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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Fassung des Glaubensbekenntnisses kommt es an, für wen in der Kirche
Platz ist. Und warum will der Verfasser das landesherrliche Kirchenregiment
auf das Patronat über die äußeren Angelegenheiten der Kirche beschränken?
Doch nur, weil er fürchtet, der Landesherr werde vermöge seiner Stellung,
die ihm die allseitige Gerechtigkeit zur Pflicht und zur Nothwendigkeit macht,
in den innern Angelegenheiten der Kirche nicht engherzig genug sein. Wie
sehr wir recht haben, den Grundgedanken des Verfassers für die evangelische
Kirchengestaltung einen hierarchischen zu nennen, beweist er mit dem Aus¬
spruch: die Entwicklung der Kirche würde sicher ein starkes persönliches Element,
möge man es nun bischöflich nennen oder nicht, herausbilden, und sich von
allen Vergewaltigungen der todten Masse wieder befreien. Auch wir sind
keine Freunde der Massenherrschaft und am wenigsten in der Kirche, aber
zwischen bischöflicher Hierarchie und kirchlicher Demokratie liegt noch mehr
als eine bessere Möglichkeit der Gestaltung in der Mitte.

Herr von Nathusius will, daß die evangelische Kirche ihr Eherecht fest¬
stellen könne, wie sie will, wogegen nichts zu erinnern ist. Aber sehr viel
ist zu erinnern, wenn der Verfasser die Erkenntniß wieder verdunkeln will,
daß das Rechtsverhältniß der Ehe allein durch den Staat begründet wird.
Diese Verdunkelung tritt ein, wenn die obligatorische Form des Civilbeschlusses
beseitigt, oder wenn nicht beseitigt, doch wie der Verfasser will, der Erkenntniß
der Völker dadurch entzogen wird, daß die Kirche traut, ohne daß das Rechts¬
verhältniß der Ehe durch den Staat vorher begründet ist und so, daß nach
den amtlichen Angaben der Geistlichen die Führung der Trauregister durch
die Gerichte erfolgt. Wir haben nichts gegen die kirchliche Ercommunication
derjenigen, welche die kirchliche Einsegnung der Ehe nicht begehren. Herr
von Nathusius aber will diejenigen excommuniciren, welche überhaupt die
Begründung der Ehe durch das Civilstandsamt nachsuchen. Das ist eine
Ungeheuerlichkett.

Wir verdenken dem Verfasser nicht, daß er für die Beibehaltung der
konfessionellen Schule eintritt, und haben auch nichts dagegen, daß er das
Hinaufschrauben der Leistungen der ländlichen Elementarschule verwirft, wenn
die erhöhten Leistungen auf Kosten der Gründlichkeit und der wirklichen Er¬
langung auch nur des geringsten Maßes der Kenntnisse und Fertigkeiten er¬
folgen. Wir sind aber der Meinung, daß die Partei des Verfassers sich ein
sehr ungünstiges Zeugniß ausstellt, wenn sie der Volksschule fort und fort
das denkbar niedrigste Ziel steckt und das Stehenbleiben bei diesem Ziel nicht
als Folge eines augenblicklichen Nothstandes, sondern als gesunde Politik
aufzufassen scheint. Die Hebung der Volksschule, damit des Volkes selbst,
durch stetige Erhöhung der darauf verwandten Geldmittel und durch die
richtige, alles Scheinwesen vermeidende Benutzung der letzteren ist vielleicht


Grenzboten II. 187V.

Fassung des Glaubensbekenntnisses kommt es an, für wen in der Kirche
Platz ist. Und warum will der Verfasser das landesherrliche Kirchenregiment
auf das Patronat über die äußeren Angelegenheiten der Kirche beschränken?
Doch nur, weil er fürchtet, der Landesherr werde vermöge seiner Stellung,
die ihm die allseitige Gerechtigkeit zur Pflicht und zur Nothwendigkeit macht,
in den innern Angelegenheiten der Kirche nicht engherzig genug sein. Wie
sehr wir recht haben, den Grundgedanken des Verfassers für die evangelische
Kirchengestaltung einen hierarchischen zu nennen, beweist er mit dem Aus¬
spruch: die Entwicklung der Kirche würde sicher ein starkes persönliches Element,
möge man es nun bischöflich nennen oder nicht, herausbilden, und sich von
allen Vergewaltigungen der todten Masse wieder befreien. Auch wir sind
keine Freunde der Massenherrschaft und am wenigsten in der Kirche, aber
zwischen bischöflicher Hierarchie und kirchlicher Demokratie liegt noch mehr
als eine bessere Möglichkeit der Gestaltung in der Mitte.

