Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von den Bürgschaften unserer Zukunft die unentbehrlichste. Wenn Herr von
Nathusius schließlich die Schulaufstcht möglichst der Geistlichkeit belassen will,
so ist dagegen gewiß nichts einzuwenden, wenn er nur für die rechte Geist¬
lichkeit sorgen will.

Bon den kirchlichen Fragen wendet sich der Verfasser zu den Verfassungs¬
aufgaben. Von diesen erscheint ihm am nöthigsten die Sicherstellung des
Herrenhauses gegen ministerielle Vergewaltigungen. Er will ein Gesetz, wo¬
durch die Zahl der vom König zu berufenden Pairs eine geschlossene wird.
Es wäre dies aber eine höchst bedenkliche Maßregel nicht bloß vom Stand¬
punkt des gewöhnlichen Liberalismus. Die Krone ist formell berechtigt, das
Abgeordnetenhaus so oft hintereinander aufzulösen, als sie will, und der Ein¬
fluß, den die Krone mittelst dieses Rechtes auf die Entschlüsse der Abgeord¬
neten ausüben kann, schon durch den Besitz desselben thatsächlich ausübt, ist
sehr hoch zu veranschlagen. Auf die Entschlüsse des Herrenhauses verlöre die
Krone durch eine Maßregel, wie sie der Verfasser verlangt, jeden unmittel¬
baren Einfluß. Das Herrenhaus würde damit in Bezug auf die Gesetzgebung
zur ersten Macht im Staate, denn es hätte weniger Rücksichten zu nehmen,,
als die Krone selbst. Wo ist aber die Bürgschaft, daß von einer solchen
mächtigen Stellung nur der rechte Gebrauch gemacht würde, und wo ist die
Möglichkeit der Correktur des Mißbrauches? In Bezug auf die Abgeord¬
netenwahlen leugnet der Verfasser die oft gehörte Behauptung, daß es keine
Stände mehr gebe. Er glaubt sie richtig zu stellen, wenn er sagt, es gebe
zwar einstweilen keine politischen, aber es müsse jederzeit soziale Stände geben.
Das ist nun richtig, aber verwunderlich ist, daß der Verfasser nicht sieht, daß
die bloß socialen Stände durchaus ungeeignet zur Basis von Wahlkörpern
sind. Wenn die Landesvertretung zum Tummelplatz rein socialer Interessen
wird, dann ist jedesmal die Zeit des Absolutismus gekommen. Der Ver¬
fasser begnügt sich indeß bei seinen Wahlreformvorschlägen mit der Forderung
einer Berücksichtigung des Unterschiedes von Stadt und Land, was man gut
heißen kann, ohne das Princip der Wahlen nach socialen Ständen anzuneh¬
men. Der Unterschied von Stadt und Land ist nämlich mehr, als ein bloß
socialer, sobald die Vertheilung der politischen Pflichten zwischen Stadt und
Land eine ungleichmäßige ist, was allerdings in den socialen Verhältnissen
einen Grund hat, worin doch aber weit mehr, als der sociale Unterschied zur
Wirkung kommt.

In Bezug auf die Kreis- und Provinzial-Ordnung will der Verfasser
zunächst die Erfahrung abwarten. Das Einzige, was er für jetzt verlangt,
ist, die Ehrenämter nicht im Bureaudienst untergehen zu lassen: eine Forderung,
die den bedenklichen Sinn haben kann, daß es mit der Erfüllung der Amts¬
pflicht nicht genau genommen werden soll.


von den Bürgschaften unserer Zukunft die unentbehrlichste. Wenn Herr von
Nathusius schließlich die Schulaufstcht möglichst der Geistlichkeit belassen will,
so ist dagegen gewiß nichts einzuwenden, wenn er nur für die rechte Geist¬
lichkeit sorgen will.

