Erledi¬
gung durch Strafmandate übertragen sollte, zumal da es dem Angeschuldig
ren dabei regelmäßig gestattet ist, es auf richterliche Entscheidung ankommen
zu lassen.

Bedeutungsvoll war dagegen die Schlußbestimmung des Art. IX:
"Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte sind in allen deutschen
Landen gleich wirksam und vollziehbar; ein Reichsgesetz wird das
Nähere bestimmen". Aber auch hier ist nicht blos das Princip selbst von
der norddeutschen Bundesverfassung wie von der Reichsverfassung (Art. 3)
adoptirt, sondern auch die nähere Ausführung desselben bereits in dem nun¬
mehrigen Reichsgesetz vom 21. Juni 1869, betreffend die Gewährung der
Rechtshülfe, gegeben worden.

Dies war der Inhalt der deutschen Grundrechte, wie sie am 27. De¬
cember 1848 als Reichsgesetz verkündet wurden.**) In der späteren Reichs¬
verfassung vom 28. März 1849***) kamen noch fünf kurze Artikel hinzu, so
daß sich die Zahl der ursprünglichen neun auf vierzehn Artikel erhöhte.
Namentlich wurde hinter Art. VI eine Bestimmung über das Beschwerde-
und Petitionsrecht eingeschoben, zu welcher wir nur zu bemerken haben, daß
letzteres, namentlich das Recht der Beschwerde an den Bundesrath und
das Recht zu Petitionen an den Reichstag, auch nach heutigem Verfassungs¬
echt gegeben ist-1-) Außerdem kamen in den Schlußartikeln einige Normen
über die Staats- und Gemeindeverfassung der Einzelstaaten und im Art.
XIII die Bestimmung hinzu, daß den nicht deutsch redenden Volksstämmen






") Vgl. den Entwurf des Gerichtsvcrfassungsgesches §, 3.
") Vgl. das Neichsgcsetzblatt von 1848/4'), Stück 8, S. 49 ff.
NeichsgesctM. Stück 16, S. 191 ff., insbesondere §§. 159 f. 17:!. 184 -- 189.
-
1) Vgl. Reichsverfassung vom 16. April 1871, Art. 23, 77.

Jurisdiction der Gerichte keineswegs im Widerspruch, indem sie für die her el
eigen Rechtsfragen des öffentlichen Rechtes das Forum bildet. Letzter¬
können nämlich ihrem inneren Wesen nach und bei den dabei mit in Anbe¬
tracht kommenden Zweckmäßigkeitsfragen nicht im civilprocessualischen Ver¬
fahren zum Austrag gebracht werden, dessen Anwendungssphäre lediglich
das Privatrecht ist. welch' letzteres eben vor die eigentlichen Gerichte ressortirt.
Einen solchen Verwaltungsgerichtshof haben wir bereits auch für das Reich,
abgesehen von dem Neichseisenbahnamt, in dem Bundesamt für das Heimaths-
wesen.

Ebenso ungerechtfertigt möchte die weitere Bestimmung des Art. IX er¬
schienen: „Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu." Denn es ist in
der That kein Grund abzusehen, warum man nicht, wie es auch in dem
Entwurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes geschieht*), den Polizeibe¬
hörden die Jurisdiction über geringfügige Uebertretungen zur raschen Erledi¬
gung durch Strafmandate übertragen sollte, zumal da es dem Angeschuldig
ren dabei regelmäßig gestattet ist, es auf richterliche Entscheidung ankommen
zu lassen.

Bedeutungsvoll war dagegen die Schlußbestimmung des Art. IX:
„Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte sind in allen deutschen
Landen gleich wirksam und vollziehbar; ein Reichsgesetz wird das
Nähere bestimmen". Aber auch hier ist nicht blos das Princip selbst von
der norddeutschen Bundesverfassung wie von der Reichsverfassung (Art. 3)
adoptirt, sondern auch die nähere Ausführung desselben bereits in dem nun¬
mehrigen Reichsgesetz vom 21. Juni 1869, betreffend die Gewährung der
Rechtshülfe, gegeben worden.

