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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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mögen sie zusehen, wie sie ein Dortchen wieder kriegen." Hierauf macht
Dortchen eine Veranstaltung, welche ihren Vater und ihren Bräutigam glauben
macht, sie sei ins Wasser gefallen, um sie einmal recht in Schrecken zu setzen.
Sie will sich also durch eine schreckhafte Neckerei wichtig machen. Dieß
veranlaßt uns zu fragen: was bedeutet das Wort: Spuk? die Ableitung
desselben scheint unsicher zu sein; jedenfalls scheint die Ableitung von spähen
oder sehen zweifelhaft, zumal der Spuk öfter gehört als gesehen wird, wes¬
halb der Holländer sagt Geraas. Interessant ist die Verwandschaft der
dänischen Formen: Spögelse, Gespenst und spög Scherz oder Spuck. Der
englische Puck wird mit Kobold übersetzt, und der Kobold ist ein neckischer
Berggeist, sogar nach dem Griechischen ein Possenreißer. Auch in der fran¬
zösischen Sprache finden sich die Begriffe Gespenst und Schabernack mehr
bei einander. Der Lateiner behandelt die Sache mit ernstlichem Aberglauben.
Die Lemuren sind abgeschiedene Menschen, die im guten Sinne als Laren im
Hause walten, im Übeln Sinne als Larvae oder als Nachtstteger, als Ge¬
spenster die Häuser unheimlich machen, weshalb man, um die Häuser von
ihnen zu befreien, das Fest der Lemuria feierte.

Dortchen hat uns belehrt, daß der Spuk als schreckender Neckgeist be¬
sonders durch die unter dem Trieb der Wichttgthuerei spielende Mädchenlaune
hervorgeht. So haben wir auch wohl Erzählungen gehört von Spuk¬
geschichten, durch welche spielende Mädchen Schrecken und mitunter Unheil
stifteten. Daher entsteht denn auch in religiös erregten Kreisen vielfach der
religiöse Mädchenspuk; auch in der protestantischen Welt. In einem großen
Theil der Württembergischen Geister- und Gespenster-Geschichten spielen religiös
aufgeregte Mädchen eine Rolle. Sie wollen Schritt halten mit homogenen
Jünglingen, welche sich auf den Zauber der Phrase legen. Vielfach hängen
dabei in seltsamer Weise die wunderlichsten Anstiftungen mit traumartigen
oder unbewußten somnambulen Stimmungen zusammen. Da werden z. B.
die Schwänze der Kühe in einem Stalle ineinander gewickelt, da findet sich
in einer Ecke des Hauses ein Feuer angelegt, wie wenn es ein Traum von
Brandstiftung wäre, da dröhnt in der Mitternacht ein Haus von Krachen
und donnerartigem Schlägen. In dem sehr interessanten Werke von Perty
"Mystische Erscheinungen" finden sich zahlreiche Beispiele, welche in diese
Rubrik gehören. Nun kommen unter der Ueberschrift Spukerei (S. 424)
mehrfache Beispiele vor, welche Hieher gehören. Hier ist die Rede von einer
Scina, einer Susette, einem Kindermädchen, einem Mädchen von Orlach und
anderen. Perty nimmt an, dergleichen Geschichten hingen einestheils mit der
unzweifelhaften Fernwirkung Lebender zusammen, verliefen aber andererseits
in ein Gebiet, in welchem man fast noch andere Kräfte als die der Lebenden
anzunehmen sich bewogen fühlen könnte, was über den reinen Spuk oder


mögen sie zusehen, wie sie ein Dortchen wieder kriegen." Hierauf macht
Dortchen eine Veranstaltung, welche ihren Vater und ihren Bräutigam glauben
macht, sie sei ins Wasser gefallen, um sie einmal recht in Schrecken zu setzen.
Sie will sich also durch eine schreckhafte Neckerei wichtig machen. Dieß
veranlaßt uns zu fragen: was bedeutet das Wort: Spuk? die Ableitung
desselben scheint unsicher zu sein; jedenfalls scheint die Ableitung von spähen
oder sehen zweifelhaft, zumal der Spuk öfter gehört als gesehen wird, wes¬
halb der Holländer sagt Geraas. Interessant ist die Verwandschaft der
dänischen Formen: Spögelse, Gespenst und spög Scherz oder Spuck. Der
englische Puck wird mit Kobold übersetzt, und der Kobold ist ein neckischer
Berggeist, sogar nach dem Griechischen ein Possenreißer. Auch in der fran¬
zösischen Sprache finden sich die Begriffe Gespenst und Schabernack mehr
bei einander. Der Lateiner behandelt die Sache mit ernstlichem Aberglauben.
Die Lemuren sind abgeschiedene Menschen, die im guten Sinne als Laren im
Hause walten, im Übeln Sinne als Larvae oder als Nachtstteger, als Ge¬
spenster die Häuser unheimlich machen, weshalb man, um die Häuser von
ihnen zu befreien, das Fest der Lemuria feierte.

Dortchen hat uns belehrt, daß der Spuk als schreckender Neckgeist be¬
sonders durch die unter dem Trieb der Wichttgthuerei spielende Mädchenlaune
hervorgeht. So haben wir auch wohl Erzählungen gehört von Spuk¬
geschichten, durch welche spielende Mädchen Schrecken und mitunter Unheil
stifteten. Daher entsteht denn auch in religiös erregten Kreisen vielfach der
religiöse Mädchenspuk; auch in der protestantischen Welt. In einem großen
Theil der Württembergischen Geister- und Gespenster-Geschichten spielen religiös
aufgeregte Mädchen eine Rolle. Sie wollen Schritt halten mit homogenen
Jünglingen, welche sich auf den Zauber der Phrase legen. Vielfach hängen
dabei in seltsamer Weise die wunderlichsten Anstiftungen mit traumartigen
oder unbewußten somnambulen Stimmungen zusammen. Da werden z. B.
die Schwänze der Kühe in einem Stalle ineinander gewickelt, da findet sich
in einer Ecke des Hauses ein Feuer angelegt, wie wenn es ein Traum von
Brandstiftung wäre, da dröhnt in der Mitternacht ein Haus von Krachen
und donnerartigem Schlägen. In dem sehr interessanten Werke von Perty
„Mystische Erscheinungen" finden sich zahlreiche Beispiele, welche in diese
Rubrik gehören. Nun kommen unter der Ueberschrift Spukerei (S. 424)
mehrfache Beispiele vor, welche Hieher gehören. Hier ist die Rede von einer
Scina, einer Susette, einem Kindermädchen, einem Mädchen von Orlach und
anderen. Perty nimmt an, dergleichen Geschichten hingen einestheils mit der
unzweifelhaften Fernwirkung Lebender zusammen, verliefen aber andererseits
in ein Gebiet, in welchem man fast noch andere Kräfte als die der Lebenden
anzunehmen sich bewogen fühlen könnte, was über den reinen Spuk oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/32>, abgerufen am 27.09.2024.