Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und für die Mitglieder der landesherrlichen Familie, sowie für die Glieder
der Fürstlichen Familie "Hohenzollern" ein besonderer Gerichtsstand statuirt
werden.*)

Wenn aber ferner nach Art. IX die Militärgerichtsbarkeit, abgesehen
von den Zeiten des Kriegszustandes, auf die Aburtheilung militärischer Verbrechen
und Vergehen und der Militär-Disciplinarvergehen beschränkt werden sollte,
so besteht für die Gegenwart eine solche Beschränkung allerdings nicht. Doch
sind nach der dermaligen Militärgesetzgebung die Militärpersonen in bürger¬
lichen Rechtsstreittgkeiten bereits den Civilgerichten unterstellt; auch besteht
die Bestimmung, daß die nicht militärischen Verbrechen und Vergehen derselben
nach den allgemeinen Strafgesetzen beurtheilt werden sollen.**) Eine Regelung
der besonderen Militärgerichtsbarkeit durch Reichsgesetz ist aber bereits in
Aussicht genommen***) und bei dieser Angelegenheit wird also auch die Frage,
ob die Militärgerichtsbarkeit blos auf die sogenannten Militärverbrechen und
Vergehen zu beschränken sei oder nicht, ihre Erledigung finden.

Dagegen steht die weitere Bestimmung des Art. IX: "Die bürgerliche
Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch sachkundige,
von den Berufsgenossen freigewählte Richter geübt oder un¬
geübt werden", wenigstens in Ansehung dieses freien Wahlrechts mit dem
an die Spitze unseres Artikels gestellten Princip, daß alle Gerichtsbarkeit vom
Staate ausgehe, im offenbaren Widerspruch. Mit Recht hat daher der Ent¬
wurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes, welcher ebenfalls die Gerichte
für Staatsgerichte erklärt, von einer derartigen Bestimmung abgesehen; wenn
er auch im Uebrigen solche "Berufsgerichte" in den Handelsgerichten statuirt
und auch die Gewerbegerichte beibehält.1') Jedoch sollen die Handelsrichter
aus gutachtlichen Vorschlag des zur Vertretung des Handelsstands berufenen
Organs ernannt werden.11')

Weiter sollte nach Art. IX der Grundrechte die .sog. Verwaltungs¬
rechtspflege beseitigt und die Entscheidung über alle Rechtsverletzungen
den Gerichten überwiesen werden. Hiergegen ist jedoch zu bemerken, daß der
Standpunkt, von welchem aus man damals eine derartige Bestimmung als
eine der freiheitlichen Entwicklung des Rechtsstaats entsprechende ansehen
mochte, heutzutage als von Doctrin und Gesetzgebung so gut wie aufgegeben
erscheint. Die Ausbildung der Administrativjustiz steht mit der Entwickelung
des Verwaltungsrechtes im engsten Zusammenhang; sie steht auch mit der







") Vgl. den Entwurf eines Einführungsgcsetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz K. 5.
") Vgl. das deutsche Militärstrafgesetzbuch v. 20. Juni 1872 §. 3.
""1 Vgl. das Reichs-Militärgesetz v.zur 2, Mai 1874, §. 39, Abs. 1.
5) Vgl. den Entwurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes §. 3, §K, 81 ff.
"
!f) Vgl. §. 86 ilM.

und für die Mitglieder der landesherrlichen Familie, sowie für die Glieder
der Fürstlichen Familie „Hohenzollern" ein besonderer Gerichtsstand statuirt
werden.*)

Wenn aber ferner nach Art. IX die Militärgerichtsbarkeit, abgesehen
von den Zeiten des Kriegszustandes, auf die Aburtheilung militärischer Verbrechen
und Vergehen und der Militär-Disciplinarvergehen beschränkt werden sollte,
so besteht für die Gegenwart eine solche Beschränkung allerdings nicht. Doch
sind nach der dermaligen Militärgesetzgebung die Militärpersonen in bürger¬
lichen Rechtsstreittgkeiten bereits den Civilgerichten unterstellt; auch besteht
die Bestimmung, daß die nicht militärischen Verbrechen und Vergehen derselben
nach den allgemeinen Strafgesetzen beurtheilt werden sollen.**) Eine Regelung
der besonderen Militärgerichtsbarkeit durch Reichsgesetz ist aber bereits in
Aussicht genommen***) und bei dieser Angelegenheit wird also auch die Frage,
ob die Militärgerichtsbarkeit blos auf die sogenannten Militärverbrechen und
Vergehen zu beschränken sei oder nicht, ihre Erledigung finden.