Dies war der Inhalt der deutschen Grundrechte, wie sie am 27. De¬
cember 1848 als Reichsgesetz verkündet wurden.**) In der späteren Reichs¬
verfassung vom 28. März 1849***) kamen noch fünf kurze Artikel hinzu, so
daß sich die Zahl der ursprünglichen neun auf vierzehn Artikel erhöhte.
Namentlich wurde hinter Art. VI eine Bestimmung über das Beschwerde-
und Petitionsrecht eingeschoben, zu welcher wir nur zu bemerken haben, daß
letzteres, namentlich das Recht der Beschwerde an den Bundesrath und
das Recht zu Petitionen an den Reichstag, auch nach heutigem Verfassungs¬
echt gegeben ist-1-) Außerdem kamen in den Schlußartikeln einige Normen
über die Staats- und Gemeindeverfassung der Einzelstaaten und im Art.
XIII die Bestimmung hinzu, daß den nicht deutsch redenden Volksstämmen






") Vgl. den Entwurf des Gerichtsvcrfassungsgesches §, 3.
") Vgl. das Neichsgcsetzblatt von 1848/4'), Stück 8, S. 49 ff.
NeichsgesctM. Stück 16, S. 191 ff., insbesondere §§. 159 f. 17:!. 184 — 189.
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1) Vgl. Reichsverfassung vom 16. April 1871, Art. 23, 77.
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[0470] Jurisdiction der Gerichte keineswegs im Widerspruch, indem sie für die her el eigen Rechtsfragen des öffentlichen Rechtes das Forum bildet. Letzter¬ können nämlich ihrem inneren Wesen nach und bei den dabei mit in Anbe¬ tracht kommenden Zweckmäßigkeitsfragen nicht im civilprocessualischen Ver¬ fahren zum Austrag gebracht werden, dessen Anwendungssphäre lediglich das Privatrecht ist. welch' letzteres eben vor die eigentlichen Gerichte ressortirt. Einen solchen Verwaltungsgerichtshof haben wir bereits auch für das Reich, abgesehen von dem Neichseisenbahnamt, in dem Bundesamt für das Heimaths- wesen. Ebenso ungerechtfertigt möchte die weitere Bestimmung des Art. IX er¬ schienen: „Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu." Denn es ist in der That kein Grund abzusehen, warum man nicht, wie es auch in dem Entwurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes geschieht*), den Polizeibe¬ hörden die Jurisdiction über geringfügige Uebertretungen zur raschen Erledi¬ gung durch Strafmandate übertragen sollte, zumal da es dem Angeschuldig ren dabei regelmäßig gestattet ist, es auf richterliche Entscheidung ankommen zu lassen. Bedeutungsvoll war dagegen die Schlußbestimmung des Art. IX: „Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte sind in allen deutschen Landen gleich wirksam und vollziehbar; ein Reichsgesetz wird das Nähere bestimmen". Aber auch hier ist nicht blos das Princip selbst von der norddeutschen Bundesverfassung wie von der Reichsverfassung (Art. 3) adoptirt, sondern auch die nähere Ausführung desselben bereits in dem nun¬ mehrigen Reichsgesetz vom 21. Juni 1869, betreffend die Gewährung der Rechtshülfe, gegeben worden. Dies war der Inhalt der deutschen Grundrechte, wie sie am 27. De¬ cember 1848 als Reichsgesetz verkündet wurden.**) In der späteren Reichs¬ verfassung vom 28. März 1849***) kamen noch fünf kurze Artikel hinzu, so daß sich die Zahl der ursprünglichen neun auf vierzehn Artikel erhöhte. Namentlich wurde hinter Art. VI eine Bestimmung über das Beschwerde- und Petitionsrecht eingeschoben, zu welcher wir nur zu bemerken haben, daß letzteres, namentlich das Recht der Beschwerde an den Bundesrath und das Recht zu Petitionen an den Reichstag, auch nach heutigem Verfassungs¬ echt gegeben ist-1-) Außerdem kamen in den Schlußartikeln einige Normen über die Staats- und Gemeindeverfassung der Einzelstaaten und im Art. XIII die Bestimmung hinzu, daß den nicht deutsch redenden Volksstämmen ") Vgl. den Entwurf des Gerichtsvcrfassungsgesches §, 3. ") Vgl. das Neichsgcsetzblatt von 1848/4'), Stück 8, S. 49 ff. NeichsgesctM. Stück 16, S. 191 ff., insbesondere §§. 159 f. 17:!. 184 — 189. - 1) Vgl. Reichsverfassung vom 16. April 1871, Art. 23, 77.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/470>, abgerufen am 19.10.2024.