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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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als Stimmung der Furcht, des Entsetzens, des "Gruselns" vor einer Unge¬
heuerlichkeit, welche in unbestimmten Umrissen in den Kreis der eingefriedigten
und aufgehellten diesseitigen Wirklichkeit tritt, erscheinen. In der Vorstellung
des Gespenstes waltet das objektive Bild vor, und es gibt Erzählungen, in
welchen tapfre Männer der fremden Erscheinung gegenüber ganz furchtlos
Rede stehen, wogegen in der Vorstellung des Spukes das subjektive Erschrecken
vor einem vermeintlichen fremden und feindlichen Phänomen die Hauptsache
ist. Daher hat auch der Spuk unter der Mitwirkung der Unsicherheit, des
Grauens der Nacht, seine hundert Ursachen; die Eulen auf dem Speicher, die
Ratten im Keller, die Katzen auf dem Dache, das Rütteln des Windes an
den Fenstern, unverständliche Laute und Lichtspiele, wesenlose Bilder einer
aufregenden Phantasie, Spinnstubengeschichten und sympathetische Erregungen
können ihn ins Leben rufen. Bekanntlich sind die Dörfer und Häuser der
Haiden sehr voll von alten und neuen Spukgeschichten. Wenn wir aber als
eine centrale Quelle des spezifischen Spuks den Instinkt der Mädchennatur
nach ihrer Nachtseite bezeichnen und zwar als einen Trieb, sich wichtig zu
machen, worin die weibliche List mit einem Zug männlicher Kampflust ver¬
flochten ist, und wie er die schlaue triumphirende Jungfrau zum Seitenstück
des Jünglings als Raufbold bildet, so fühlen wir uns verpflichtet, zunächst
erhebliche Belege aus der klassischen Litteratur beizubringen.

Ohne Zweifel gehört die Dame Kobold des Calderon noch dem jugend¬
lichen Alter an. Shakespeare aber mußte sich auch wohl in der Schilderung der
weiblichen Talentes, Spuk zu machen, als Meister bewähren, besonders aber
hat er uns in den lustigen Weibern von Windsor ein reiches Gemälde weib¬
licher Spukereien vorgeführt. Einen tiefen Einblick in den psychologischen
Prozeß weiblicher Spukgeschichten hat uns Goethe bereitet. Wir sehen aus
seiner Dichtung "Die Fischerin" (11. Band), wie ein liebenswürdiges Mädchen
im Unmuth darüber, daß sie von den Männern nicht genug beachtet wird,
auf den Gedanken, einen Spuk zu machen, kommen kann. "Wenn ich nur
was anstellen könnte, was sie recht verdrösse. Wenn ich böses thue, sind sie
freundlich, und wenn ich ihnen die Schüssel hinstoße, so sind sie ganz ge¬
lassen. Wenn ich mich in eine Ecke setze, so sprechen sie unter sich. Man
sagt immer, die Weiber schwatzten viel, und wenn die Männer anfangen, so
hat's gar kein Ende. Ich will mich ins Bett legen und das Feuer aus¬
gehen lassen, da mögen sie sehen, wer ihnen aufwartet. Ja was hilft mir
das! da lassen sie mich wohl auch liegen. Ich wollte lieber, sie zankten und
lärmten, es ist nichts abscheulicher als gleichgültige Mannsleute. Ich bin so
wild, so toll, daß ich gar nicht weiß, was ich anfangen soll. Ich möchte
mir selbst was zu Leide thun. Sie werden mich am Ende noch rasend
machen! Und wenn's gar zu bunt wird, so spring ich ins Wasser. Da


als Stimmung der Furcht, des Entsetzens, des „Gruselns" vor einer Unge¬
heuerlichkeit, welche in unbestimmten Umrissen in den Kreis der eingefriedigten
und aufgehellten diesseitigen Wirklichkeit tritt, erscheinen. In der Vorstellung
des Gespenstes waltet das objektive Bild vor, und es gibt Erzählungen, in
welchen tapfre Männer der fremden Erscheinung gegenüber ganz furchtlos
Rede stehen, wogegen in der Vorstellung des Spukes das subjektive Erschrecken
vor einem vermeintlichen fremden und feindlichen Phänomen die Hauptsache
ist. Daher hat auch der Spuk unter der Mitwirkung der Unsicherheit, des
Grauens der Nacht, seine hundert Ursachen; die Eulen auf dem Speicher, die
Ratten im Keller, die Katzen auf dem Dache, das Rütteln des Windes an
den Fenstern, unverständliche Laute und Lichtspiele, wesenlose Bilder einer
aufregenden Phantasie, Spinnstubengeschichten und sympathetische Erregungen
können ihn ins Leben rufen. Bekanntlich sind die Dörfer und Häuser der
Haiden sehr voll von alten und neuen Spukgeschichten. Wenn wir aber als
eine centrale Quelle des spezifischen Spuks den Instinkt der Mädchennatur
nach ihrer Nachtseite bezeichnen und zwar als einen Trieb, sich wichtig zu
machen, worin die weibliche List mit einem Zug männlicher Kampflust ver¬
flochten ist, und wie er die schlaue triumphirende Jungfrau zum Seitenstück
des Jünglings als Raufbold bildet, so fühlen wir uns verpflichtet, zunächst
erhebliche Belege aus der klassischen Litteratur beizubringen.

Ohne Zweifel gehört die Dame Kobold des Calderon noch dem jugend¬
lichen Alter an. Shakespeare aber mußte sich auch wohl in der Schilderung der
weiblichen Talentes, Spuk zu machen, als Meister bewähren, besonders aber
hat er uns in den lustigen Weibern von Windsor ein reiches Gemälde weib¬
licher Spukereien vorgeführt. Einen tiefen Einblick in den psychologischen
Prozeß weiblicher Spukgeschichten hat uns Goethe bereitet. Wir sehen aus
seiner Dichtung „Die Fischerin" (11. Band), wie ein liebenswürdiges Mädchen
im Unmuth darüber, daß sie von den Männern nicht genug beachtet wird,
auf den Gedanken, einen Spuk zu machen, kommen kann. „Wenn ich nur
was anstellen könnte, was sie recht verdrösse. Wenn ich böses thue, sind sie
freundlich, und wenn ich ihnen die Schüssel hinstoße, so sind sie ganz ge¬
lassen. Wenn ich mich in eine Ecke setze, so sprechen sie unter sich. Man
sagt immer, die Weiber schwatzten viel, und wenn die Männer anfangen, so
hat's gar kein Ende. Ich will mich ins Bett legen und das Feuer aus¬
gehen lassen, da mögen sie sehen, wer ihnen aufwartet. Ja was hilft mir
das! da lassen sie mich wohl auch liegen. Ich wollte lieber, sie zankten und
lärmten, es ist nichts abscheulicher als gleichgültige Mannsleute. Ich bin so
wild, so toll, daß ich gar nicht weiß, was ich anfangen soll. Ich möchte
mir selbst was zu Leide thun. Sie werden mich am Ende noch rasend
machen! Und wenn's gar zu bunt wird, so spring ich ins Wasser. Da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/31>, abgerufen am 19.10.2024.