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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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sammen geleimt. Wo der Bruch selbst deutlich zu sehen ist, zeigt er nirgends
zusammenpassende schärfere Flächen, die letzteren sind vielmehr rissig, unregel¬
mäßig und von einer Farbe, als ob sie nach dem Bruche einer sehr langen
Verwitterung ausgesetzt gewesen wären. Die Frage ist hier nur. ob die Ge¬
winnung eines so auffallend alterthümlichen Aussehens innerhalb einer kur¬
zen Zeit technisch möglich sei, und diese Frage ist Herrn Kautsch -- ich muß an¬
nehmen von einem Sachverständigen -- bejaht worden.

Das allerbedenklichste Kopfschütteln nöthigt die Art und Weise ab. wie
diese fast durchgehends leicht zerbrechlichen Thon- und Sandsteinsachen sich er¬
halten haben sollen. Sie sind nicht in Hohlräumen, Gräbern oder ver¬
schlossenen Höhlen gefunden, sondern aus lockerem Boden in einer Gegend
ausgegraben worden, wo sie der Feuchtigkeit, dem Druck von Menschenfüßen,
gelagerten Heerden u. tgi. ausgesetzt waren. Moab ist keineswegs immer eine
menschenleere Wüste gewesen, und die Behauptung: es regne dort nicht, ist
grundlos. Die Fundorte sind in gerader Linie keine acht Meilen von Jeru¬
salem entfernt, wo es häufig regnet, mehrere Reisende haben in Moab starke
Güsse erlebt, und ich selbst sah 18S9 zu Ostern vom Ufer des Todten Meeres
aus über den Bergen nach Madeba hin die Sonne "Wasser ziehen". Es
wäre fast ein Wunder, wenn sich unter diesen Umständen circa 30 Urnen zwei
bis dritthalb Jahrtausende "so tapfer gehalten hätten, daß sie den Beschauer
von den Brettern der berliner Sammlung so wohlgemuth ansehen wie die
Töpfe einer neuen Kücheneinrichtung".

"Welcher Töpfer zwischen Dan und Bersaba", ruft Herr Weser aus,
"einzelne der höchst kunstvollen Lampen und Urnen verfertigen sollte, ist uns
ein ungelöstes Räthsel." Die alten Moabiter aber sollen laut geschichtlichen
Zeugnissen vorzügliche Töpfer gewesen sein. Kautsch giebt zu, daß einige der
Urnen geschmackvoll sind, das "Räthsel" Weser's aber hat er und Svein ein¬
fach damit gelöst, daß sie sich selbst an die Verfertigung von Thonfiguren
machten und trotz ihrer gänzlichen Ungeübtheit im Modelliren "in kürzester
Zeit die erwünschtesten Resultate erzielten". Geschichtliche Zeugnisse für die
Töpferkunst der alten Bewohner Moabs endlich giebt es nicht.

Entsprechen die Thonwaaren der Analogie anderer kanaanttischer Götzen'
bilder? Herr Schlottmann nimmt die Existenz solcher Götzenbilder an und
denkt an gewisse Idole in Cagliari, die phönicischen Colonisten aus der Insel
zugeschrieben wurden. Dieselben gehören indeß in das fünfte oder sechste Jahr¬
hundert n. Chr., und sie sind zwar plump und roh wie die pseudomoabitischen
Götzen Schapira's, haben aber entschieden, was diese nicht haben, "jenes un°
beschreibbare Etwas, was man eben Stil nennt -- eine gewisse Seltsamkeit,
die auf den Beschauer frappirend wirkt und den Eindruck einer anders ge¬
arteten Culturwelt auf ihn macht." "Mit wenig Ausnahmen grinst uns in


sammen geleimt. Wo der Bruch selbst deutlich zu sehen ist, zeigt er nirgends
zusammenpassende schärfere Flächen, die letzteren sind vielmehr rissig, unregel¬
mäßig und von einer Farbe, als ob sie nach dem Bruche einer sehr langen
Verwitterung ausgesetzt gewesen wären. Die Frage ist hier nur. ob die Ge¬
winnung eines so auffallend alterthümlichen Aussehens innerhalb einer kur¬
zen Zeit technisch möglich sei, und diese Frage ist Herrn Kautsch — ich muß an¬
nehmen von einem Sachverständigen — bejaht worden.

Das allerbedenklichste Kopfschütteln nöthigt die Art und Weise ab. wie
diese fast durchgehends leicht zerbrechlichen Thon- und Sandsteinsachen sich er¬
halten haben sollen. Sie sind nicht in Hohlräumen, Gräbern oder ver¬
schlossenen Höhlen gefunden, sondern aus lockerem Boden in einer Gegend
ausgegraben worden, wo sie der Feuchtigkeit, dem Druck von Menschenfüßen,
gelagerten Heerden u. tgi. ausgesetzt waren. Moab ist keineswegs immer eine
menschenleere Wüste gewesen, und die Behauptung: es regne dort nicht, ist
grundlos. Die Fundorte sind in gerader Linie keine acht Meilen von Jeru¬
salem entfernt, wo es häufig regnet, mehrere Reisende haben in Moab starke
Güsse erlebt, und ich selbst sah 18S9 zu Ostern vom Ufer des Todten Meeres
aus über den Bergen nach Madeba hin die Sonne „Wasser ziehen". Es
wäre fast ein Wunder, wenn sich unter diesen Umständen circa 30 Urnen zwei
bis dritthalb Jahrtausende „so tapfer gehalten hätten, daß sie den Beschauer
von den Brettern der berliner Sammlung so wohlgemuth ansehen wie die
Töpfe einer neuen Kücheneinrichtung".

„Welcher Töpfer zwischen Dan und Bersaba", ruft Herr Weser aus,
„einzelne der höchst kunstvollen Lampen und Urnen verfertigen sollte, ist uns
ein ungelöstes Räthsel." Die alten Moabiter aber sollen laut geschichtlichen
Zeugnissen vorzügliche Töpfer gewesen sein. Kautsch giebt zu, daß einige der
Urnen geschmackvoll sind, das „Räthsel" Weser's aber hat er und Svein ein¬
fach damit gelöst, daß sie sich selbst an die Verfertigung von Thonfiguren
machten und trotz ihrer gänzlichen Ungeübtheit im Modelliren „in kürzester
Zeit die erwünschtesten Resultate erzielten". Geschichtliche Zeugnisse für die
Töpferkunst der alten Bewohner Moabs endlich giebt es nicht.

Entsprechen die Thonwaaren der Analogie anderer kanaanttischer Götzen'
bilder? Herr Schlottmann nimmt die Existenz solcher Götzenbilder an und
denkt an gewisse Idole in Cagliari, die phönicischen Colonisten aus der Insel
zugeschrieben wurden. Dieselben gehören indeß in das fünfte oder sechste Jahr¬
hundert n. Chr., und sie sind zwar plump und roh wie die pseudomoabitischen
Götzen Schapira's, haben aber entschieden, was diese nicht haben, „jenes un°
beschreibbare Etwas, was man eben Stil nennt — eine gewisse Seltsamkeit,
die auf den Beschauer frappirend wirkt und den Eindruck einer anders ge¬
arteten Culturwelt auf ihn macht." „Mit wenig Ausnahmen grinst uns in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/95>, abgerufen am 27.11.2024.