Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und am letzteren Orte sogar auf dem Theater gesehen; freylich nur in Ope¬
retten, wo sich nicht auf tragisches Spiel schließen, aber Prunk von Natur,
Affektazion von Empfindung desto gewißer unterscheiden läßt. Die
Figur ist vortrefflich. Ich weiß niemanden mit ihr zu vergleichen als Madam
Koch*). Vielleicht hat sie noch mehr Ebenmaß und Grazie, als diese. Aber
das sind nun fünf Jahre, und schon damals war sie auf der Rückkehr, am
Scheideweg der dritten Dekade!**). In den außerordentlichen Beyfall des
Weimarischen Publikums haben sich, wie bey allen gesellschaftlichen Theatern,
so viel Nebenumstände gemischt, daß man darauf nicht bauen kann. Göthe
selbst war von ihrer "Iphigenia" ***) entzückt. Aber Göthe selbst war
in Ms. Schröter verliebt! Talent muß sie freilich haben, und hat es
auch. Aber ob dieses Talent, neben Schauspielern vom Handwerke und von
Talenten, die Probe aushalten würde? das ist die Frage. --Uebrigens weiß
ich, daß sie sich ehemals zu gut dünkte, das Theater zu betreten, daß sie so¬
gar, als sie noch in Leipzig unter sehr kleinen Bedingungen beym Konzert
engagirt war, einen Ruf zum hiesigen Hoftheater ausgeschlagen hat.
Was könnte sie jetzt zu diesem Schritte bewegen? Verdruß über die End¬
schaft .... einer gewißen -- andern Rolle? Sie hat zu viel Verstand
und Erfahrung, diesen Verlust nicht politischen Rücksichten aufzuopfern. Be¬
fehlen Sie ob ich, dieser Voraussetzungen ungeachtet, einen Versuch wagen
soll! --

H. Beil hat besser gethan "die Spieler" zu schreiben, als diese Zeit
zum Spielen anzuwenden'!-). Uebrigens sind die guten Situationen seines
Stücks zu isolirt und zu sehr mit zwecklosen Episoden überladen, als daß sie
bey der Vorstellung Wirkung thun könnten."

Der nun folgende Brief Götter's (vom 14. April 1786) läßt in ergötz¬
licher Weise durchblicken, was für eine Art von Comödie damals in Weimar
gespielt wurde. Die Leutchen, von denen die Rede ist, waren: Madame (Sophie)
Ackermann geb. Tschorn, -- "erste Liebhaberin in Lust- und Trauerspiel, An-
stands- und verkleidete Mannsrollen, singt erste und zweite Liebhaberinnen in
der Oper" (wie ihre Fachbezeichnung im Gothaer Theaterkalender für 1786
lautet) und deren Gatte -- "komische Alte im Singspiel, Pedanten und Be-






") Franziska Romana Koch geb. Giranet (1748--1796). treffliche Tänzerin, später be¬
rühmte Sängerin zu Leipzig, Dresden, Weimar und Gotha. Schweizer componirte für sie
seine "Alceste".
-) Corona Schröter, geb. am 14. Januar 17S1 zu Guben, war 1780 in der That
2" Jahre alt.
"*) Goethe's damals nur in Prosa vorhanden gewesene, am K. April 1779 mit Corona
Schröter in der Titelrolle zuerst aufgeführte Dichtung.
I) Diese Leidenschaft war eine Schwäche Beil's. Sein Lustspiel erschien 1785 zu Mann¬
heim, wo es zuerst am 23. Januar 1785 gegeben worden.

und am letzteren Orte sogar auf dem Theater gesehen; freylich nur in Ope¬
retten, wo sich nicht auf tragisches Spiel schließen, aber Prunk von Natur,
Affektazion von Empfindung desto gewißer unterscheiden läßt. Die
Figur ist vortrefflich. Ich weiß niemanden mit ihr zu vergleichen als Madam
Koch*). Vielleicht hat sie noch mehr Ebenmaß und Grazie, als diese. Aber
das sind nun fünf Jahre, und schon damals war sie auf der Rückkehr, am
Scheideweg der dritten Dekade!**). In den außerordentlichen Beyfall des
Weimarischen Publikums haben sich, wie bey allen gesellschaftlichen Theatern,
so viel Nebenumstände gemischt, daß man darauf nicht bauen kann. Göthe
selbst war von ihrer „Iphigenia" ***) entzückt. Aber Göthe selbst war
in Ms. Schröter verliebt! Talent muß sie freilich haben, und hat es
auch. Aber ob dieses Talent, neben Schauspielern vom Handwerke und von
Talenten, die Probe aushalten würde? das ist die Frage. —Uebrigens weiß
ich, daß sie sich ehemals zu gut dünkte, das Theater zu betreten, daß sie so¬
gar, als sie noch in Leipzig unter sehr kleinen Bedingungen beym Konzert
engagirt war, einen Ruf zum hiesigen Hoftheater ausgeschlagen hat.
Was könnte sie jetzt zu diesem Schritte bewegen? Verdruß über die End¬
schaft .... einer gewißen — andern Rolle? Sie hat zu viel Verstand
und Erfahrung, diesen Verlust nicht politischen Rücksichten aufzuopfern. Be¬
fehlen Sie ob ich, dieser Voraussetzungen ungeachtet, einen Versuch wagen
soll! —

H. Beil hat besser gethan „die Spieler" zu schreiben, als diese Zeit
zum Spielen anzuwenden'!-). Uebrigens sind die guten Situationen seines
Stücks zu isolirt und zu sehr mit zwecklosen Episoden überladen, als daß sie
bey der Vorstellung Wirkung thun könnten."

