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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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daß behauptet wird, jene seien zwar in semitischen Charakteren, aber in einer
nicht semitischen Sprache geschrieben, verschmäht er zwar, aber nur, um ein
anderes zu gebrauchen, die ebenfalls schon vorgebrachte Vermuthung sinnloser
Zauberformeln. "Damit aber lassen wir uns längst nicht mehr abspeisen," sagt
Svein. Die paläographischen Bedenken versucht Koch vergeblich zu beseitigen.
Die auffallende Gestalt einzelner Buchstaben und noch mehr der heillose Ge-
sammtcharakter bleibt bestehen. Wenn Koch die Stillosigkeit der Figuren
damit erklären will, daß er meint, die Moabiter seien ein völlig rohes Ge¬
schlecht gewesen, so wird das von Rottele mit vollem Rechte als entschieden
falsch zurückgewiesen, da jene ein seßhaftes Volk waren, das in festen Städten
wohnte und geregelte Staatseinrichtungen hatte. Wären sie aber auch so
wenig gesittet und gebildet gewesen wie Eskimo oder Fidschi-Insulaner, so
bleibt es doch dabei, daß. während Zeichnungen und Schnitzwerke selbst bei
diesen eine gewisse Festigkeit in der Behandlung der Formen, d. h. Stil
zeigen, wir in diesen Thonfiguren einer rein individuellen Verbindung kin¬
dischen Ungeschicks, wunderlicher und theilweise schmutzig gemeiner Einbildungs¬
kraft und augenscheinlicher Nachahmung fremder Vorbilder begegnen. Auch
die noch in Jerusalem befindlichen Pseudomoabitica haben nach Koch's Bericht
unter sich eine Menge Zeug, welches einer Bordellphantasie entsprungen sein
muß.

Statt mit der Moral dieser Geschichte, die ich dem Gebrauch zuwider
an die Spitze derselben gestellt habe, schließe ich mit zwei Fragen: 1) Dieser
Plunder, wie ich jetzt ohne Anführungszeichen mit de Lagarde sage, ist in
Berlin mit öffentlichen Geldern angekauft worden, und erst spät erfuhren wir,
nicht für das Museum. Warum ließ man denn Europa Jahre lang in dem
Glauben an diesen Ankauf? 2) Die "Regierung" hat außer andern Au¬
toritäten auf dem Gebiete semitischer Forschung unsern "Nestor" in Leipzig
um seine Meinung befragt. Gut, aber sind denn die berliner Orientalisten
so ohne allen Einfluß, daß sie die compromittirende Erwerbung des Quarks,
nachdem die Frage vorher soviel ventilirt worden, nicht hindern konnten, oder
existirt wirklich in Berlin niemand, der sich rechtzeitig ein Urtheil bilden und
warnen konnte? U. A. w. g.




Die Socialdemokratie und die deutsche Presse.

Daß die socialdemokratische Propaganda von Jahr zu Jahr Fortschritte
macht und schon längst eine Macht geworden, ist eine Thatsache, mit der die
Gesetzgebung zu rechnen hat. In Abrede zu stellen pflegen das auch nur


daß behauptet wird, jene seien zwar in semitischen Charakteren, aber in einer
nicht semitischen Sprache geschrieben, verschmäht er zwar, aber nur, um ein
anderes zu gebrauchen, die ebenfalls schon vorgebrachte Vermuthung sinnloser
Zauberformeln. „Damit aber lassen wir uns längst nicht mehr abspeisen," sagt
Svein. Die paläographischen Bedenken versucht Koch vergeblich zu beseitigen.
Die auffallende Gestalt einzelner Buchstaben und noch mehr der heillose Ge-
sammtcharakter bleibt bestehen. Wenn Koch die Stillosigkeit der Figuren
damit erklären will, daß er meint, die Moabiter seien ein völlig rohes Ge¬
schlecht gewesen, so wird das von Rottele mit vollem Rechte als entschieden
falsch zurückgewiesen, da jene ein seßhaftes Volk waren, das in festen Städten
wohnte und geregelte Staatseinrichtungen hatte. Wären sie aber auch so
wenig gesittet und gebildet gewesen wie Eskimo oder Fidschi-Insulaner, so
bleibt es doch dabei, daß. während Zeichnungen und Schnitzwerke selbst bei
diesen eine gewisse Festigkeit in der Behandlung der Formen, d. h. Stil
zeigen, wir in diesen Thonfiguren einer rein individuellen Verbindung kin¬
dischen Ungeschicks, wunderlicher und theilweise schmutzig gemeiner Einbildungs¬
kraft und augenscheinlicher Nachahmung fremder Vorbilder begegnen. Auch
die noch in Jerusalem befindlichen Pseudomoabitica haben nach Koch's Bericht
unter sich eine Menge Zeug, welches einer Bordellphantasie entsprungen sein
muß.

Statt mit der Moral dieser Geschichte, die ich dem Gebrauch zuwider
an die Spitze derselben gestellt habe, schließe ich mit zwei Fragen: 1) Dieser
Plunder, wie ich jetzt ohne Anführungszeichen mit de Lagarde sage, ist in
Berlin mit öffentlichen Geldern angekauft worden, und erst spät erfuhren wir,
nicht für das Museum. Warum ließ man denn Europa Jahre lang in dem
Glauben an diesen Ankauf? 2) Die „Regierung" hat außer andern Au¬
toritäten auf dem Gebiete semitischer Forschung unsern „Nestor" in Leipzig
um seine Meinung befragt. Gut, aber sind denn die berliner Orientalisten
so ohne allen Einfluß, daß sie die compromittirende Erwerbung des Quarks,
nachdem die Frage vorher soviel ventilirt worden, nicht hindern konnten, oder
existirt wirklich in Berlin niemand, der sich rechtzeitig ein Urtheil bilden und
warnen konnte? U. A. w. g.




Die Socialdemokratie und die deutsche Presse.

Daß die socialdemokratische Propaganda von Jahr zu Jahr Fortschritte
macht und schon längst eine Macht geworden, ist eine Thatsache, mit der die
Gesetzgebung zu rechnen hat. In Abrede zu stellen pflegen das auch nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/98>, abgerufen am 27.11.2024.