Herr von Nathusius will, daß die evangelische Kirche ihr Eherecht fest¬
stellen könne, wie sie will, wogegen nichts zu erinnern ist. Aber sehr viel
ist zu erinnern, wenn der Verfasser die Erkenntniß wieder verdunkeln will,
daß das Rechtsverhältniß der Ehe allein durch den Staat begründet wird.
Diese Verdunkelung tritt ein, wenn die obligatorische Form des Civilbeschlusses
beseitigt, oder wenn nicht beseitigt, doch wie der Verfasser will, der Erkenntniß
der Völker dadurch entzogen wird, daß die Kirche traut, ohne daß das Rechts¬
verhältniß der Ehe durch den Staat vorher begründet ist und so, daß nach
den amtlichen Angaben der Geistlichen die Führung der Trauregister durch
die Gerichte erfolgt. Wir haben nichts gegen die kirchliche Ercommunication
derjenigen, welche die kirchliche Einsegnung der Ehe nicht begehren. Herr
von Nathusius aber will diejenigen excommuniciren, welche überhaupt die
Begründung der Ehe durch das Civilstandsamt nachsuchen. Das ist eine
Ungeheuerlichkett.

Wir verdenken dem Verfasser nicht, daß er für die Beibehaltung der
konfessionellen Schule eintritt, und haben auch nichts dagegen, daß er das
Hinaufschrauben der Leistungen der ländlichen Elementarschule verwirft, wenn
die erhöhten Leistungen auf Kosten der Gründlichkeit und der wirklichen Er¬
langung auch nur des geringsten Maßes der Kenntnisse und Fertigkeiten er¬
folgen. Wir sind aber der Meinung, daß die Partei des Verfassers sich ein
sehr ungünstiges Zeugniß ausstellt, wenn sie der Volksschule fort und fort
das denkbar niedrigste Ziel steckt und das Stehenbleiben bei diesem Ziel nicht
als Folge eines augenblicklichen Nothstandes, sondern als gesunde Politik
aufzufassen scheint. Die Hebung der Volksschule, damit des Volkes selbst,
durch stetige Erhöhung der darauf verwandten Geldmittel und durch die
richtige, alles Scheinwesen vermeidende Benutzung der letzteren ist vielleicht


Grenzboten II. 187V.
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[0517] Fassung des Glaubensbekenntnisses kommt es an, für wen in der Kirche Platz ist. Und warum will der Verfasser das landesherrliche Kirchenregiment auf das Patronat über die äußeren Angelegenheiten der Kirche beschränken? Doch nur, weil er fürchtet, der Landesherr werde vermöge seiner Stellung, die ihm die allseitige Gerechtigkeit zur Pflicht und zur Nothwendigkeit macht, in den innern Angelegenheiten der Kirche nicht engherzig genug sein. Wie sehr wir recht haben, den Grundgedanken des Verfassers für die evangelische Kirchengestaltung einen hierarchischen zu nennen, beweist er mit dem Aus¬ spruch: die Entwicklung der Kirche würde sicher ein starkes persönliches Element, möge man es nun bischöflich nennen oder nicht, herausbilden, und sich von allen Vergewaltigungen der todten Masse wieder befreien. Auch wir sind keine Freunde der Massenherrschaft und am wenigsten in der Kirche, aber zwischen bischöflicher Hierarchie und kirchlicher Demokratie liegt noch mehr als eine bessere Möglichkeit der Gestaltung in der Mitte. Herr von Nathusius will, daß die evangelische Kirche ihr Eherecht fest¬ stellen könne, wie sie will, wogegen nichts zu erinnern ist. Aber sehr viel ist zu erinnern, wenn der Verfasser die Erkenntniß wieder verdunkeln will, daß das Rechtsverhältniß der Ehe allein durch den Staat begründet wird. Diese Verdunkelung tritt ein, wenn die obligatorische Form des Civilbeschlusses beseitigt, oder wenn nicht beseitigt, doch wie der Verfasser will, der Erkenntniß der Völker dadurch entzogen wird, daß die Kirche traut, ohne daß das Rechts¬ verhältniß der Ehe durch den Staat vorher begründet ist und so, daß nach den amtlichen Angaben der Geistlichen die Führung der Trauregister durch die Gerichte erfolgt. Wir haben nichts gegen die kirchliche Ercommunication derjenigen, welche die kirchliche Einsegnung der Ehe nicht begehren. Herr von Nathusius aber will diejenigen excommuniciren, welche überhaupt die Begründung der Ehe durch das Civilstandsamt nachsuchen. Das ist eine Ungeheuerlichkett. Wir verdenken dem Verfasser nicht, daß er für die Beibehaltung der konfessionellen Schule eintritt, und haben auch nichts dagegen, daß er das Hinaufschrauben der Leistungen der ländlichen Elementarschule verwirft, wenn die erhöhten Leistungen auf Kosten der Gründlichkeit und der wirklichen Er¬ langung auch nur des geringsten Maßes der Kenntnisse und Fertigkeiten er¬ folgen. Wir sind aber der Meinung, daß die Partei des Verfassers sich ein sehr ungünstiges Zeugniß ausstellt, wenn sie der Volksschule fort und fort das denkbar niedrigste Ziel steckt und das Stehenbleiben bei diesem Ziel nicht als Folge eines augenblicklichen Nothstandes, sondern als gesunde Politik aufzufassen scheint. Die Hebung der Volksschule, damit des Volkes selbst, durch stetige Erhöhung der darauf verwandten Geldmittel und durch die richtige, alles Scheinwesen vermeidende Benutzung der letzteren ist vielleicht Grenzboten II. 187V.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/517>, abgerufen am 27.07.2024.