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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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maßungen zur Gewißheit, indem man an verschiedenen gründlichen Combi¬
nationen erkannte, daß die Fäden des Aufstandes sich in den Händen
Ali Paschas, einer der obersten Beamten der Pforte in der Herzegowina, be¬
fanden.

Ali Pascha von Stolatsch, ein kluger, alter Herr von ungewöhnlicher Um¬
sicht, Erfahrung und Thatkraft, war zu der Ueberzeugung gelangt, daß weder
der Koran und die heilige Fahne des Propheten, noch die vom Abendland
empfohlenen und vom Divan angenommenen Reformen den Zerfall des
Osmanenreichs auf die Dauer zu verhüten vermöchten. Er sah an seinen
Landsleuten in Serbien, daß man mit Entschiedenheit und Ausdauer der
Pforte Alles abtrotzen könne. Als daher die alttürkische Partei im ganzen
Reiche sich der böhmischen Muslime annahm, wußte er die Umstände zu be¬
nutzen und sich rasch sehr wesentlichen Einfluß bei den Aufständischen zu ver¬
schaffen. Er trat dabei zunächst nicht offen auf deren Seite und verrieth auch
sonst seine Absichten nicht. Er erhielt in seinem Paschalik die Ruhe aufrecht
und bot sogar dem Divan militärische Hülfe und Unterstützung mit Geldmitteln
an, wodurch er sich in Stambul so großes Vertrauen erwarb, daß er nach der Er¬
nennung Hafis Paschas, des bisherigen Wesirs der Herzegowina, auf dessen
Posten berufen wurde. In dieser Stellung spielte er seine Rolle mit Meister¬
schaft. Bekannt als ein toleranter Mann, sicherte er sich einerseits einen be¬
deutenden Einfluß auf die hier sehr zahlreiche Raja, was noch keinem türkischen
Machthaber gelungen war, andrerseits aber erfreute er sich auch des Vertrauens
der Alttürken und ihrer Schützlinge in Bosnien. Ali Keditsch, der Kadi
Kapitsch und Mehemed Pascha von Tusla, die Führer der Aufständischen in
der Krajna und Pohawina, waren als Werkzeuge zur Anbahnung seiner Pläne
sehr wohl zu brauchen, aber sie wurden, wie es scheint, lange Zeit von ihm
nur benutzt, ohne daß ihnen mitgetheilt wurde oder sie selbst dahinter kamen,
daß Ali Stoltschewitsch wichtigere Zwecke verfolge als die, welche er ihnen
merken ließ. Ali Pascha hatte in Betreff dieser Zwecke damals nur einen
Vertrauten, seinen Sohn Nafiz Pascha. Aber dessen später entdeckte Corre-
spondenz verbreitete ziemlich Helles Licht über die Absichten Ali's. Sie be¬
standen in nichts Geringerem als in der Gestaltung Bosniens und der
Herzegowina zu einem von der Pforte unabhängigen Reiche unter der Herr¬
schaft der Alttürken. Ob dabei auch an gewisse Zugeständnisse für die christ¬
liche Bevölkerung gedacht wurde, erhellt aus den über diese Pläne vorliegen¬
den Berichten nicht. War dieß nicht der Fall, so war das ganze Gebäude
der Gedanken Alt's auf die Dauer unhaltbar. Darin aber hatte er in seinen
Berechnungen Recht, daß die Pforte nicht im Stande war, immer neue Armeen
in die böhmischen Thäler zu schicken, und daß sie ebenso wenig die nöthigen
Geldmittel besaß, um einen Krieg, der bei der gebirgigen Natur Bosniens


maßungen zur Gewißheit, indem man an verschiedenen gründlichen Combi¬
nationen erkannte, daß die Fäden des Aufstandes sich in den Händen
Ali Paschas, einer der obersten Beamten der Pforte in der Herzegowina, be¬
fanden.

