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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Art, daß der junge Latas -- so hieß er bis dahin -- den Militärdienst auf¬
gab und nach der Türkei ging, wo er zum Islam übertrat, und seine Talente
ihn im Heere rasch von Stufe zu Stufe emporsteigen ließen, bis er 1848
die Würde eines Muschir (Marschall) erreicht hatte und als Seraskier von
Rumelien Oberbefehlshaber sämmtlicher Truppen in der europäischen Türkei
war. Er stand im kräftigsten Mannesalter, besaß gute militärische Kennt¬
nisse, sprach und schrieb außer seiner Muttersprache Deutsch, Türkisch, Fran¬
zösisch und Russisch und hatte auch Kenntnisse in der abendländischen Literatur.
Er besaß ferner nur eine Frau, die Tochter eines deutschen Protestanten in
Bukarescht, und lebte in seinem Hause nicht wie die Türken, sondern wie seine
wohlhabenderen serbischen Landsleute -- lauter Dinge, die ihn den orthodoxen
Türken nicht als einen der Ihrigen und ketzerischer Ansichten verdächtig
erscheinen ließen.

Selbstverständlich nahm es daher die conservative Partei unter den
Türken nicht gut auf, daß der Divan ihn nach Bosnien sandte. Ein Halb¬
türke sollte echte Muslime zu Paaren treiben -- das war beinahe ein Greuel.
Der Halbtürke war ein energischer und geschickter Soldat, und er mußte über
kurz oder lang siegen -- das war eine Gefahr. Die Bosnier dachten ebenso,
sie erhoben sich fast allenthalben, jetzt nicht sowohl gegen ihre unmittelbaren
Gewalthaber, den Wesir und die Paschas, als gegen den halb ungläubigen
Divan selbst. Ihr Feldgeschrei war: "Der Islam ist in Gefahr! Auf. um
ihn zu vertheidigen!" "Wenn der Padischa und sein Divan Dschauri ge¬
worden sind," sagte ein böhmischer Muslim in dieser Zeit zu einem Reisenden,
"so ziemt es uns, den Islam gegen ihre Angriffe zu beschützen; und selig
wird, wer für seinen "Din" (Glauben) stirbt", und es ist möglich, daß dies
hier aufrichtig gemeint war, aber wahrscheinlich, daß die Mehrzahl der Auf¬
ständischen viel weniger an den Islam, als an die Erhaltung ihrer Privi¬
legien und an die stärkere Bedrohung derselben durch Omer Paschas Talent
und Gesinnung dachten, als die Jnsurrection jetzt allgemeiner wurde. Die
Hodschas und die Derwische fanatisirten indeß, wie immer bei solchen Gelegen¬
heiten die Massen, und diese fochten dann mit Muth und Ausdauer für den
Propheten und sein Gebot. Die Bewegung hatte auch jetzt noch kein Haupt,
das sichtbar in der ganzen Provinz den Kampf leitete, aber es zeigte sich nun¬
mehr, daß sie auf einem bestimmten Plane beruhte, und daß dabei Ziele ver¬
folgt wurden, die über eine bloße Sicherstellung der Gerechtsame des böh¬
mischen Adels hinausgingen. Alt Keditsch leitete zwar die Jnsurrection in
der Krajna und machte hierdurch viel von sich reden, aber niemand, der ihn
kannte, traute ihm den weiten Blick und die Klugheit zu, einen großen Plan ent¬
worfen zu haben. Wer aber war der unsichtbare oberste Führer? Gegen das
Ende des Jahres 1860 wurden die nach dieser Richtung gehenden Muth-


Art, daß der junge Latas — so hieß er bis dahin — den Militärdienst auf¬
gab und nach der Türkei ging, wo er zum Islam übertrat, und seine Talente
ihn im Heere rasch von Stufe zu Stufe emporsteigen ließen, bis er 1848
die Würde eines Muschir (Marschall) erreicht hatte und als Seraskier von
Rumelien Oberbefehlshaber sämmtlicher Truppen in der europäischen Türkei
war. Er stand im kräftigsten Mannesalter, besaß gute militärische Kennt¬
nisse, sprach und schrieb außer seiner Muttersprache Deutsch, Türkisch, Fran¬
zösisch und Russisch und hatte auch Kenntnisse in der abendländischen Literatur.
Er besaß ferner nur eine Frau, die Tochter eines deutschen Protestanten in
Bukarescht, und lebte in seinem Hause nicht wie die Türken, sondern wie seine
wohlhabenderen serbischen Landsleute — lauter Dinge, die ihn den orthodoxen
Türken nicht als einen der Ihrigen und ketzerischer Ansichten verdächtig
erscheinen ließen.

Selbstverständlich nahm es daher die conservative Partei unter den
Türken nicht gut auf, daß der Divan ihn nach Bosnien sandte. Ein Halb¬
türke sollte echte Muslime zu Paaren treiben — das war beinahe ein Greuel.
Der Halbtürke war ein energischer und geschickter Soldat, und er mußte über
kurz oder lang siegen — das war eine Gefahr. Die Bosnier dachten ebenso,
sie erhoben sich fast allenthalben, jetzt nicht sowohl gegen ihre unmittelbaren
Gewalthaber, den Wesir und die Paschas, als gegen den halb ungläubigen
Divan selbst. Ihr Feldgeschrei war: „Der Islam ist in Gefahr! Auf. um
ihn zu vertheidigen!" „Wenn der Padischa und sein Divan Dschauri ge¬
worden sind," sagte ein böhmischer Muslim in dieser Zeit zu einem Reisenden,
„so ziemt es uns, den Islam gegen ihre Angriffe zu beschützen; und selig
wird, wer für seinen „Din" (Glauben) stirbt", und es ist möglich, daß dies
hier aufrichtig gemeint war, aber wahrscheinlich, daß die Mehrzahl der Auf¬
ständischen viel weniger an den Islam, als an die Erhaltung ihrer Privi¬
legien und an die stärkere Bedrohung derselben durch Omer Paschas Talent
und Gesinnung dachten, als die Jnsurrection jetzt allgemeiner wurde. Die
Hodschas und die Derwische fanatisirten indeß, wie immer bei solchen Gelegen¬
heiten die Massen, und diese fochten dann mit Muth und Ausdauer für den
Propheten und sein Gebot. Die Bewegung hatte auch jetzt noch kein Haupt,
das sichtbar in der ganzen Provinz den Kampf leitete, aber es zeigte sich nun¬
mehr, daß sie auf einem bestimmten Plane beruhte, und daß dabei Ziele ver¬
folgt wurden, die über eine bloße Sicherstellung der Gerechtsame des böh¬
mischen Adels hinausgingen. Alt Keditsch leitete zwar die Jnsurrection in
der Krajna und machte hierdurch viel von sich reden, aber niemand, der ihn
kannte, traute ihm den weiten Blick und die Klugheit zu, einen großen Plan ent¬
worfen zu haben. Wer aber war der unsichtbare oberste Führer? Gegen das
Ende des Jahres 1860 wurden die nach dieser Richtung gehenden Muth-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/108>, abgerufen am 20.10.2024.