Dagegen steht die weitere Bestimmung des Art. IX: „Die bürgerliche
Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch sachkundige,
von den Berufsgenossen freigewählte Richter geübt oder un¬
geübt werden", wenigstens in Ansehung dieses freien Wahlrechts mit dem
an die Spitze unseres Artikels gestellten Princip, daß alle Gerichtsbarkeit vom
Staate ausgehe, im offenbaren Widerspruch. Mit Recht hat daher der Ent¬
wurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes, welcher ebenfalls die Gerichte
für Staatsgerichte erklärt, von einer derartigen Bestimmung abgesehen; wenn
er auch im Uebrigen solche „Berufsgerichte" in den Handelsgerichten statuirt
und auch die Gewerbegerichte beibehält.1') Jedoch sollen die Handelsrichter
aus gutachtlichen Vorschlag des zur Vertretung des Handelsstands berufenen
Organs ernannt werden.11')

Weiter sollte nach Art. IX der Grundrechte die .sog. Verwaltungs¬
rechtspflege beseitigt und die Entscheidung über alle Rechtsverletzungen
den Gerichten überwiesen werden. Hiergegen ist jedoch zu bemerken, daß der
Standpunkt, von welchem aus man damals eine derartige Bestimmung als
eine der freiheitlichen Entwicklung des Rechtsstaats entsprechende ansehen
mochte, heutzutage als von Doctrin und Gesetzgebung so gut wie aufgegeben
erscheint. Die Ausbildung der Administrativjustiz steht mit der Entwickelung
des Verwaltungsrechtes im engsten Zusammenhang; sie steht auch mit der