Bon den kirchlichen Fragen wendet sich der Verfasser zu den Verfassungs¬
aufgaben. Von diesen erscheint ihm am nöthigsten die Sicherstellung des
Herrenhauses gegen ministerielle Vergewaltigungen. Er will ein Gesetz, wo¬
durch die Zahl der vom König zu berufenden Pairs eine geschlossene wird.
Es wäre dies aber eine höchst bedenkliche Maßregel nicht bloß vom Stand¬
punkt des gewöhnlichen Liberalismus. Die Krone ist formell berechtigt, das
Abgeordnetenhaus so oft hintereinander aufzulösen, als sie will, und der Ein¬
fluß, den die Krone mittelst dieses Rechtes auf die Entschlüsse der Abgeord¬
neten ausüben kann, schon durch den Besitz desselben thatsächlich ausübt, ist
sehr hoch zu veranschlagen. Auf die Entschlüsse des Herrenhauses verlöre die
Krone durch eine Maßregel, wie sie der Verfasser verlangt, jeden unmittel¬
baren Einfluß. Das Herrenhaus würde damit in Bezug auf die Gesetzgebung
zur ersten Macht im Staate, denn es hätte weniger Rücksichten zu nehmen,,
als die Krone selbst. Wo ist aber die Bürgschaft, daß von einer solchen
mächtigen Stellung nur der rechte Gebrauch gemacht würde, und wo ist die
Möglichkeit der Correktur des Mißbrauches? In Bezug auf die Abgeord¬
netenwahlen leugnet der Verfasser die oft gehörte Behauptung, daß es keine
Stände mehr gebe. Er glaubt sie richtig zu stellen, wenn er sagt, es gebe
zwar einstweilen keine politischen, aber es müsse jederzeit soziale Stände geben.
Das ist nun richtig, aber verwunderlich ist, daß der Verfasser nicht sieht, daß
die bloß socialen Stände durchaus ungeeignet zur Basis von Wahlkörpern
sind. Wenn die Landesvertretung zum Tummelplatz rein socialer Interessen
wird, dann ist jedesmal die Zeit des Absolutismus gekommen. Der Ver¬
fasser begnügt sich indeß bei seinen Wahlreformvorschlägen mit der Forderung
einer Berücksichtigung des Unterschiedes von Stadt und Land, was man gut
heißen kann, ohne das Princip der Wahlen nach socialen Ständen anzuneh¬
men. Der Unterschied von Stadt und Land ist nämlich mehr, als ein bloß
socialer, sobald die Vertheilung der politischen Pflichten zwischen Stadt und
Land eine ungleichmäßige ist, was allerdings in den socialen Verhältnissen
einen Grund hat, worin doch aber weit mehr, als der sociale Unterschied zur
Wirkung kommt.