Ali Pascha von Stolatsch, ein kluger, alter Herr von ungewöhnlicher Um¬
sicht, Erfahrung und Thatkraft, war zu der Ueberzeugung gelangt, daß weder
der Koran und die heilige Fahne des Propheten, noch die vom Abendland
empfohlenen und vom Divan angenommenen Reformen den Zerfall des
Osmanenreichs auf die Dauer zu verhüten vermöchten. Er sah an seinen
Landsleuten in Serbien, daß man mit Entschiedenheit und Ausdauer der
Pforte Alles abtrotzen könne. Als daher die alttürkische Partei im ganzen
Reiche sich der böhmischen Muslime annahm, wußte er die Umstände zu be¬
nutzen und sich rasch sehr wesentlichen Einfluß bei den Aufständischen zu ver¬
schaffen. Er trat dabei zunächst nicht offen auf deren Seite und verrieth auch
sonst seine Absichten nicht. Er erhielt in seinem Paschalik die Ruhe aufrecht
und bot sogar dem Divan militärische Hülfe und Unterstützung mit Geldmitteln
an, wodurch er sich in Stambul so großes Vertrauen erwarb, daß er nach der Er¬
nennung Hafis Paschas, des bisherigen Wesirs der Herzegowina, auf dessen
Posten berufen wurde. In dieser Stellung spielte er seine Rolle mit Meister¬
schaft. Bekannt als ein toleranter Mann, sicherte er sich einerseits einen be¬
deutenden Einfluß auf die hier sehr zahlreiche Raja, was noch keinem türkischen
Machthaber gelungen war, andrerseits aber erfreute er sich auch des Vertrauens
der Alttürken und ihrer Schützlinge in Bosnien. Ali Keditsch, der Kadi
Kapitsch und Mehemed Pascha von Tusla, die Führer der Aufständischen in
der Krajna und Pohawina, waren als Werkzeuge zur Anbahnung seiner Pläne
sehr wohl zu brauchen, aber sie wurden, wie es scheint, lange Zeit von ihm
nur benutzt, ohne daß ihnen mitgetheilt wurde oder sie selbst dahinter kamen,
daß Ali Stoltschewitsch wichtigere Zwecke verfolge als die, welche er ihnen
merken ließ. Ali Pascha hatte in Betreff dieser Zwecke damals nur einen
Vertrauten, seinen Sohn Nafiz Pascha. Aber dessen später entdeckte Corre-
spondenz verbreitete ziemlich Helles Licht über die Absichten Ali's. Sie be¬
standen in nichts Geringerem als in der Gestaltung Bosniens und der
Herzegowina zu einem von der Pforte unabhängigen Reiche unter der Herr¬
schaft der Alttürken. Ob dabei auch an gewisse Zugeständnisse für die christ¬
liche Bevölkerung gedacht wurde, erhellt aus den über diese Pläne vorliegen¬
den Berichten nicht. War dieß nicht der Fall, so war das ganze Gebäude
der Gedanken Alt's auf die Dauer unhaltbar. Darin aber hatte er in seinen
Berechnungen Recht, daß die Pforte nicht im Stande war, immer neue Armeen
in die böhmischen Thäler zu schicken, und daß sie ebenso wenig die nöthigen
Geldmittel besaß, um einen Krieg, der bei der gebirgigen Natur Bosniens


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[0109] maßungen zur Gewißheit, indem man an verschiedenen gründlichen Combi¬ nationen erkannte, daß die Fäden des Aufstandes sich in den Händen Ali Paschas, einer der obersten Beamten der Pforte in der Herzegowina, be¬ fanden. Ali Pascha von Stolatsch, ein kluger, alter Herr von ungewöhnlicher Um¬ sicht, Erfahrung und Thatkraft, war zu der Ueberzeugung gelangt, daß weder der Koran und die heilige Fahne des Propheten, noch die vom Abendland empfohlenen und vom Divan angenommenen Reformen den Zerfall des Osmanenreichs auf die Dauer zu verhüten vermöchten. Er sah an seinen Landsleuten in Serbien, daß man mit Entschiedenheit und Ausdauer der Pforte Alles abtrotzen könne. Als daher die alttürkische Partei im ganzen Reiche sich der böhmischen Muslime annahm, wußte er die Umstände zu be¬ nutzen und sich rasch sehr wesentlichen Einfluß bei den Aufständischen zu ver¬ schaffen. Er trat dabei zunächst nicht offen auf deren Seite und verrieth auch sonst seine Absichten nicht. Er erhielt in seinem Paschalik die Ruhe aufrecht und bot sogar dem Divan militärische Hülfe und Unterstützung mit Geldmitteln an, wodurch er sich in Stambul so großes Vertrauen erwarb, daß er nach der Er¬ nennung Hafis Paschas, des bisherigen Wesirs der Herzegowina, auf dessen Posten berufen wurde. In dieser Stellung spielte er seine Rolle mit Meister¬ schaft. Bekannt als ein toleranter Mann, sicherte er sich einerseits einen be¬ deutenden Einfluß auf die hier sehr zahlreiche Raja, was noch keinem türkischen Machthaber gelungen war, andrerseits aber erfreute er sich auch des Vertrauens der Alttürken und ihrer Schützlinge in Bosnien. Ali Keditsch, der Kadi Kapitsch und Mehemed Pascha von Tusla, die Führer der Aufständischen in der Krajna und Pohawina, waren als Werkzeuge zur Anbahnung seiner Pläne sehr wohl zu brauchen, aber sie wurden, wie es scheint, lange Zeit von ihm nur benutzt, ohne daß ihnen mitgetheilt wurde oder sie selbst dahinter kamen, daß Ali Stoltschewitsch wichtigere Zwecke verfolge als die, welche er ihnen merken ließ. Ali Pascha hatte in Betreff dieser Zwecke damals nur einen Vertrauten, seinen Sohn Nafiz Pascha. Aber dessen später entdeckte Corre- spondenz verbreitete ziemlich Helles Licht über die Absichten Ali's. Sie be¬ standen in nichts Geringerem als in der Gestaltung Bosniens und der Herzegowina zu einem von der Pforte unabhängigen Reiche unter der Herr¬ schaft der Alttürken. Ob dabei auch an gewisse Zugeständnisse für die christ¬ liche Bevölkerung gedacht wurde, erhellt aus den über diese Pläne vorliegen¬ den Berichten nicht. War dieß nicht der Fall, so war das ganze Gebäude der Gedanken Alt's auf die Dauer unhaltbar. Darin aber hatte er in seinen Berechnungen Recht, daß die Pforte nicht im Stande war, immer neue Armeen in die böhmischen Thäler zu schicken, und daß sie ebenso wenig die nöthigen Geldmittel besaß, um einen Krieg, der bei der gebirgigen Natur Bosniens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/109>, abgerufen am 20.10.2024.