") Vgl. den Entwurf eines Einführungsgcsetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz K. 5.
") Vgl. das deutsche Militärstrafgesetzbuch v. 20. Juni 1872 §. 3.
""1 Vgl. das Reichs-Militärgesetz v.zur 2, Mai 1874, §. 39, Abs. 1.
5) Vgl. den Entwurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes §. 3, §K, 81 ff.
"
!f) Vgl. §. 86 ilM.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0469" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136580"/>
          <p xml:id="ID_1220" prev="#ID_1219"> und für die Mitglieder der landesherrlichen Familie, sowie für die Glieder<lb/>
der Fürstlichen Familie &#x201E;Hohenzollern" ein besonderer Gerichtsstand statuirt<lb/>
werden.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1221"> Wenn aber ferner nach Art. IX die Militärgerichtsbarkeit, abgesehen<lb/>
von den Zeiten des Kriegszustandes, auf die Aburtheilung militärischer Verbrechen<lb/>
und Vergehen und der Militär-Disciplinarvergehen beschränkt werden sollte,<lb/>
so besteht für die Gegenwart eine solche Beschränkung allerdings nicht. Doch<lb/>
sind nach der dermaligen Militärgesetzgebung die Militärpersonen in bürger¬<lb/>
lichen Rechtsstreittgkeiten bereits den Civilgerichten unterstellt; auch besteht<lb/>
die Bestimmung, daß die nicht militärischen Verbrechen und Vergehen derselben<lb/>
nach den allgemeinen Strafgesetzen beurtheilt werden sollen.**) Eine Regelung<lb/>
der besonderen Militärgerichtsbarkeit durch Reichsgesetz ist aber bereits in<lb/>
Aussicht genommen***) und bei dieser Angelegenheit wird also auch die Frage,<lb/>
ob die Militärgerichtsbarkeit blos auf die sogenannten Militärverbrechen und<lb/>
Vergehen zu beschränken sei oder nicht, ihre Erledigung finden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1222"> Dagegen steht die weitere Bestimmung des Art. IX: &#x201E;Die bürgerliche<lb/>
Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch sachkundige,<lb/>
von den Berufsgenossen freigewählte Richter geübt oder un¬<lb/>
geübt werden", wenigstens in Ansehung dieses freien Wahlrechts mit dem<lb/>
an die Spitze unseres Artikels gestellten Princip, daß alle Gerichtsbarkeit vom<lb/>
Staate ausgehe, im offenbaren Widerspruch. Mit Recht hat daher der Ent¬<lb/>
wurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes, welcher ebenfalls die Gerichte<lb/>
für Staatsgerichte erklärt, von einer derartigen Bestimmung abgesehen; wenn<lb/>
er auch im Uebrigen solche &#x201E;Berufsgerichte" in den Handelsgerichten statuirt<lb/>
und auch die Gewerbegerichte beibehält.1') Jedoch sollen die Handelsrichter<lb/>
aus gutachtlichen Vorschlag des zur Vertretung des Handelsstands berufenen<lb/>
Organs ernannt werden.11')</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1223" next="#ID_1224"> Weiter sollte nach Art. IX der Grundrechte die .sog. Verwaltungs¬<lb/>
rechtspflege beseitigt und die Entscheidung über alle Rechtsverletzungen<lb/>
den Gerichten überwiesen werden. Hiergegen ist jedoch zu bemerken, daß der<lb/>
Standpunkt, von welchem aus man damals eine derartige Bestimmung als<lb/>
eine der freiheitlichen Entwicklung des Rechtsstaats entsprechende ansehen<lb/>
mochte, heutzutage als von Doctrin und Gesetzgebung so gut wie aufgegeben<lb/>
erscheint. Die Ausbildung der Administrativjustiz steht mit der Entwickelung<lb/>
des Verwaltungsrechtes im engsten Zusammenhang; sie steht auch mit der</p><lb/>
          <note xml:id="FID_55" place="foot"> ") Vgl. den Entwurf eines Einführungsgcsetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz K. 5.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_56" place="foot"> ") Vgl. das deutsche Militärstrafgesetzbuch v. 20. Juni 1872 §. 3.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_57" place="foot"> ""1 Vgl. das Reichs-Militärgesetz v.zur 2, Mai 1874, §. 39, Abs. 1.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_58" place="foot"> 5) Vgl. den Entwurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes §. 3, §K, 81 ff.<lb/>
"</note><lb/>
          <note xml:id="FID_59" place="foot"> !f) Vgl. §. 86 ilM.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0469] und für die Mitglieder der landesherrlichen Familie, sowie für die Glieder der Fürstlichen Familie „Hohenzollern" ein besonderer Gerichtsstand statuirt werden.*) Wenn aber ferner nach Art. IX die Militärgerichtsbarkeit, abgesehen von den Zeiten des Kriegszustandes, auf die Aburtheilung militärischer Verbrechen und Vergehen und der Militär-Disciplinarvergehen beschränkt werden sollte, so besteht für die Gegenwart eine solche Beschränkung allerdings nicht. Doch sind nach der dermaligen Militärgesetzgebung die Militärpersonen in bürger¬ lichen Rechtsstreittgkeiten bereits den Civilgerichten unterstellt; auch besteht die Bestimmung, daß die nicht militärischen Verbrechen und Vergehen derselben nach den allgemeinen Strafgesetzen beurtheilt werden sollen.**) Eine Regelung der besonderen Militärgerichtsbarkeit durch Reichsgesetz ist aber bereits in Aussicht genommen***) und bei dieser Angelegenheit wird also auch die Frage, ob die Militärgerichtsbarkeit blos auf die sogenannten Militärverbrechen und Vergehen zu beschränken sei oder nicht, ihre Erledigung finden. Dagegen steht die weitere Bestimmung des Art. IX: „Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch sachkundige, von den Berufsgenossen freigewählte Richter geübt oder un¬ geübt werden", wenigstens in Ansehung dieses freien Wahlrechts mit dem an die Spitze unseres Artikels gestellten Princip, daß alle Gerichtsbarkeit vom Staate ausgehe, im offenbaren Widerspruch. Mit Recht hat daher der Ent¬ wurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes, welcher ebenfalls die Gerichte für Staatsgerichte erklärt, von einer derartigen Bestimmung abgesehen; wenn er auch im Uebrigen solche „Berufsgerichte" in den Handelsgerichten statuirt und auch die Gewerbegerichte beibehält.1') Jedoch sollen die Handelsrichter aus gutachtlichen Vorschlag des zur Vertretung des Handelsstands berufenen Organs ernannt werden.11') Weiter sollte nach Art. IX der Grundrechte die .sog. Verwaltungs¬ rechtspflege beseitigt und die Entscheidung über alle Rechtsverletzungen den Gerichten überwiesen werden. Hiergegen ist jedoch zu bemerken, daß der Standpunkt, von welchem aus man damals eine derartige Bestimmung als eine der freiheitlichen Entwicklung des Rechtsstaats entsprechende ansehen mochte, heutzutage als von Doctrin und Gesetzgebung so gut wie aufgegeben erscheint. Die Ausbildung der Administrativjustiz steht mit der Entwickelung des Verwaltungsrechtes im engsten Zusammenhang; sie steht auch mit der ") Vgl. den Entwurf eines Einführungsgcsetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz K. 5. ") Vgl. das deutsche Militärstrafgesetzbuch v. 20. Juni 1872 §. 3. ""1 Vgl. das Reichs-Militärgesetz v.zur 2, Mai 1874, §. 39, Abs. 1. 5) Vgl. den Entwurf des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes §. 3, §K, 81 ff. " !f) Vgl. §. 86 ilM.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/469
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/469>, abgerufen am 27.09.2024.