In Bezug auf die Kreis- und Provinzial-Ordnung will der Verfasser
zunächst die Erfahrung abwarten. Das Einzige, was er für jetzt verlangt,
ist, die Ehrenämter nicht im Bureaudienst untergehen zu lassen: eine Forderung,
die den bedenklichen Sinn haben kann, daß es mit der Erfüllung der Amts¬
pflicht nicht genau genommen werden soll.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0518" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136099"/>
          <p xml:id="ID_1695" prev="#ID_1694"> von den Bürgschaften unserer Zukunft die unentbehrlichste. Wenn Herr von<lb/>
Nathusius schließlich die Schulaufstcht möglichst der Geistlichkeit belassen will,<lb/>
so ist dagegen gewiß nichts einzuwenden, wenn er nur für die rechte Geist¬<lb/>
lichkeit sorgen will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1696"> Bon den kirchlichen Fragen wendet sich der Verfasser zu den Verfassungs¬<lb/>
aufgaben. Von diesen erscheint ihm am nöthigsten die Sicherstellung des<lb/>
Herrenhauses gegen ministerielle Vergewaltigungen. Er will ein Gesetz, wo¬<lb/>
durch die Zahl der vom König zu berufenden Pairs eine geschlossene wird.<lb/>
Es wäre dies aber eine höchst bedenkliche Maßregel nicht bloß vom Stand¬<lb/>
punkt des gewöhnlichen Liberalismus. Die Krone ist formell berechtigt, das<lb/>
Abgeordnetenhaus so oft hintereinander aufzulösen, als sie will, und der Ein¬<lb/>
fluß, den die Krone mittelst dieses Rechtes auf die Entschlüsse der Abgeord¬<lb/>
neten ausüben kann, schon durch den Besitz desselben thatsächlich ausübt, ist<lb/>
sehr hoch zu veranschlagen. Auf die Entschlüsse des Herrenhauses verlöre die<lb/>
Krone durch eine Maßregel, wie sie der Verfasser verlangt, jeden unmittel¬<lb/>
baren Einfluß. Das Herrenhaus würde damit in Bezug auf die Gesetzgebung<lb/>
zur ersten Macht im Staate, denn es hätte weniger Rücksichten zu nehmen,,<lb/>
als die Krone selbst. Wo ist aber die Bürgschaft, daß von einer solchen<lb/>
mächtigen Stellung nur der rechte Gebrauch gemacht würde, und wo ist die<lb/>
Möglichkeit der Correktur des Mißbrauches? In Bezug auf die Abgeord¬<lb/>
netenwahlen leugnet der Verfasser die oft gehörte Behauptung, daß es keine<lb/>
Stände mehr gebe. Er glaubt sie richtig zu stellen, wenn er sagt, es gebe<lb/>
zwar einstweilen keine politischen, aber es müsse jederzeit soziale Stände geben.<lb/>
Das ist nun richtig, aber verwunderlich ist, daß der Verfasser nicht sieht, daß<lb/>
die bloß socialen Stände durchaus ungeeignet zur Basis von Wahlkörpern<lb/>
sind. Wenn die Landesvertretung zum Tummelplatz rein socialer Interessen<lb/>
wird, dann ist jedesmal die Zeit des Absolutismus gekommen. Der Ver¬<lb/>
fasser begnügt sich indeß bei seinen Wahlreformvorschlägen mit der Forderung<lb/>
einer Berücksichtigung des Unterschiedes von Stadt und Land, was man gut<lb/>
heißen kann, ohne das Princip der Wahlen nach socialen Ständen anzuneh¬<lb/>
men. Der Unterschied von Stadt und Land ist nämlich mehr, als ein bloß<lb/>
socialer, sobald die Vertheilung der politischen Pflichten zwischen Stadt und<lb/>
Land eine ungleichmäßige ist, was allerdings in den socialen Verhältnissen<lb/>
einen Grund hat, worin doch aber weit mehr, als der sociale Unterschied zur<lb/>
Wirkung kommt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1697"> In Bezug auf die Kreis- und Provinzial-Ordnung will der Verfasser<lb/>
zunächst die Erfahrung abwarten. Das Einzige, was er für jetzt verlangt,<lb/>
ist, die Ehrenämter nicht im Bureaudienst untergehen zu lassen: eine Forderung,<lb/>
die den bedenklichen Sinn haben kann, daß es mit der Erfüllung der Amts¬<lb/>
pflicht nicht genau genommen werden soll.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0518] von den Bürgschaften unserer Zukunft die unentbehrlichste. Wenn Herr von Nathusius schließlich die Schulaufstcht möglichst der Geistlichkeit belassen will, so ist dagegen gewiß nichts einzuwenden, wenn er nur für die rechte Geist¬ lichkeit sorgen will. Bon den kirchlichen Fragen wendet sich der Verfasser zu den Verfassungs¬ aufgaben. Von diesen erscheint ihm am nöthigsten die Sicherstellung des Herrenhauses gegen ministerielle Vergewaltigungen. Er will ein Gesetz, wo¬ durch die Zahl der vom König zu berufenden Pairs eine geschlossene wird. Es wäre dies aber eine höchst bedenkliche Maßregel nicht bloß vom Stand¬ punkt des gewöhnlichen Liberalismus. Die Krone ist formell berechtigt, das Abgeordnetenhaus so oft hintereinander aufzulösen, als sie will, und der Ein¬ fluß, den die Krone mittelst dieses Rechtes auf die Entschlüsse der Abgeord¬ neten ausüben kann, schon durch den Besitz desselben thatsächlich ausübt, ist sehr hoch zu veranschlagen. Auf die Entschlüsse des Herrenhauses verlöre die Krone durch eine Maßregel, wie sie der Verfasser verlangt, jeden unmittel¬ baren Einfluß. Das Herrenhaus würde damit in Bezug auf die Gesetzgebung zur ersten Macht im Staate, denn es hätte weniger Rücksichten zu nehmen,, als die Krone selbst. Wo ist aber die Bürgschaft, daß von einer solchen mächtigen Stellung nur der rechte Gebrauch gemacht würde, und wo ist die Möglichkeit der Correktur des Mißbrauches? In Bezug auf die Abgeord¬ netenwahlen leugnet der Verfasser die oft gehörte Behauptung, daß es keine Stände mehr gebe. Er glaubt sie richtig zu stellen, wenn er sagt, es gebe zwar einstweilen keine politischen, aber es müsse jederzeit soziale Stände geben. Das ist nun richtig, aber verwunderlich ist, daß der Verfasser nicht sieht, daß die bloß socialen Stände durchaus ungeeignet zur Basis von Wahlkörpern sind. Wenn die Landesvertretung zum Tummelplatz rein socialer Interessen wird, dann ist jedesmal die Zeit des Absolutismus gekommen. Der Ver¬ fasser begnügt sich indeß bei seinen Wahlreformvorschlägen mit der Forderung einer Berücksichtigung des Unterschiedes von Stadt und Land, was man gut heißen kann, ohne das Princip der Wahlen nach socialen Ständen anzuneh¬ men. Der Unterschied von Stadt und Land ist nämlich mehr, als ein bloß socialer, sobald die Vertheilung der politischen Pflichten zwischen Stadt und Land eine ungleichmäßige ist, was allerdings in den socialen Verhältnissen einen Grund hat, worin doch aber weit mehr, als der sociale Unterschied zur Wirkung kommt. In Bezug auf die Kreis- und Provinzial-Ordnung will der Verfasser zunächst die Erfahrung abwarten. Das Einzige, was er für jetzt verlangt, ist, die Ehrenämter nicht im Bureaudienst untergehen zu lassen: eine Forderung, die den bedenklichen Sinn haben kann, daß es mit der Erfüllung der Amts¬ pflicht nicht genau genommen werden soll.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/518
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/518>, abgerufen am 27.11.2024.