Der nun folgende Brief Götter's (vom 14. April 1786) läßt in ergötz¬
licher Weise durchblicken, was für eine Art von Comödie damals in Weimar
gespielt wurde. Die Leutchen, von denen die Rede ist, waren: Madame (Sophie)
Ackermann geb. Tschorn, — „erste Liebhaberin in Lust- und Trauerspiel, An-
stands- und verkleidete Mannsrollen, singt erste und zweite Liebhaberinnen in
der Oper" (wie ihre Fachbezeichnung im Gothaer Theaterkalender für 1786
lautet) und deren Gatte — „komische Alte im Singspiel, Pedanten und Be-






") Franziska Romana Koch geb. Giranet (1748—1796). treffliche Tänzerin, später be¬
rühmte Sängerin zu Leipzig, Dresden, Weimar und Gotha. Schweizer componirte für sie
seine „Alceste".
-) Corona Schröter, geb. am 14. Januar 17S1 zu Guben, war 1780 in der That
2» Jahre alt.
"*) Goethe's damals nur in Prosa vorhanden gewesene, am K. April 1779 mit Corona
Schröter in der Titelrolle zuerst aufgeführte Dichtung.
I) Diese Leidenschaft war eine Schwäche Beil's. Sein Lustspiel erschien 1785 zu Mann¬
heim, wo es zuerst am 23. Januar 1785 gegeben worden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135635"/>
          <p xml:id="ID_190" prev="#ID_189"> und am letzteren Orte sogar auf dem Theater gesehen; freylich nur in Ope¬<lb/>
retten, wo sich nicht auf tragisches Spiel schließen, aber Prunk von Natur,<lb/>
Affektazion von Empfindung desto gewißer unterscheiden läßt. Die<lb/>
Figur ist vortrefflich. Ich weiß niemanden mit ihr zu vergleichen als Madam<lb/>
Koch*). Vielleicht hat sie noch mehr Ebenmaß und Grazie, als diese. Aber<lb/>
das sind nun fünf Jahre, und schon damals war sie auf der Rückkehr, am<lb/>
Scheideweg der dritten Dekade!**). In den außerordentlichen Beyfall des<lb/>
Weimarischen Publikums haben sich, wie bey allen gesellschaftlichen Theatern,<lb/>
so viel Nebenumstände gemischt, daß man darauf nicht bauen kann. Göthe<lb/>
selbst war von ihrer &#x201E;Iphigenia" ***) entzückt. Aber Göthe selbst war<lb/>
in Ms. Schröter verliebt! Talent muß sie freilich haben, und hat es<lb/>
auch. Aber ob dieses Talent, neben Schauspielern vom Handwerke und von<lb/>
Talenten, die Probe aushalten würde? das ist die Frage. &#x2014;Uebrigens weiß<lb/>
ich, daß sie sich ehemals zu gut dünkte, das Theater zu betreten, daß sie so¬<lb/>
gar, als sie noch in Leipzig unter sehr kleinen Bedingungen beym Konzert<lb/>
engagirt war, einen Ruf zum hiesigen Hoftheater ausgeschlagen hat.<lb/>
Was könnte sie jetzt zu diesem Schritte bewegen? Verdruß über die End¬<lb/>
schaft .... einer gewißen &#x2014; andern Rolle? Sie hat zu viel Verstand<lb/>
und Erfahrung, diesen Verlust nicht politischen Rücksichten aufzuopfern. Be¬<lb/>
fehlen Sie ob ich, dieser Voraussetzungen ungeachtet, einen Versuch wagen<lb/>
soll! &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_191"> H. Beil hat besser gethan &#x201E;die Spieler" zu schreiben, als diese Zeit<lb/>
zum Spielen anzuwenden'!-). Uebrigens sind die guten Situationen seines<lb/>
Stücks zu isolirt und zu sehr mit zwecklosen Episoden überladen, als daß sie<lb/>
bey der Vorstellung Wirkung thun könnten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_192" next="#ID_193"> Der nun folgende Brief Götter's (vom 14. April 1786) läßt in ergötz¬<lb/>
licher Weise durchblicken, was für eine Art von Comödie damals in Weimar<lb/>
gespielt wurde. Die Leutchen, von denen die Rede ist, waren: Madame (Sophie)<lb/>
Ackermann geb. Tschorn, &#x2014; &#x201E;erste Liebhaberin in Lust- und Trauerspiel, An-<lb/>
stands- und verkleidete Mannsrollen, singt erste und zweite Liebhaberinnen in<lb/>
der Oper" (wie ihre Fachbezeichnung im Gothaer Theaterkalender für 1786<lb/>
lautet) und deren Gatte &#x2014; &#x201E;komische Alte im Singspiel, Pedanten und Be-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_14" place="foot"> ") Franziska Romana Koch geb. Giranet (1748&#x2014;1796). treffliche Tänzerin, später be¬<lb/>
