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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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In Bezug auf die sociale Gesetzgebung will der Verfasser das römische
Erb- und Hypothekenrecht beseitigen. Statt der Hypothek will er das soli¬
darische Rentenprincip einführen, was ja, wie er sagt, schon besteht. Die
kündbare Hypothek aber geradezu zu verbieten, würde wahrscheinlich zur Folge
haben, daß der Grundbesitz in empfindlichster Weise eine Einbuße an Credit
zu tragen hätte. Gegen die Erleichterung der Errichtung von Fideicommissen
durch Ermäßigung des jetzigen hohen Stempels wird nichts zu sagen sein.

Der Verfasser erklärt sich für einen unbedingten Gegner des Reichseisen¬
bahngedankens und tritt dagegen für das Staatsbahnprinzip ein. Den Ge¬
danken der Reichsbahnen hält er für so unlogisch, daß er bestimmt zu wissen
glaubt, höchst einflußreiche und sachverständige Persönlichkeiten möchten diesen
Gedanken gar nicht erst bekämpfen, aus dem doch nichts werden könne. Nun
diese sachverständigen Persönlichkeiten scheinen nicht zu merken, daß wenn ein
einheitliches preußisches Staatsbahnsystem möglich ist, die paar süddeutschen
Bahnen die Aufgabe nicht in das Gebiet der Unmöglichkeit rücken können.
Es ist seltsam, wie zaghaft manche Leute nach allen Erfahrungen der letzten
40 Jahre von der Leistungsfähigkeit unseres Geschlechtes denken. Dieses
Geschlecht müßte, da es nicht zurück kann, sich selbst vernichten, wenn es sich
nichts zutraute und sich vornehmen wollte, den Stoff, den ihm die Mittel
der Gegenwart zugeführt haben, sittlich und technisch zu beherrschen. Unter
denjenigen Dingen, welche die Zukunft leisten muß, wenn wir im Stande
sein sollen weiter zu leben, ist die einheitliche Verwaltung der Eisenbahnen
einer Nation ganz sicherlich eine verhältnißmäßig unbedeutende.

Aber der Verfasser, der so zaghaft gegenüber'der staatlichen Leitung der
Eisenbahnen ist, muthet dem Staat, d. h. hier dem Reich, sofort eine Auf¬
gabe zu, welche gegen jene ein wahres Kinderspiel ist. Er will die Zettel¬
banken beseitigen, dafür soll Reichspapiergeld nur nach dem wirklichen Be¬
dürfniß der Geldcirkulation ausgegeben werden. Ja, wenn irgend ein Staat
das wirkliche Bedürfniß der Geldeirkulation bestimmen und diesem Bedürfniß,
ohne sich selbst zu gefährden, jederzeit genugthuen könnte, dann wäre die
Menschheit froh und satt. Dann wäre der Stein der Weisen nicht für den
einzelnen Besitzer, sondern für alle Völker gefunden. Aber, weiser Herr, ist
Ihre Weisheit nicht so weise, zu begreifen, daß Ihre Forderung über Menschen¬
kräfte nicht nur für jetzt, sondern muthmaßlich bis zum Ende aller Dinge
geht? Wenn der Staat die Geldcirkulation bestimmen und speisen könnte,
dann brauchten wir allerdings die Reichsbank nicht, die Sie eine große
Börsengründung nennen und demgemäß beseitigen wollen. Wie die Dinge
aber liegen, kann das gefährliche Geschäft, die Geldcirkulation zu speisen,
nur denen überlassen werden, die es auf ihre Gefahr thun und im Stande


In Bezug auf die sociale Gesetzgebung will der Verfasser das römische
Erb- und Hypothekenrecht beseitigen. Statt der Hypothek will er das soli¬
darische Rentenprincip einführen, was ja, wie er sagt, schon besteht. Die
kündbare Hypothek aber geradezu zu verbieten, würde wahrscheinlich zur Folge
haben, daß der Grundbesitz in empfindlichster Weise eine Einbuße an Credit
zu tragen hätte. Gegen die Erleichterung der Errichtung von Fideicommissen
durch Ermäßigung des jetzigen hohen Stempels wird nichts zu sagen sein.

Der Verfasser erklärt sich für einen unbedingten Gegner des Reichseisen¬
bahngedankens und tritt dagegen für das Staatsbahnprinzip ein. Den Ge¬
danken der Reichsbahnen hält er für so unlogisch, daß er bestimmt zu wissen
glaubt, höchst einflußreiche und sachverständige Persönlichkeiten möchten diesen
Gedanken gar nicht erst bekämpfen, aus dem doch nichts werden könne. Nun
diese sachverständigen Persönlichkeiten scheinen nicht zu merken, daß wenn ein
einheitliches preußisches Staatsbahnsystem möglich ist, die paar süddeutschen
Bahnen die Aufgabe nicht in das Gebiet der Unmöglichkeit rücken können.
Es ist seltsam, wie zaghaft manche Leute nach allen Erfahrungen der letzten
40 Jahre von der Leistungsfähigkeit unseres Geschlechtes denken. Dieses
Geschlecht müßte, da es nicht zurück kann, sich selbst vernichten, wenn es sich
nichts zutraute und sich vornehmen wollte, den Stoff, den ihm die Mittel
der Gegenwart zugeführt haben, sittlich und technisch zu beherrschen. Unter
denjenigen Dingen, welche die Zukunft leisten muß, wenn wir im Stande
sein sollen weiter zu leben, ist die einheitliche Verwaltung der Eisenbahnen
einer Nation ganz sicherlich eine verhältnißmäßig unbedeutende.

Aber der Verfasser, der so zaghaft gegenüber'der staatlichen Leitung der
Eisenbahnen ist, muthet dem Staat, d. h. hier dem Reich, sofort eine Auf¬
gabe zu, welche gegen jene ein wahres Kinderspiel ist. Er will die Zettel¬
banken beseitigen, dafür soll Reichspapiergeld nur nach dem wirklichen Be¬
dürfniß der Geldcirkulation ausgegeben werden. Ja, wenn irgend ein Staat
das wirkliche Bedürfniß der Geldeirkulation bestimmen und diesem Bedürfniß,
ohne sich selbst zu gefährden, jederzeit genugthuen könnte, dann wäre die
Menschheit froh und satt. Dann wäre der Stein der Weisen nicht für den
einzelnen Besitzer, sondern für alle Völker gefunden. Aber, weiser Herr, ist
Ihre Weisheit nicht so weise, zu begreifen, daß Ihre Forderung über Menschen¬
kräfte nicht nur für jetzt, sondern muthmaßlich bis zum Ende aller Dinge
geht? Wenn der Staat die Geldcirkulation bestimmen und speisen könnte,
dann brauchten wir allerdings die Reichsbank nicht, die Sie eine große
Börsengründung nennen und demgemäß beseitigen wollen. Wie die Dinge
aber liegen, kann das gefährliche Geschäft, die Geldcirkulation zu speisen,
nur denen überlassen werden, die es auf ihre Gefahr thun und im Stande


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/519>, abgerufen am 27.07.2024.