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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Rücksicht zu seinem Bilde verwerthen dürfte. Nicht wenige Dinge und Menschen
würden dann wesentlich anders aussehen, als sie uns jetzt erscheinen; der Fürst
aber würde noch bei Weitem größer und genialer vor uns hintreten, als er
jetzt vor unsern Augen steht.

Das vorliegende Wer! ist nun von diesem Ideale einer Bismarck-Bio-
graphie weit entfernt, in seiner Art aber doch kein übles Buch. Es ist nach
Form und Inhalt die Arbeit eines gebildeten und wohlgesinnten Dilettanten,
der sich's mit seiner Aufgabe nicht leicht gemacht, sondern sich fleißig nicht nur
in dem bereits offen zu Tage liegenden Materiale umgesehen, sondern auch
neues gesammelt hat und dabei von Freunden des Fürsten und andern dem¬
selben Nahestehenden durch allerlei Mittheilbares unterstützt worden ist. Dieses
Neue enthält allerdings nur Dinge, die sich auf den Menschen Bismarck, auf
seine Privatverhältnisse, seine Jugend, seine Lehr" und Wanderjahre, seine
Familie, sein Leben in Varzin, seine gemüthliche Seite u. tgi. beziehen; aber
wir sind auch dafür dankbar. Ueber den Politiker Bismarck erfahren wir
nichts, was wir nicht bereits wüßten. Doch ist dem Buche auch in dieser
Beziehung ein sehr erheblicher Vorzug vor dem früheren ausführlicheren Ver¬
suche, uns das Leben des Reichskanzlers zu erzählen, einzuräumen. Der Bis¬
marck Hesekiel's hat, so weit es sich um den Politiker handelt und so weit
Herr Hesektel selbst redet, gar keinen, oder doch nur einen sehr geringen An¬
spruch auf geschichtliche Wahrheit. Nur die in jenem Buche mitgetheilten
Briefe waren von Werth und zwar vom höchsten Werth. Von dem Uebrigen
bestand das Meiste in Faseleien eines feudalgesinnten mittelmäßigen Feutlle-
tonisten, und das Bild, das wir erhielten, war ein Bismarck, wie ihn die
Kreuzzeitungspartei gern gehabt hätte, wie er aber in der Wirklichkeit niemals
existirt hat. Der Bismarck des Herrn v. Köppen ist kein solches Zerrbild, er
giebt uns den Reformator der deutschen politischen Zustände im Wesentlichen
so, wie er nach dem, was Alle sehen konnten, welche sich weder von feudalen
noch von liberalen Doctrinen die Augen verderben ließen, und sonst sich eines
gesunden Verstandes erfreuten, erscheinen muß. In seiner Darstellung der
innern Kämpfe nimmt der Verfasser unseres Erachtens durchweg den richtigen
Standpunkt ein, und in den Kapiteln, welche die äußere Politik des Reichs¬
kanzlers behandeln, hat er sich bemüht, den Dingen nach Kräften auf den
Grund zu kommen.

Auch die Form ist im Allgemeinen zu loben. Die Vertheilung des Stoffes
könnte in einzelnen Stücken anders, übersichtlicher, bequemer, künstlerischer
sein. Unbedeutende Vorkommnisse werden bisweilen mit derselben Ausfuhr,
lichkeit behandelt, wie bedeutende. Die vielen eingeflochtenen Verse, die oft
recht mittelmäßige Leistungen sind, kommen uns überflüssig vor. Manche
pathetische Ergüsse des Verfassers ebenfalls. Fast komisch erscheinen Gespräche.


Rücksicht zu seinem Bilde verwerthen dürfte. Nicht wenige Dinge und Menschen
würden dann wesentlich anders aussehen, als sie uns jetzt erscheinen; der Fürst
aber würde noch bei Weitem größer und genialer vor uns hintreten, als er
jetzt vor unsern Augen steht.

Das vorliegende Wer! ist nun von diesem Ideale einer Bismarck-Bio-
graphie weit entfernt, in seiner Art aber doch kein übles Buch. Es ist nach
Form und Inhalt die Arbeit eines gebildeten und wohlgesinnten Dilettanten,
der sich's mit seiner Aufgabe nicht leicht gemacht, sondern sich fleißig nicht nur
in dem bereits offen zu Tage liegenden Materiale umgesehen, sondern auch
neues gesammelt hat und dabei von Freunden des Fürsten und andern dem¬
selben Nahestehenden durch allerlei Mittheilbares unterstützt worden ist. Dieses
Neue enthält allerdings nur Dinge, die sich auf den Menschen Bismarck, auf
seine Privatverhältnisse, seine Jugend, seine Lehr« und Wanderjahre, seine
Familie, sein Leben in Varzin, seine gemüthliche Seite u. tgi. beziehen; aber
wir sind auch dafür dankbar. Ueber den Politiker Bismarck erfahren wir
nichts, was wir nicht bereits wüßten. Doch ist dem Buche auch in dieser
Beziehung ein sehr erheblicher Vorzug vor dem früheren ausführlicheren Ver¬
suche, uns das Leben des Reichskanzlers zu erzählen, einzuräumen. Der Bis¬
marck Hesekiel's hat, so weit es sich um den Politiker handelt und so weit
Herr Hesektel selbst redet, gar keinen, oder doch nur einen sehr geringen An¬
spruch auf geschichtliche Wahrheit. Nur die in jenem Buche mitgetheilten
Briefe waren von Werth und zwar vom höchsten Werth. Von dem Uebrigen
bestand das Meiste in Faseleien eines feudalgesinnten mittelmäßigen Feutlle-
tonisten, und das Bild, das wir erhielten, war ein Bismarck, wie ihn die
Kreuzzeitungspartei gern gehabt hätte, wie er aber in der Wirklichkeit niemals
existirt hat. Der Bismarck des Herrn v. Köppen ist kein solches Zerrbild, er
giebt uns den Reformator der deutschen politischen Zustände im Wesentlichen
so, wie er nach dem, was Alle sehen konnten, welche sich weder von feudalen
noch von liberalen Doctrinen die Augen verderben ließen, und sonst sich eines
gesunden Verstandes erfreuten, erscheinen muß. In seiner Darstellung der
innern Kämpfe nimmt der Verfasser unseres Erachtens durchweg den richtigen
Standpunkt ein, und in den Kapiteln, welche die äußere Politik des Reichs¬
kanzlers behandeln, hat er sich bemüht, den Dingen nach Kräften auf den
Grund zu kommen.

Auch die Form ist im Allgemeinen zu loben. Die Vertheilung des Stoffes
könnte in einzelnen Stücken anders, übersichtlicher, bequemer, künstlerischer
sein. Unbedeutende Vorkommnisse werden bisweilen mit derselben Ausfuhr,
lichkeit behandelt, wie bedeutende. Die vielen eingeflochtenen Verse, die oft
recht mittelmäßige Leistungen sind, kommen uns überflüssig vor. Manche
pathetische Ergüsse des Verfassers ebenfalls. Fast komisch erscheinen Gespräche.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/82>, abgerufen am 27.11.2024.