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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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den Moabitieis jene nichtssagende heillose Plattheit an, in der man schwer
umhin kann, den Stempel des Modernen zu finden." Die Figuren sind zum
Theil sehr obscön. und es wäre möglich, daß die Moabiter in geschlechtlichen
Dingen roher empfunden hätten als ihre Nachbarn in Kanaan, aber der Hin¬
weis auf die vielbrüstigen Göttinnen, auf den Phallusdienst und auf zwttter-
arttge Gebilde reicht zur Erklärung dieser Obscönitäten nicht hin. Jene Dinge
beruhen auf dem Bestreben, eine höhere Symbolik auch sinnlich darzustellen,
und erhalten dadurch eine Art Weihe. Die Obscönitäten der Thonwaaren
aber sind zum Theil roh und gemein schlechthin, und lassen eine solche Er¬
klärung nicht zu." Oder kann uns einer der Vertheidiger der Echtheit dieses
Zeugs vielleicht die Figur 4 der unserer Schrift beigegebenen Tafel erklären?
Ein Ding, das ein Molch sein könnte, wenn der Verfertiger es nicht allzu¬
deutlich als Weib bezeichnet hätte, sitzt auf einem Geschirr, welches auch die
auf ihm angebrachten sieben heiligen Punkte nicht vor dem Verdachte retten,
für Bedürfnisse bestimmt zu sein, die Götter nicht kennen und Menschen nicht
in Tempeln befriedigen. Ein semitisches Volk hat diese Fratze nicht als
Emblem seines Götzendienstes gebildet, sondern sie ist "der Ausfluß einer ver¬
dorbenen modernen Phantasie, die zu dem Betrug auch noch die freche Ver¬
höhnung der glücklichen Finder hinzugefügt hat", und sie kann, wenn sie über¬
haupt einen Sinn hat, nur ein Sinnbild -- des Schöpfungsactes der Moa-
bitica sein sollen.

Die andern Proben, welche die Tafel zeigt, sind ebenfalls entschieden
modernen Charakters. Figur 1 ist oben offenbar eine Karrikatur Napoleon's
des Dritten, unter eine Stockkrücke. Bei Figur 2 hat der Verfertiger un¬
zweifelhaft an einen Mönch gedacht. Ur. 3 ist eine ganz moderne Büste,
Ur. 5 unleugbar eine Tabakspfeife mit sogenanntem Schwanenkopf, Ur. 7
eine Moabiterin, welche die Fülle ihres Oberleibs in einer Schnürbrust ver¬
wahrt, Ur. 8 und 9 sind modische Stiefeletten oder Gamaschen mit seitlicher
Gummietnlage.

"Antiquitäten dieser Art" -- so schließt unser Buch -- "sind nur durch
zwei Mittel vor dem Vernichtungsurtheile zu retten: eine Entzifferung der
Inschriften von solcher Zweifellofigkeit, wie sie uns z. B. auf dem Sarkophag
des Eschmunazar entgegentritt, und sodann einen technischen, insbesondere
chemischen Beweis von eben solcher Unanfechtbarkeit". Bis diese Beweise er¬
bracht seien, meint Professor Kautsch, seien die moabitischen Thonwaaren
"hinsichtlich ihrer äußeren und inneren Beglaubigung ein ungelöstes Räthsel".

Ich gehe, wie oben bemerkt, weiter und finde mit Rottele das Räthsel
gelöst, wenn auch Koch in den letzten Tagen einige der Zweifel der hier ihrem
Hauptinhalt nach besprochenen Schrift völlig oder doch einigermaßen ent-


den Moabitieis jene nichtssagende heillose Plattheit an, in der man schwer
umhin kann, den Stempel des Modernen zu finden." Die Figuren sind zum
Theil sehr obscön. und es wäre möglich, daß die Moabiter in geschlechtlichen
Dingen roher empfunden hätten als ihre Nachbarn in Kanaan, aber der Hin¬
weis auf die vielbrüstigen Göttinnen, auf den Phallusdienst und auf zwttter-
arttge Gebilde reicht zur Erklärung dieser Obscönitäten nicht hin. Jene Dinge
beruhen auf dem Bestreben, eine höhere Symbolik auch sinnlich darzustellen,
und erhalten dadurch eine Art Weihe. Die Obscönitäten der Thonwaaren
aber sind zum Theil roh und gemein schlechthin, und lassen eine solche Er¬
klärung nicht zu." Oder kann uns einer der Vertheidiger der Echtheit dieses
Zeugs vielleicht die Figur 4 der unserer Schrift beigegebenen Tafel erklären?
Ein Ding, das ein Molch sein könnte, wenn der Verfertiger es nicht allzu¬
deutlich als Weib bezeichnet hätte, sitzt auf einem Geschirr, welches auch die
auf ihm angebrachten sieben heiligen Punkte nicht vor dem Verdachte retten,
für Bedürfnisse bestimmt zu sein, die Götter nicht kennen und Menschen nicht
in Tempeln befriedigen. Ein semitisches Volk hat diese Fratze nicht als
Emblem seines Götzendienstes gebildet, sondern sie ist „der Ausfluß einer ver¬
dorbenen modernen Phantasie, die zu dem Betrug auch noch die freche Ver¬
höhnung der glücklichen Finder hinzugefügt hat", und sie kann, wenn sie über¬
haupt einen Sinn hat, nur ein Sinnbild — des Schöpfungsactes der Moa-
bitica sein sollen.