rühmte Sängerin zu Leipzig, Dresden, Weimar und Gotha. Schweizer componirte für sie<lb/>
seine &#x201E;Alceste".</note><lb/>
          <note xml:id="FID_15" place="foot"> -) Corona Schröter, geb. am 14. Januar 17S1 zu Guben, war 1780 in der That<lb/>
2» Jahre alt.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_16" place="foot"> "*) Goethe's damals nur in Prosa vorhanden gewesene, am K. April 1779 mit Corona<lb/>
Schröter in der Titelrolle zuerst aufgeführte Dichtung.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_17" place="foot"> I) Diese Leidenschaft war eine Schwäche Beil's. Sein Lustspiel erschien 1785 zu Mann¬<lb/>
heim, wo es zuerst am 23. Januar 1785 gegeben worden.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0054] und am letzteren Orte sogar auf dem Theater gesehen; freylich nur in Ope¬ retten, wo sich nicht auf tragisches Spiel schließen, aber Prunk von Natur, Affektazion von Empfindung desto gewißer unterscheiden läßt. Die Figur ist vortrefflich. Ich weiß niemanden mit ihr zu vergleichen als Madam Koch*). Vielleicht hat sie noch mehr Ebenmaß und Grazie, als diese. Aber das sind nun fünf Jahre, und schon damals war sie auf der Rückkehr, am Scheideweg der dritten Dekade!**). In den außerordentlichen Beyfall des Weimarischen Publikums haben sich, wie bey allen gesellschaftlichen Theatern, so viel Nebenumstände gemischt, daß man darauf nicht bauen kann. Göthe selbst war von ihrer „Iphigenia" ***) entzückt. Aber Göthe selbst war in Ms. Schröter verliebt! Talent muß sie freilich haben, und hat es auch. Aber ob dieses Talent, neben Schauspielern vom Handwerke und von Talenten, die Probe aushalten würde? das ist die Frage. —Uebrigens weiß ich, daß sie sich ehemals zu gut dünkte, das Theater zu betreten, daß sie so¬ gar, als sie noch in Leipzig unter sehr kleinen Bedingungen beym Konzert engagirt war, einen Ruf zum hiesigen Hoftheater ausgeschlagen hat. Was könnte sie jetzt zu diesem Schritte bewegen? Verdruß über die End¬ schaft .... einer gewißen — andern Rolle? Sie hat zu viel Verstand und Erfahrung, diesen Verlust nicht politischen Rücksichten aufzuopfern. Be¬ fehlen Sie ob ich, dieser Voraussetzungen ungeachtet, einen Versuch wagen soll! — H. Beil hat besser gethan „die Spieler" zu schreiben, als diese Zeit zum Spielen anzuwenden'!-). Uebrigens sind die guten Situationen seines Stücks zu isolirt und zu sehr mit zwecklosen Episoden überladen, als daß sie bey der Vorstellung Wirkung thun könnten." Der nun folgende Brief Götter's (vom 14. April 1786) läßt in ergötz¬ licher Weise durchblicken, was für eine Art von Comödie damals in Weimar gespielt wurde. Die Leutchen, von denen die Rede ist, waren: Madame (Sophie) Ackermann geb. Tschorn, — „erste Liebhaberin in Lust- und Trauerspiel, An- stands- und verkleidete Mannsrollen, singt erste und zweite Liebhaberinnen in der Oper" (wie ihre Fachbezeichnung im Gothaer Theaterkalender für 1786 lautet) und deren Gatte — „komische Alte im Singspiel, Pedanten und Be- ") Franziska Romana Koch geb. Giranet (1748—1796). treffliche Tänzerin, später be¬ rühmte Sängerin zu Leipzig, Dresden, Weimar und Gotha. Schweizer componirte für sie seine „Alceste". -) Corona Schröter, geb. am 14. Januar 17S1 zu Guben, war 1780 in der That 2» Jahre alt. "*) Goethe's damals nur in Prosa vorhanden gewesene, am K. April 1779 mit Corona Schröter in der Titelrolle zuerst aufgeführte Dichtung. I) Diese Leidenschaft war eine Schwäche Beil's. Sein Lustspiel erschien 1785 zu Mann¬ heim, wo es zuerst am 23. Januar 1785 gegeben worden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/54
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/54>, abgerufen am 27.07.2024.