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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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dar: das sinnige und sinnreiche fromme Lied, ein schönes Märchen in der
Wirklichkeit selbst, der Märchenwelt zugewandt; die fürsorgliche Gehülfin der
Mutter, geborne Gouvernante der kleinen Geschwister; die Heldenjungfrau,
mit religiösen Opfern, sittlichen Thaten, selbst politischen Heroismen hervor¬
tretend; die treue Gattin und Mutter, des Hauses Seele und Zierde, die
Wohlthäterin ihres Kreises; endlich die greise Matrone, nach der Verfeine¬
rung ihres sittlichen Urtheils, ihrer ahnungsvollen Umsicht und liebenden
Fürsorge und mit ihren goldenen Sprüchen der Weisheit eine wahre Ahn¬
frau, Parallel mit diesen Stufen weiblicher Lebensentwicklung nach der
Lichtseite hin gehen die Stufen der Nachtseite, doch so, daß beide Linien
nur begrifflich streng geschieden sind, während sie in der Wirklichkeit mannig¬
fach in einander übergehen und mitunter sich selbst durchschneiden und durch-
kreuzen. Nach der sittlichen Consequenz aber erscheint auf dieser Seite die
lüsterne Zierpuppe, der wilde jungenhafte Backfisch, angelegt und aufgelegt
zur Anstifterin, weiterhin aber das gereifte, Spuk stiftende Mädchen,
die spezifisch böse Frau und endlich die alte fanatische Frömmlerin, oder
Kupplerin und Hexe, versteht sich, im modernen Sinne des Wortes.

Ganz eigenthümlich ist das Wesen der spezifisch bösen Frau. Es ist die
Hausfrau, die ein dunkles Gefühl davon hat, daß sie nach ihren geistigen
Mitteln mit ihrem Gatten nicht Schritt halten kann, und dabei nicht Demuth
genug hat. den Weg des leidenden Weibes, einer Griseldis, einer unüber¬
windlich gelassenen Seele, wie die Dichterin Annette von Droste-Hülshof
eine solche geschildert hat, getrost einzuschlagen, und dadurch ein Gleichgewicht
mit dem Manne bis zum Uebergewicht selbst zu erzielen. Ist sie dazu nicht
selbstverläugnend genug, so treibt sie das Bedürfniß, die Rolle der Eben¬
bürtigkeit zu behaupten, fast instinktartig nach der entgegengesetzten Seite.
Sie sucht sich die ihre Seele befriedigende Gewichtigkeit dem Manne gegenüber
durch Quertreibereien. Aergerlichkeiten, Hausteufeleien zu verschaffen. Und so
wird sie neben einem Sokrates zur Xantippe, weiter zur Livia Drusilla, zur
Brunhilde, zur Frau Haydn, und wie das ganze Register von Unholden
weiter heißen möchte. Es bestand auch eine Sage, nach welcher der Theologe
Lampe das furchtbare Lied an eine verstockte Seele auf seine Frau sollte ge¬
dichtet haben, diese Sage ist aber später von Solchen, welche mit der betreffenden
Familiengeschichte vertraut waren, als eine unwahre Aussage bezeichnet worden.

Nun aber das Spuk stiftende Mädchen, ist dieß nicht eine unhaltbare
Hypothese? Verständigen wir uns zuvörderst über das Wesen oder Unwesen
des Spuks. Der Begriff des Gespenstes setzt die Vorstellung einer Geister-
erscheinung oder doch des unheimlichen Hereinspielens einer jenseitigen Macht
in die diesseitige Wirklichkeit voraus ; der Begriff des Spuks aber läßt die
Ahnung des Kundwerdens einer jenseitigen dämonischen Macht vorwaltend


dar: das sinnige und sinnreiche fromme Lied, ein schönes Märchen in der
Wirklichkeit selbst, der Märchenwelt zugewandt; die fürsorgliche Gehülfin der
Mutter, geborne Gouvernante der kleinen Geschwister; die Heldenjungfrau,
mit religiösen Opfern, sittlichen Thaten, selbst politischen Heroismen hervor¬
tretend; die treue Gattin und Mutter, des Hauses Seele und Zierde, die
Wohlthäterin ihres Kreises; endlich die greise Matrone, nach der Verfeine¬
rung ihres sittlichen Urtheils, ihrer ahnungsvollen Umsicht und liebenden
Fürsorge und mit ihren goldenen Sprüchen der Weisheit eine wahre Ahn¬
frau, Parallel mit diesen Stufen weiblicher Lebensentwicklung nach der
Lichtseite hin gehen die Stufen der Nachtseite, doch so, daß beide Linien
nur begrifflich streng geschieden sind, während sie in der Wirklichkeit mannig¬
fach in einander übergehen und mitunter sich selbst durchschneiden und durch-
kreuzen. Nach der sittlichen Consequenz aber erscheint auf dieser Seite die
lüsterne Zierpuppe, der wilde jungenhafte Backfisch, angelegt und aufgelegt
zur Anstifterin, weiterhin aber das gereifte, Spuk stiftende Mädchen,
die spezifisch böse Frau und endlich die alte fanatische Frömmlerin, oder
Kupplerin und Hexe, versteht sich, im modernen Sinne des Wortes.

Ganz eigenthümlich ist das Wesen der spezifisch bösen Frau. Es ist die
Hausfrau, die ein dunkles Gefühl davon hat, daß sie nach ihren geistigen
Mitteln mit ihrem Gatten nicht Schritt halten kann, und dabei nicht Demuth
genug hat. den Weg des leidenden Weibes, einer Griseldis, einer unüber¬
windlich gelassenen Seele, wie die Dichterin Annette von Droste-Hülshof
eine solche geschildert hat, getrost einzuschlagen, und dadurch ein Gleichgewicht
mit dem Manne bis zum Uebergewicht selbst zu erzielen. Ist sie dazu nicht
selbstverläugnend genug, so treibt sie das Bedürfniß, die Rolle der Eben¬
bürtigkeit zu behaupten, fast instinktartig nach der entgegengesetzten Seite.
Sie sucht sich die ihre Seele befriedigende Gewichtigkeit dem Manne gegenüber
durch Quertreibereien. Aergerlichkeiten, Hausteufeleien zu verschaffen. Und so
wird sie neben einem Sokrates zur Xantippe, weiter zur Livia Drusilla, zur
Brunhilde, zur Frau Haydn, und wie das ganze Register von Unholden
weiter heißen möchte. Es bestand auch eine Sage, nach welcher der Theologe
Lampe das furchtbare Lied an eine verstockte Seele auf seine Frau sollte ge¬
dichtet haben, diese Sage ist aber später von Solchen, welche mit der betreffenden
Familiengeschichte vertraut waren, als eine unwahre Aussage bezeichnet worden.

Nun aber das Spuk stiftende Mädchen, ist dieß nicht eine unhaltbare
Hypothese? Verständigen wir uns zuvörderst über das Wesen oder Unwesen
des Spuks. Der Begriff des Gespenstes setzt die Vorstellung einer Geister-
erscheinung oder doch des unheimlichen Hereinspielens einer jenseitigen Macht
in die diesseitige Wirklichkeit voraus ; der Begriff des Spuks aber läßt die
Ahnung des Kundwerdens einer jenseitigen dämonischen Macht vorwaltend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/30>, abgerufen am 19.10.2024.