Die andern Proben, welche die Tafel zeigt, sind ebenfalls entschieden
modernen Charakters. Figur 1 ist oben offenbar eine Karrikatur Napoleon's
des Dritten, unter eine Stockkrücke. Bei Figur 2 hat der Verfertiger un¬
zweifelhaft an einen Mönch gedacht. Ur. 3 ist eine ganz moderne Büste,
Ur. 5 unleugbar eine Tabakspfeife mit sogenanntem Schwanenkopf, Ur. 7
eine Moabiterin, welche die Fülle ihres Oberleibs in einer Schnürbrust ver¬
wahrt, Ur. 8 und 9 sind modische Stiefeletten oder Gamaschen mit seitlicher
Gummietnlage.

„Antiquitäten dieser Art" — so schließt unser Buch — „sind nur durch
zwei Mittel vor dem Vernichtungsurtheile zu retten: eine Entzifferung der
Inschriften von solcher Zweifellofigkeit, wie sie uns z. B. auf dem Sarkophag
des Eschmunazar entgegentritt, und sodann einen technischen, insbesondere
chemischen Beweis von eben solcher Unanfechtbarkeit". Bis diese Beweise er¬
bracht seien, meint Professor Kautsch, seien die moabitischen Thonwaaren
„hinsichtlich ihrer äußeren und inneren Beglaubigung ein ungelöstes Räthsel".

Ich gehe, wie oben bemerkt, weiter und finde mit Rottele das Räthsel
gelöst, wenn auch Koch in den letzten Tagen einige der Zweifel der hier ihrem
Hauptinhalt nach besprochenen Schrift völlig oder doch einigermaßen ent-


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[0096] den Moabitieis jene nichtssagende heillose Plattheit an, in der man schwer umhin kann, den Stempel des Modernen zu finden." Die Figuren sind zum Theil sehr obscön. und es wäre möglich, daß die Moabiter in geschlechtlichen Dingen roher empfunden hätten als ihre Nachbarn in Kanaan, aber der Hin¬ weis auf die vielbrüstigen Göttinnen, auf den Phallusdienst und auf zwttter- arttge Gebilde reicht zur Erklärung dieser Obscönitäten nicht hin. Jene Dinge beruhen auf dem Bestreben, eine höhere Symbolik auch sinnlich darzustellen, und erhalten dadurch eine Art Weihe. Die Obscönitäten der Thonwaaren aber sind zum Theil roh und gemein schlechthin, und lassen eine solche Er¬ klärung nicht zu." Oder kann uns einer der Vertheidiger der Echtheit dieses Zeugs vielleicht die Figur 4 der unserer Schrift beigegebenen Tafel erklären? Ein Ding, das ein Molch sein könnte, wenn der Verfertiger es nicht allzu¬ deutlich als Weib bezeichnet hätte, sitzt auf einem Geschirr, welches auch die auf ihm angebrachten sieben heiligen Punkte nicht vor dem Verdachte retten, für Bedürfnisse bestimmt zu sein, die Götter nicht kennen und Menschen nicht in Tempeln befriedigen. Ein semitisches Volk hat diese Fratze nicht als Emblem seines Götzendienstes gebildet, sondern sie ist „der Ausfluß einer ver¬ dorbenen modernen Phantasie, die zu dem Betrug auch noch die freche Ver¬ höhnung der glücklichen Finder hinzugefügt hat", und sie kann, wenn sie über¬ haupt einen Sinn hat, nur ein Sinnbild — des Schöpfungsactes der Moa- bitica sein sollen. Die andern Proben, welche die Tafel zeigt, sind ebenfalls entschieden modernen Charakters. Figur 1 ist oben offenbar eine Karrikatur Napoleon's des Dritten, unter eine Stockkrücke. Bei Figur 2 hat der Verfertiger un¬ zweifelhaft an einen Mönch gedacht. Ur. 3 ist eine ganz moderne Büste, Ur. 5 unleugbar eine Tabakspfeife mit sogenanntem Schwanenkopf, Ur. 7 eine Moabiterin, welche die Fülle ihres Oberleibs in einer Schnürbrust ver¬ wahrt, Ur. 8 und 9 sind modische Stiefeletten oder Gamaschen mit seitlicher Gummietnlage. „Antiquitäten dieser Art" — so schließt unser Buch — „sind nur durch zwei Mittel vor dem Vernichtungsurtheile zu retten: eine Entzifferung der Inschriften von solcher Zweifellofigkeit, wie sie uns z. B. auf dem Sarkophag des Eschmunazar entgegentritt, und sodann einen technischen, insbesondere chemischen Beweis von eben solcher Unanfechtbarkeit". Bis diese Beweise er¬ bracht seien, meint Professor Kautsch, seien die moabitischen Thonwaaren „hinsichtlich ihrer äußeren und inneren Beglaubigung ein ungelöstes Räthsel". Ich gehe, wie oben bemerkt, weiter und finde mit Rottele das Räthsel gelöst, wenn auch Koch in den letzten Tagen einige der Zweifel der hier ihrem Hauptinhalt nach besprochenen Schrift völlig oder doch einigermaßen ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/96>, abgerufen am 27.07.2024.